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Versorgung am Limit: Notärzte schlagen Alarm und warnen vor Kollaps

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Von: Barbara Schlotterer-Fuchs

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Gibt es genug Notärzte im westlichen Landkreis (hier beim Einsatz beim tödlichen Unfall bei Urspring
Gibt es genug Notärzte im westlichen Landkreis (hier beim Einsatz beim tödlichen Unfall bei Urspring in der vergangenen Woche), wenn das Schongauer Krankenhaus geschlossen würde? Der Schongauer Notärzteverband schlägt Alarm. © Hans-Helmut Herold

Die Zukunft des Schongauer Krankenhauses ist offen, eine Herabstufung oder gar Schließung kann nicht ausgeschlossen werden. Doch schon jetzt ist die Notfall-Versorgung am Limit. Notärzte warnen vor dem Kollaps.

Landkreis – Jürgen Langhammer (65) ist Senior-Chef eines Familienbetriebs in Schongau. In einer Nacht im September 2022 bekommt er extreme Schmerzen im Bauch. „Es war, als würde mir jemand mit der Rasierklinge alles innerlich aufschneiden.“ Schüttelfrost. Fieber. „Ich habe meiner Lebensgefährtin gesagt: Wähle die 112, sonst sterbe ich heute Nacht.“

Notfall-Versorgung am Limit: Schongauer Ärzte in Sorge

Innerhalb weniger Minuten ist der Rettungsdienst da, auch ein Notarzt. Langhammer wird in die Notaufnahme Schongau eingeliefert. Und wacht zwei Tage später verkabelt auf der Intensiv-Station in Schongau auf. Ein Riss im Magen hätte ihn fast das Leben gekostet. „Alles, was da nicht innerhalb von einer halben Stunde bei mir auf dem Tisch liegt, stirbt“, klärt ihn der Arzt auf. Ohne die Notaufnahme und das OP-Team in Schongau hätte Langhammer nicht überlebt. „Eine Fahrt in ein anderes Krankenhaus hätte ich nicht mehr geschafft. Ohne Schongau wäre ich heute nicht mehr da.“

Wie ihm ergeht es auch einer anderen Notfall-Patientin, die ohne die Notaufnahme Schongau nicht überlebt hätte. Der Schongauer Hausarzt Dr. Jiri Faltis erzählt uns von einer Notarzt-Schicht, die ohne eine Notaufnahme in Schongau, anders ausgegangen wäre. „Die Patientin hat viel Blut verloren.“ Aufgrund ihrer schweren Verletzung hätte sie jedoch bis nach Starnberg gefahren werden müssen. Faltis fährt mit der Patientin in die Notaufnahme Schongau, wo sie für die Fahrt eine Blutkonserve bekommt. „Wenn wir die in der Notaufnahme in Schongau nicht bekommen hätten, wäre die Frau auf der Fahrt verblutet.“ Für ihn ist klar: „Längere Wege, größeres Risiko, mehr Tote.“ Das gilt für die Versorgung von Notfall-Patienten und für Schwangere zugleich.

Im Detail heißt das: Es läge einiges im Argen, was die notärztliche Versorgung anbelangt, wenn das Schongauer Krankenhaus inklusive Notaufnahme, Geburtshilfe und Intensivstation herabgestuft werden sollte oder ganz schließen müsste. „Wir machen uns große Sorgen“, so Faltis als Sprecher der Schongauer Notärzte.

„Wenn die Krankenhaus-Ärzte weg sind, können das die Hausärzte auf keinen Fall auffangen“

Fakt ist: Bislang wurde die notärztliche Versorgung im Zeitraum von 8 bis 16 Uhr von Ärzten geleistet, die im Krankenhaus Schongau angestellt waren. In dieser Zeit haben die im westlichen Landkreis angesiedelten Ärzte ihre Praxen geöffnet, um Patienten zu versorgen. Notarztschichten? Ausgeschlossen. „Wenn die Krankenhaus-Ärzte weg sind, können das die Hausärzte auf keinen Fall auffangen“, so Faltis. Er zeichnet ein für den westlichen Landkreis düsteres Bild: „Die Notärzte-Versorgung wird zusammenbrechen.“

Weil es bei der notärztlichen Versorgung bereits jetzt hakt und Leute fehlen, wo es das Schongauer Krankenhaus noch gibt, droht der Kollaps. Immer öfter rücken bei Unfälle zwei Hubschrauber an. Nicht etwa wegen mehrerer Verletzter: Ein Hubschrauber soll den Patienten transportieren, der andere fliegt einen Notarzt aus einem anderen Einsatzgebiet ein. Die Regel kann das nicht werden: „So viele Hubschrauber haben wir leider nicht“, so Faltis.

Probleme dürften den wenigen verbliebenen Notärzten auch die längeren Wege bereiten, die bei Anfahrten in weiter entfernte Kliniken anfallen. Fährt der Notarzt mit dem Patienten im Sanka die Notaufnahme Schongau an, so vergingen eine Stunde, maximal eineinhalb, rechnet Faltis vor. Bei einer Fahrt in eine weitere gelegene Klinik schlagen für Hin- und Rückfahrt zirka eine Stunde mehr zu Buche.

Rettungsdienst fährt bereits jetzt deutlich mehr Einsätze als früher

„Wir fahren am Wochenende und nachts, wir betreiben unsere Praxen. Irgendwann müssen wir uns auch ausruhen“, skizziert Faltis klar, dass der Notarzt-Job für niedergelassene Ärzte noch unattraktiver würde, als er es ohnehin schon ist. „Das wäre für uns Notärzte eine massive Belastung, die auch körperlich nicht mehr leistbar ist.“

Hinzu kommt ein weiterer Aspekt, der bislang nicht berücksichtig worden ist. Wir gehen von Fall X aus: Das Kind hat eine stark blutende Wunde. Bei einem kurzen Weg in die Notaufnahme Schongau werden die Eltern dieses Kind höchstwahrscheinlich selbst fahren, schätzen die Notärzte. Aber bei einem Weg von 30, 40 Kilometern? Hier würde wahrscheinlich schneller der Rettungsdienst zur Rate gezogen, ist sich der Notärzte-Verband Schongau sicher.

Der Hausarzt, Notarzt und Schongauer CSU-Stadtrat Dr. Jiri Faltis macht deutlich, dass an dem Übel nicht nur der Landkreis schuld sei. Die Gesundheitsministerien müssten umdenken und „es müsste mehr Geld für kleine Krankenhäuser bereitgestellt werden“.

Michael Limbrunner ist Leiter Krankentransport und Rettungsdienst im Kreisverband Weilheim-Schongau. Er weiß: Bereits jetzt ist der Rettungsdienst oft am Limit. „Wir fahren deutlich mehr als früher, das ist kein Geheimnis“, erklärt er. Hintergrund sei der „Faktor Mensch“, der greife nun mal gerne zum Telefonhörer und wählt die 112, statt den Ärztlichen Bereitschaftsdienst zu kontaktieren. „Das dauert vielen zu lang.“ So komme es mitunter zu Rettungseinsätzen, die so gar nicht vonnöten gewesen wären.

„Helfer vor Ort“ sollen ausgebaut werden

In Zahlen: Im Jahr 2022 war es zu einer Einsatzsteigerung von zehn Prozent gekommen. Insgesamt zählt Limbrunner fast 31 000 Einsätze. „Es wird uns nicht langweilig.“ Nicht von der Hand zu weisen sei es, dass die Notärzte bei einer Schließung der Notaufnahme in Schongau künftig deutlich weitere Wege auf sich nehmen müssten.

So kommt es, dass man bereits jetzt dabei sei, die Unterstützungsgruppen „Helfer vor Ort“ auszubauen, so Limbrunner. „Wir arbeiten schon am nächsten System.“ Denn: Auch bei den Helfern gehen die Einsatzzahlen nach oben. Wie sich eine Schließung des Krankenhauses Schongau konkret auf den Rettungsdienst im Landkreis auswirken könnte: Hierzu verweist Limbrunner an den Zweckverband für Rettungsdienst und Feuerwehralarmierung im Oberland (ZRF).

Der Geschäftsführer des ZRF ist im Landratsamt Weilheim-Schongau zu finden: Helmut Stork steht dem Verband vor und bestätigt Limbrunners Aussage, dass die Tendenz bei der Anzahl von Notfallereignissen im gesamten Rettungsdienstbereich Oberland – Garmisch-Partenkirchen, Bad Tölz-Wolfratshausen, Weilheim-Schongau – steigend ist. „Das ist ein bayernweiter Trend.“ Insgesamtliege eine hohe Auslastung vor; immer wieder eile Hilfe auch seitens externer Rettungsmittel aus den Nachbarleitstellenbereichen herbei. „Das erfolgt übrigens genauso im Austausch in die „andere Richtung.“

Die Situation in der Notfallrettung und im Krankentransport im Zweckverband für ZRF Oberland würde derzeit vom Institut für Notfallmedizin und Medizinmanagement der Universität München (INM) mit sogenannten Detailanalysen überprüft.

Konkret würden derzeit die Bereiche der Rettungswachen in Oberammergau, in Steingaden sowie für den Stellplatz des Rettungswagens (RTW) in Rottenbuch genau unter die Lupe genommen. „Das endgültige Ergebnis dieser Analyse liegt uns allerdings noch nicht vor“, so Stork. Außerdem habe der ZRF Oberland eine Detailanalyse im Krankentransport für den gesamten Bereich des RDB Oberland in Auftrag gegeben.

Hilfsfristen werden derzeit nicht in allen Fällen eingehalten

Die Hilfsfrist im Rettungsdienst ist in Bayern wie folgt geregelt: Notfälle im Versorgungsbereich einer Rettungswache sollen in der Regel spätestens zwölf Minuten nach dem Ausrücken eines Notfallrettungsmittels erreicht werden können. Dies muss in 80 Prozent der Notfälle erfüllt sein. „Dem entspricht die Situation in unserem Rettungsdienstbereich.“

Doch es gibt Ausnahmen: An den Rettungswachen in Oberammergau und in Steingaden werden aktuell die Hilfsfristen nicht konstant eingehalten. In diesem Versorgungsbereich würde die Hilfsfrist im Durchschnitt in zirka 70 bis 80 Prozent der Notfälle eingehalten.

(Alle News und Geschichten sind auch auf der Facebook-Seite der Schongauer Nachrichten zu finden.)

Gibt es bei der Einhaltung der Rettungsfrist Unterschiede zwischen dem Altlandkreis Schongau und dem Altlandkreis Weilheim? „Die Analysen basieren nicht auf Landkreisgrenzen, Altlandkreisen oder Verwaltungsbezirken, sondern auf Versorgungsbereichen von Rettungswachen.“ Will heißen: Bei der Hilfsfristbetrachtung in der Region Schongau sind ebenso die Kliniken Füssen, Kaufbeuren und Landsberg einbezogen – „was auch Sinn macht“.

Immer wieder hört man davon, dass es Zeitfenster gibt, in denen die Notfallversorgung nicht gewährleistet ist. „In manchen Situationen mit vielen parallelen Einsätzen, gerade in einer ländlichen Region, war und ist es stets möglich, dass die Anfahrt der Rettungsmittel einmal länger dauern kann“, so Stork. Auch er verweist an dieser Stelle durch die „Helfer vor Ort“ und auch auf die Feuerwehren, die dann unterstützend eingreifen können. „Dieses System hat sich in den vergangenen Jahren sehr bewährt.“ Stork betont allerdings auch: „First Responder und Feuerwehr stellen eine unterstützende Komponenten dar.“

Dass den „Helfern vor Ort“ und den Feuerwehren eine immer größer werdende Rolle im Rettungswesen zukommt, zeigen die Zahlen, die Stork vorlegt: Zählte man im Jahr 2012 im Landkreis noch insgesamt 695 solcher Rettungseinsätze, so waren es 2021 bereits 1205 Einsätze. Alleine im vergangenen Jahr kamen die Helfer und die Wehren bei immerhin 1550 Rettungseinsätzen zum Einsatz. Die Zahlen haben sich damit binnen zehn Jahren mehr als verdoppelt.

Kapazitäten im Rettungsdienst müssten bei einer Schließung des Schongauer Krankenhaus angepasst werden

Alarmiert werden Wehr oder Helfer vor Ort durch die Integrierte Leitstelle Oberland, wenn für den Patienten ein Zeitvorteil besteht. „Die Einsatzzahlen im regulären öffentlich-rechtlichen Rettungsdienst und im Krankentransport haben sich im Zeitraum von 2012 bis 2022 ebenfalls fast verdoppelt“, so Stork. Des weiteren hätten sich auch die Standorte der „Helfer vor Ort“ und der Feuerwehren im Rettungsdienstbezirk Oberland erhöht. „Die steigenden Zahlen im Helfer- und Feuerwehrbereich haben somit grundsätzlich nichts mit einer Unterversorgung in der öffentlichen Notfallrettung zu tun“, betont Stork.

Entfällt die Notaufnahme im Krankenhaus Schongau, müssten die Kapazitäten und Vorhaltungen im Rettungsdienst dann freilich angepasst werden. „Auch heute wird das Krankenhaus Schongau etwa bei Schlaganfall und Herzinfarkt nicht angefahren, weil die Stroke Unit in Weilheim ist“, so Stork. Für die grundsätzliche Thematik Krankenhausversorgung sei der ZRF Oberland nicht zuständig.

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Auf die Frage, ob es normal sein wird, dass – wie schon jetzt der Fall – Notärzte mit dem Hubschrauber aus anderen Regionen eingeflogen werden müssen, äußert man sich im Landratsamt vage. „Ob ein Luftrettungsmittel eingesetzt wird oder nicht, entscheiden grundsätzlich spezifische Kriterien (z.B. schnellst verfügbarer Notarzt, Diagnose, Transport in eine überregionale Spezialklinik etc). Die zuständigen integrierten Leitstellen, in unserem Fall die ILS Oberland, entscheiden über die Alarmierung im Einzelfall.“

Welche Auswirkungen es auf die Verfügbarkeit des Rettungsdienstes im westlichen Landkreis hat, wenn das Krankenhaus Schongau nur noch als Level 1i oder schlimmstenfalls gar nicht mehr zur Verfügung steht? Hier zeichnet der Schongauer Andreas Hörner ein dramatisches Bild. Hörner selbst weiß, von was er spricht: 17 Jahre war der Rettungsassistent Leitstellendisponent bei der Integrierten Leitstelle Oberland in Weilheim. Hörners These stützt die warnenden Worte des Schongauer Notärztevereins.

Im Ernstfall könne eine längere Fahrtdauer des Notarztes in eine Klinik sehr viel Zeit für einen Patienten bedeuten. Außerdem: Bis der Rettungswagen zurück am Standort Schongau ist, dauert es ebenso. Wird gar ein Rücktransport der Patientin angefordert – was passieren kann, wenn der Krankentransport des Rettungsdienstes ausgelastet ist –, können vom ersten Ausrücken bis zur Rückkehr zur Rettungswache Schongau Stunden vergehen.

„Lasst uns hoffen, dass jetzt gerade nichts passiert“

Schon vor Hörners Ausscheiden bei der Leitstelle im Jahr 2017 war es gängige Praxis, dass der Rettungswagen, der in Steingaden stationiert ist, bei einer längeren Absenz der Schongauer Kollegen an der B 17 im Bereich des Flugplatzes abgestellt wird, um im Ernstfall einen größeren Umkreis abdecken zu können. „Gebietsabsicherung“ heißt das im Fachchargon. Allerdings fehlt dieser dann ja wieder im südlichen Bereich, bei der eigenen Wache. „Solange kein Patient im Krankenwagen liegt, gibt es in der Leitstelle die Möglichkeit zu jonglieren. Wenn der Patient dann aber erst mal im Wagen liegt, dann laden Sie den ja nicht wieder aus und sagen: Tschüs, wir fahren jetzt zu einem Verkehrsunfall.“

Doch selbst in Zeiten, in denen von einer Schließung der Notaufnahme in Schongau noch keine Rede war, hätte es oft Momente gegeben, „in denen wir die nächsten 20 Minuten eine Kerze aufgestellt und gesagt haben: Lasst uns hoffen, dass jetzt gerade nichts passiert.“ Vor allem für die kleineren Orte im westlichen Landkreis sähe es in Sachen Notfallversorgung düster aus, wenn das Schongauer Krankenhaus geschlossen wird, prophezeit Hörner.

Tausende demonstrierten am Samstag für den Erhalt des Schongauer Krankenhauses. Prominente Unterstützung erhielten sie vom Kabarettisten Helmut Schleich.

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