Komplett nüchtern am Steuer, Bluttest negativ: Jannis (19) soll trotzdem bezahlen – oder ins Gefängnis gehen

Der Bluttest bestätigt’s: kein Alkohol, keine Drogen, der Seehauser Jannis Thude hat sich korrekt verhalten. Bezahlen soll der 19-Jährige trotzdem.
Seehausen/Innsbruck – Jannis Thude fährt einen umgebauten VW-Bus, Baujahr 2009. Er trägt gerne Mütze, darunter langes blondes Haar. Seine Kleidungswahl beschreibt er als „Skatestyle“. Jung ist er auch, 19 Jahre. Nicht, dass diese äußeren Erscheinungsmerkmale und sein Alter etwas über seinen Charakter aussagen, dass sie darauf hindeuten würden, dass er viel trinkt, gerne einen Joint raucht und vielleicht auch sonst gerne mal irgendwelche Drogen nimmt. Hat er noch nie getan, sagt er. An der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck studiert der Seehauser Wirtschaftswissenschaften. Polizisten auf Streife aber wissen nichts über ihn, sehen ihn nur. Und mit seinem Aussehen und seinem Gefährt dürfte er in das Raster „den kontrollieren wir mal“ fallen.

Zwei Tiroler Beamte haben genau das getan. Am 19. Dezember 2022, ein Montag, 12.25 Uhr – so ist’s vermerkt – hielt ihn eine Zivilstreife auf. Thude kennt das schon, es störte ihn nicht weiter. Führerschein dabei? Fahrzeugpapiere? Ob er was getrunken habe? Drogen konsumiert? Ja. Ja. Nein. Nein. Was der 19-Jährige zu diesem Zeitpunkt nicht ahnt: Er wird auf jeden Fall eine Strafe bekommen. Auch wenn er nichts falsch gemacht hat.
„Ear ja in jeder Hinsicht komplett nüchtern“: Schnell-Alkotest bei Kontrolle ergibt 0,0 Promille
Ein Schnell-Alkoholtest ergab 0,0 Promille. War Thude klar – er hatte ja nichts getrunken. Auch nicht am Vorabend, gegen 23 Uhr lag er im Bett. Ein paar Aufgaben ließen ihn die Beamten trotzdem noch erfüllen. 40 Sekunden auf einem Bein stehen, Kopf in den Nacken legen und bis 30 zählen, sodass er möglichst genau 30 Sekunden trifft, die Augen schließen und mit Fingerspitzen die Nase berühren. Hat er alles ganz in Ordnung erfüllt, würde er von sich sagen. Die Beamten waren nicht zufrieden. Ob er denn auch mit einem Urintest einverstanden wäre, wollten sie wissen. Nein, da wurde es dem jungen Mann dann doch ein wenig zu blöd. Warum auch? „Ich war in jeder Hinsicht komplett nüchtern.“ Weder habe er sich bei der Kontrolle auffällig verhalten noch sei er auffällig gefahren.
Wenig später saß er auf der Polizeiwache und wartete auf die Amtsärztin. Seinen VW-Bus musste er stehen lassen, wo er für die Kontrolle angehalten hatte: auf dem Privatparkplatz mit dem unmissverständlichen Hinweis: Widerrechtlich abgestellte Fahrzeuge werden kostenpflichtig abgeschleppt.
Amtsärztin lässt 19-Jährigen Übungen vormachen: „Habe nicht das Gefühl, dass ich da versagt habe“
Alle Balance-, Zähl- und Berührübungen vollführte Thude noch einmal. „Ich habe nicht das Gefühl, dass ich da versagt habe.“ Zudem nahm ihm die Medizinerin Blut ab. Denn eine Sache war ihr aufgefallen – dem Seehauser zufolge die einzige oder zumindest die einzige, die man ihm gesagt hatte: Seine Pupillen zeigten kaum eine Reaktion, durchaus ein Indiz für Drogenmissbrauch. „Keine Ahnung, warum“, sagt Thude. Daran jedenfalls könne es nicht liegen. Entspannt wartete er auf das Ergebnis aus dem Labor. Ungeduldig nur, weil er so schnell wie möglich seinen Führerschein zurückhaben wollte.
Ein Freund parkte am Tag nach der Kontrolle seinen VW-Bus um. Jemand hatte zwar den Spiegel eingetreten („Das braucht’s dann auch noch.“), aber immerhin stand das Vehikel noch da, ohne Strafzettel oder Parkkralle.
Drei Wochen lang fuhr Thude Rad, dann bekam er Post. Nichts war im Blut nachzuweisen, kein Alkohol und keine sonstigen Substanzen, die ihm verboten hätten, sich ans Steuer zu setzen. Alle Werte lagen bei null. Seine Lenkberechtigung, wie es im Schreiben vom 9. Januar heißt, könne er abholen. Für den Studenten war die Sache damit erledigt, nicht für die Polizei. Am nächsten Tag klingelte der Postbote an Thudes Wohnungstür in Innsbruck. Ein Einschreiben des Landespolizeidirektion Tirol. Eine Strafverfügung.
Einschreiben einen Tag nach dem negativen Bluttestergebnis: Polizei verhängt 150 Euro Strafe
Jannis Michael Thude soll 150 Euro Strafe bezahlen, wahlweise 2 Tage und 21 Minuten ins Gefängnis marschieren. Der Grund: Übermüdung. Konkret teilt man dem jungem Mann mit: „Sie haben das Fahrzeug gelenkt, obwohl Sie sich nicht in einer solchen körperlichen und geistigen Verfassung befunden haben, in der Sie vermochten, Ihr Fahrzeug zu beherrschen und die beim Lenken eines Fahrzeuges zu beachtenden Rechtsvorschriften zu befolgen, da Sie durch Übermüdung beeinträchtigt waren.“
Der Seehauser schüttelt nur den Kopf. „Das ist lächerlich.“ Topfit sei er an dem Tag gewesen. Als ob die Beamten einfach irgendetwas finden mussten, nachdem sie nichts finden konnten. So kommt’s ihm vor.
Die Pressestelle der Landespolizeidirektion Tirol geht erwartungsgemäß auf die Angelegenheit Jannis Thude nicht ein. Zu konkreten Fällen mit möglicherweise noch laufenden Verfahren könne man keine Detailauskünfte erteilen, heißt es auf Nachfrage. So bleibt nur der Verweis auf die gesetzlichen Bestimmungen nach § 58 Abs 1 StVO, der Straßenverkehrsordnung. Daraus zitiert ein Sprecher und gibt jenen Text wieder, den Thude in ähnlicher Form in seiner Strafverfügung nachlesen kann – schließlich soll er dagegen verstoßen haben. Wie so manche andere vor ihm.
19-Jähriger legt Einspruch ein - Strafe steigt um 20 Prozent
2022 wurden in Tirol 340 Anzeigen gemäß § 58 StVO erstattet, hier lag also nach Ansicht der Beamten und Amtsärzte jeweils ein „außergewöhnlicher Erregungs-/Ermüdungs-Zustand“ vor. Konkrete Zahlen nur zum Punkt Übermüdung liefert die Statistik nicht, wohl aber zu Drogen und Alkohol. In 3863 Fällen stellten die Tiroler Polizisten im vergangenen Jahr eine Beeinträchtigung durch Alkohol, in 601 Fällen durch Drogen im Straßenverkehr fest. Nur ein Bruchteil also war, wie angeblich Thude, extrem aufgeregt oder gerädert. Über 13-mal so viele Verkehrsteilnehmer haben getrunken, gekifft oder sich irgendetwas eingeworfen, bevor sie sich ans Steuer setzten.
Thude nahm sich einen Anwalt, wollte nicht einfach klein beigeben. Schließlich fühlt er sich zu 100 Prozent im Recht. Seinen ersten Einspruch hat die Tiroler Polizei nicht akzeptiert – und die Strafe ist gleich mal um zehn Prozent gestiegen. Jetzt soll er schon 165 Euro bezahlen. Wieder schüttelt Thude den Kopf. „Nur noch lächerlich.“ Erneut legte er Einspruch ein. Seit fast zwei Monaten hat er nichts mehr gehört.
Unser GAP-Newsletter informiert Sie regelmäßig über alle wichtigen Geschichten aus Ihrer Region. Melden Sie sich hier an. Noch mehr aktuelle Nachrichten aus dem Landkreis Garmisch-Partenkirchen finden Sie auf Merkur.de/Garmisch-Partenkirchen.