Experten schlagen Alarm: In diesem bayerischen Landkreis kann nur noch die „Verdiener-Elite“ bauen
Die Zahl der Baugenehmigungen im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen sinkt deutlich - weil weniger Bauanträge beim Landratsamt vorgelegt werden. Das Pestel-Institut stellt fest, dass nur noch die „Verdiener-Elite“ von den eigenen vier Wänden träumen kann.
Bad Tölz-Wolfratshausen – Wohnen in den eigenen vier Wänden: Dieser Traum platzt für immer mehr Menschen im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen. Das ist das Ergebnis einer aktuellen Analyse des regionalen Wohnungsmarkts, die das in Hannover beheimatete Pestel-Institut durchgeführt hat.
Experten schlagen Alarm: In diesem bayerischen Landkreis kann nur noch die „Verdiener-Elite“ bauen
Die Wissenschaftler geben eine eher düstere Prognose ab: In den ersten sechs Monaten dieses Jahres gab es nach Angaben des Instituts lediglich 108 Baugenehmigungen für neue Ein- und Zweifamilienhäuser im Landkreis. Zum Vergleich: Im ersten Halbjahr 2022 genehmigte das Kreisbauamt 142 Bauanträge. „Damit ist der Eigenheimbau innerhalb von nur einem Jahr um 24 Prozent zurückgegangen“, bilanziert Matthias Günther, der Leiter des Pestel-Instituts. Er sieht „das Wohneigentum weiter auf der Rutschbahn“. Um eine Kehrtwende zu erreichen, müsse der Staat schleunigst ein effektives Wohneigentumsprogramm starten.

„Der Traum vom eigenen Haus, von der eigenen Wohnung platzt gerade in Serie“, stellt Günther fest. Im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen herrsche „Schockstarre“ hinsichtlich der Anschaffung von Wohneigentum, bestätigt Katharina Metzger vom Bundesverband Deutscher Baustoff-Fachhandel, der die Analyse beim Pestel-Institut in Auftrag gegeben hat. Metzger: „Hohe Zinsen, hohe Baulandpreise, hohe Baukosten, die vor allem auch durch hohe Klimaschutz-Auflagen nach oben getrieben werden – Wohneigentum scheitert am Geld.“
Die Wohneigentumsquote im Landkreis
Vom Einfamilienhaus über das Reihenhaus bis zur Eigentumswohnung: Zwischen Icking im Norden und der Jachenau im Süden gibt es aktuell rund 28 500 Wohnungen, für die keine Miete bezahlt werden muss. Denn ihre Eigentümer nutzen sie selbst. Die Wohneigentumsquote im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen liegt damit bei rund 46,4 Prozent. Das geht aus der aktuellen Regional-Analyse zum Wohnungsmarkt hervor, die das Pestel-Institut (Hannover) gemacht hat. Zum Vergleich: Laut dem Statistischen Bundesamt beträgt die Wohnungseigentumsquote in Deutschland 42,1 Prozent – Deutschland zählt in diesem Punkt europaweit zu den Schlusslichtern. (cce)
Die Experten des Pestel-Instituts plädieren deshalb für ein „Bundes-Baustartkapital“, ein Bundes-Baudarlehen mit maximal 1,5 Prozent Zinsen als Startkredit für die Schaffung von Wohneigentum. Der Staat sollte diesen festen Niedrigzins für 20 Jahre bieten – für einen Kredit in Höhe von bis zu 4000 Euro je Quadratmeter Wohnfläche, fordert Günther. Dadurch ließe sich der Neubau von Ein- und Zweifamilienhäusern, von Eigentumswohnungen sowie Reihenhäusern im Kreis Bad Tölz-Wolfratshausen „wieder pushen“.
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Um mehr Wohneigentum möglich zu machen, sei ein mehrere Milliarden Euro schweres Darlehenspaket des Bundes notwendig. Die bestehende, erst heuer eingeführte Wohneigentumsförderung des Bundes erklärt das Pestel-Institut für gescheitert: Mit 350 Millionen Euro ließe sich bestenfalls der Neubau von 2000 Eigenheimen anschieben. Das Ziel des Bundes sollte es aber sein, betont Günther, 100.000 neue Eigenheime zu schaffen.
Schmerzgrenze bei Baufinanzierung liegt aktuell bei 40 Prozent des Haushaltseinkommens
Das Pestel-Institut hat in seiner Regional-Analyse auch einen „Machbarkeits-Check Wohneigentum“ für den Kreis angestellt. Die Wissenschaftler legten den Fokus auf ein Reihenhaus mit 95 Quadratmetern Wohnfläche, das potenzielle Zuhause für eine vierköpfige Familie. „Das Reihenhaus punktet bei den Baukosten. Außerdem ist das Verhältnis von der Wohnfläche zur Grundstücksgröße erheblich besser als beim frei stehenden Einfamilienhaus“, erklärt Ökonom Günther. Und weiter: „Bei der Bewertung der Haushalte, die sich den Neubau eines Reihenhauses leisten können, ist die Zahl der Verdiener nicht entscheidend. Es kommt nur auf die Höhe des Nettoeinkommens an.“
6.100 Euro Nettoverdienst - dazu mindestens 47.000 Euro Eigenkapital
Derzeit liege die Schmerzgrenze der monatlichen Belastung für die Finanzierung von Wohneigentum bei 40 Prozent vom Haushaltseinkommen. Das heißt konkret: „Für einen privaten Haushalt im Kreis Bad Tölz-Wolfratshausen liegt die Grenze bei einem Nettoeinkommen von 6.100 Euro pro Monat.“ Wer zudem noch über Eigenkapital von mindestens 47.000 Euro verfügt – „der sollte sich auch unter den aktuellen Bedingungen den Neubau des eigenen Reihenhauses im Kreis Bad Tölz-Wolfratshausen leisten können“. Günther räumt ein, dass es sich bei diesem Personenkreis um eine „Verdiener-Elite“ handelt. „Wirklich viele sind das nicht.“
„Bundes-Baudarlehen“: Pestel-Institut nimmt den Staat in die Pflicht
Für das Gros der Landkreisbürger „ist Wohneigentum nur machbar, wenn der Staat ihnen unter die Arme greift“. Der Leiter des Pestel-Instituts spricht von „Bauhilfen fürs Wohneigentum“, das heißt, besagtes Baudarlehen mit einem langfristig garantierten Niedrigzins. Günther: „Bei einem Bundes-Baudarlehen mit einem 1,5-Prozent-Zins würde sich das notwendige Einkommen für den Neubau eines Reihenhauses im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen auf 4000 Euro netto im Monat reduzieren.“ (cce)
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