Große oberbayerische Baufirma führt Vier-Tage-Woche ein: „Am Freitag war schon keiner mehr da“

Der zunehmende Fachkräftemangel macht den Firmen in der Region das Leben schwer. Um die eigenen Mitarbeiter zu halten und neue zu finden, setzt nun auch das Schongauer Bauunternehmen Haseitl auf die Vier-Tage-Woche. Doch wie klappt das in einer Branche, die maßgeblich vom Saisongeschäft geprägt ist?
Schongau – Was haben Skifahren und das Arbeiten bei einem Bauunternehmen gemein? Eher wenig, würde man auf den ersten Blick sagen. Im Fall der Schongauer Baufirma Haseitl dagegen ziemlich viel. Dort hängt seit kurzem ein großes Plakat neben dem Tor zum Firmengelände an der Dießener Straße. Darauf zu sehen ist, wie ein Skifahrer sich vor schneebedeckten Gipfeln den Hang hinunterstürzt.
Genau das, so die Werbebotschaft, können Haseitl-Mitarbeiter freitags erleben. Nun hat nicht jeder eine Leidenschaft fürs Skifahren, weshalb auch andere Freizeitmotive Teil der Kampagne sind. Sie eint aber alle eine Nachricht: Bei Haseitl ticken die Uhren anders.
Anfang des Jahres hat das Unternehmen, das mit 160 Mitarbeitern und einer Jahresbauleistung von rund 100 Millionen Euro zu den größten seiner Branche in Oberbayern zählt, ein neues Arbeitszeitmodell eingeführt. Für die rund 60 Mitarbeiter in der Verwaltung heißt das: Sie arbeiten seitdem nur noch montags bis donnerstags. „Am Freitag ist einzig die Geschäftsleitung im Büro“, sagt Geschäftsführer Peter Schrehardt. Haseitl ist nicht das erste Unternehmen, das diesen Schritt geht. Im vergangenen Jahr führte schon die Schongauer Holz- und Furnierfirma Osenstätter die Vier-Tage-Woche ein.
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Vier-Tage-Woche: Digitale Hilfsmittel sollen Arbeitsabläufe effizienter gestalten
Wirtschaftliche Not steckt nicht hinter der Entscheidung, an Arbeit mangle es bei dem mittelständischen Bauunternehmen nicht – trotz des aktuellen Rückgangs im Baugewerbe, betont Schrehardt. Die müssen die Mitarbeiter auch künftig bewältigen, allerdings in 38 statt bisher 40 Stunden, verteilt auf vier Tage. Digitale Hilfsmittel sollen dazu führen, dass Arbeitsabläufe effizienter gestaltet werden können, erklärt Stefan Weber, der seit zweieinhalb Jahren neben Schrehardt in der Geschäftsführung tätig ist.
Finanzielle Einbußen gibt es für die Mitarbeiter nicht. Gehalt und der Anspruch auf sechs Wochen Urlaub bleiben gleich. Für die Firma ist die Umstellung dementsprechend mit Kosten verbunden, zumal man die ein oder andere Position noch mit zusätzliche Personal verstärken müsse, sagt Schrehardt.
Doch für den Geschäftsführer ist es eine Investition in die Zukunft. Schon jetzt spürt man den Fachkräftemangel. „Wir wollen mit der Vier-Tage-Woche als Arbeitgeber interessanter werden.“ Mehr Zeit für die Familie und die Freizeitaktivitäten bieten zu können, sei angesichts von immer mehr Haushalten mit Doppelverdienern ein wichtiges Argument, sagt Schrehardt. Im Gegenzug bekomme man ausgeruhtere und motiviertere Mitarbeiter. Dabei gehe es nicht nur um die Neuakquise, sondern auch um die Bindung der Angestellten an die Firma, ergänzt Weber.
Vier-Tage-Woche: Auch die Arbeiter auf der Baustelle sollen von einem neuen Arbeitszeitmodell profitieren
Das scheint anzukommen. In der ersten Arbeitswoche habe man die Belegschaft über die geplante Änderung informiert, sagt Schrehardt. Negative Rückmeldungen habe es nicht gegeben. Im Gegenteil: „Die Mitteilung ging am Dienstag raus, am Freitag war schon keiner mehr da.“ Ganz ohne Schwierigkeiten lief die Umstellung freilich nicht. So habe man teils für Teilzeitkräfte erst Sonderlösungen finden müssen, wenn diese ihre Arbeitszeit nicht ohne weiteres auf die vier Tage verteilen konnten, sagt der Geschäftsführer.
Kompliziert wird es auch, wenn es um die Frage geht, was eigentlich mit jenen 90 Mitarbeitern ist, die nicht im Büro arbeiten, sondern ihr Geld als Maurer, Polier oder Betonbauer auf der Baustelle verdienen. Deren Arbeit ist stark witterungsabhängig und fällt vorwiegend in den wärmeren Monaten an.
In dieser Zeit sammeln die Mitarbeiter laut dem Geschäftsführer reichlich Überstunden, die während der kälteren Jahreszeit, wenn die Arbeit auf den Baustellen ruht, abgebaut werden. Ein System, das mit einer Vier-Tage-Woche allerdings nur schwer unter einen Hut zu bringen ist. Setze man das Büro-Modell 1:1 um, könnten bei einem Neuneinhalbstunden-Tag kaum noch Überstunden gemacht werden, da maximal zehn Stunden pro Tag gearbeitet werden dürfe, rechnet Schrehardt vor.

Vier- oder Fünf-Tage Woche im Wechsel?
Ein Dilemma, weshalb die Geschäftsführung auf einen Wechsel zwischen Vier- und Fünf-Tage-Woche als Kompromiss setzt. „Jeden zweiten Freitag frei wäre auch schon ein großer Unterschied zu bisher.“ Dass man hier eine Lösung finden musste, um Unfrieden zu vermeiden, darin sind sich Schrehardt und Weber einig. „Wir wollen keine Klassengesellschaft im Unternehmen.“
Noch dürfte das Arbeitszeitmodell in der Baubranche eine Ausnahme sein. Doch Schrehardt ist sich sicher: „Es wird Nachahmer geben.“ In England ist gerade ein Versuch mit 61 Firmen zu Ende gegangen, die die Vier-Tage-Woche getestet hatten. 56 Unternehmen wollen sie beibehalten.
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