Zwei Jahre nach Todesdrama: Karl-Heinz Zacher über das Leben ohne seine Nina

Nina Zacher, die ehemalige Wirtin der St. Emmeramsmühle in Oberföhring, verstarb an ALS. Jetzt hat Karl-Heinz Zacher die Geschichte seiner Frau in einem Buch niedergeschrieben.
München - Mit angespannten Armen steht Karl-Heinz Zacher (48) daheim in seinem Garten – und seinen rechten Unterarm ziert das lachende Gesicht seiner verstorbenen Frau. Wie ein Mahnmal schwebt eine schwarze Sanduhr darüber – umklammert von einem DNA-Strang, dessen Ausläufer sich wie Dornen ins Fleisch bohren. Eine schmerzvolle Erinnerung an eine schmerzvolle Zeit. Jene Zeit, in der Nina Zacher, die ehemalige Wirtin der St. Emmeramsmühle in Oberföhring, an ALS erkrankte – und schließlich ihr Leben ließ. Jetzt hat Karl-Heinz Zacher die Geschichte seiner Frau in einem Buch niedergeschrieben.
Bis zu ihrem Tod hat sich Nina Zacher selbst mehr als 200 Seiten Text abgerungen. Die vierfache Mutter schrieb über ihr Leben, ihr Leiden und ihr Sterben, das sie kommen fühlte. Karl-Heinz stand stets an ihrer Seite. Er war da, als seine Frau die Diagnose bekam. Als sie nicht mehr laufen konnte. Als sie nicht mehr sprechen konnte. Er war da, als die Kinder Fragen stellten. Und er ging weiter, als das Herz seiner Frau stehen blieb. Mit der Chronik eines Abschieds hat Karl-Heinz Zacher seiner großen Liebe, seiner besten Freundin und Ehefrau eine Stimme gegeben.

Gemeinsam mit Co-Autorin Dorothea Seitz ist der Ismaninger tief eingetaucht in die Seele seiner Frau. Jeden Dienstag haben sich die beiden getroffen, um Ninas Gedanken zu ordnen und schließlich zu einem Buch zu machen. „Es hat Momente gegeben“, erinnert sich Zacher, „die haben unheimlich wehgetan.“ Trotzdem machte er weiter, „weil Nina es so wollte“. Es dauerte etwa ein Jahr, bis er die Geschichte seiner Frau auf Papier in den Händen hielt. Such dir einen schönen Stern am Himmel, so lautet der Titel des Buches. Ninas Vermächtnis, erzählt auf 270 Seiten. Dieses Buch lässt erahnen, wie schwer Nina Zachers Kampf war. Ihre Worte sind schonungslos, ehrlich und direkt.
Sehr emotionaler Abschied
Mit einem Druck im rechten Daumenballen hat alles angefangen, in den Weihnachtsferien – im Winter 2011. In Ninas Nervensystem hatte sich ein furchtbarer Prozess in Gang gesetzt. Kompliziert und unaufhaltsam. Und Zachers Muskeln begannen zu versagen, Schritt für Schritt. „Frühmorgens richtet man mich auf“, schrieb Nina wenige Wochen vor ihrem Tod, „und macht mich hübsch zurecht. Doch dann, wenn es tiefste Nacht ist, kommen die drei bösen Jungs, die wütend auf mich einprügeln. Jeden Morgen erwache ich von Schmerzen geplagt wie ein gequältes Tier, dann wischt man mir die Tränen aus dem Gesicht, und alles beginnt erneut.“

Als Nina diese Zeilen schreibt, gleicht ihr Zuhause schon einer Intensivstation. Überall Medikamente, überall medizinische Hilfsmittel. Das Monster ALS hat die Frau ans Bett gefesselt, das Atmen fällt ihr immer schwerer. „Ich bin verzweifelt“, schreibt sie in ihr Tagebuch. Und: „Immer öfter wünsche ich mir, nicht mehr aufzuwachen.“ Am 21. Mai 2016 ist der Kampf schließlich vorbei: Nina Zacher schläft in den Armen ihres Mannes ein – sie stirbt im Alter von 46 Jahren. „Auch wenn wir sehr lange Zeit gehabt haben, uns auf diesen Moment vorzubereiten“, sagt Karl-Heinz Zacher, „war es doch unfassbar, als das Unvermeidliche eintrat.“ Helena, ihre älteste Tochter, habe getrauert wie eine Erwachsene. Die Kleinen hätten ein Bild. „In ihrer Vorstellung lebt Nina weiter – im Himmel, auf einem wunderschönen Stern.“ Trotzdem fehlt die junge Mutter. An Weihnachten, beim Frühstück, beim Abendessen – in jeder Minute. Was bleibt, ist die Erinnerung. Und diese Erinnerung macht Mut. Worte sind eigentlich zu schwach dafür, das alles zu sagen. Aber Karl-Heinz Zacher spürt es tief in sich: Die wahre Liebe endet nie. „Sie verändert allenfalls ihre Form“, schrieb Nina Zacher kurz vor ihrem Tod, „aber sie bleibt für immer im Herzen.“
Am 3. September 2015 trat Nina Zacher in der Sendung „Markus Lanz“ (ZDF) auf:
Chronik eines Abschieds
Das Schicksal trifft Nina Zacher aus heiterem Himmel. Mit Anfang 40 erkrankt die vierfache Mutter an ALS, einer unheilbaren Nervenkrankheit, bei der der Körper langsam zerfällt. Ihren größten Traum, ein Buch zu veröffentlichen, kann sie nicht mehr verwirklichen. Doch ihr Mann erfüllt ihr diesen letzten Wunsch und löst damit sein Versprechen ein, Ninas Kampf gegen die heimtückische Krankheit weiterzuführen. Such dir einen schönen Stern am Himmel ist ab 25. April für 14,99 Euro im Buchhandel erhältlich.
Ein Engel wacht in ihrem Garten
Als Nina Zacher die ersten Anzeichen ihrer Krankheit bemerkt hat, war ihre älteste Tochter Helena (Foto links) gerade elf Jahre alt, ihre jüngste Tochter, die kleine Lola, ein halbes Jahr. Ihre Einschulung hat die junge Mutter nicht mehr erlebt – trotzdem war sie dabei. Denn die Ismaningerin hat ihren Kindern Briefe hinterlassen: zu Weihnachten, zur Kommunion, zum Geburtstag. Karl-Heinz Zacher wird die Botschaften aus dem Jenseits aus einer kleinen Kiste holen, sobald die Zeit dafür gekommen ist.
„Liebe Lola, mein wunderschöner Schmetterling“ – mit diesen Worten beginnt ein Brief an ihre Jüngste. „Wenn du morgens zu mir ins Bett gekrabbelt bist, mit deinem wunderbaren Lächeln und deinen wuscheligen Haaren, dann war meine Welt in Ordnung.“ Am Ende des Briefs steht ein Versprechen: „Ich werde dich immer auf deinem Weg begleiten, auch wenn ich körperlich nicht mehr vorhanden bin.“
Mit ihren Worten hat Nina Zacher Bilder gemalt und dafür gesorgt, dass ihre Kinder besser mit ihrem Tod umgehen können. „Such dir einen schönen Stern am Himmel“, heißt es auch in dem Brief, den die kleine Lola zu ihrem fünften Geburtstag bekommen hat. „Einen, der besonders hell leuchtet, auf dem werde ich sitzen und dich beschützen. Irgendwann werden wir uns wiedersehen.“
Bis es so weit ist, lebt Nina Zacher im Herzen ihrer Familie weiter. In ihrer Erinnerung, auf Fotos, im Gespräch. „Ich glaube, dass wir viel zu offen mit allem umgegangen sind, als dass eine Kluft hätte entstehen können“, erzählt Zacher. Nach Lolas Einschulung ist die Familie gemeinsam zum Friedhof gefahren. „Lola wollte ihrer Mama ihre Schultüte zeigen“, erinnert sich der Ismaninger. Im Südwesten des Parks, im Schatten einer uralten Eiche, liegt Ninas Grab. Die Mitte des hellen Granitsteins ist von der Silhouette eines Engels durchbrochen. Das Gegenstück steht bei den Zachers daheim im Garten. „Da haben wir ihn immer schön im Blick.“
Auch wenn die Familie einen Weg gefunden hat, mit dem Verlust umzugehen, ist ihre Trauer immer noch da. „Dieses Gefühl lässt sich ja nicht einfach von der Wand abhängen wie ein Bild“, sagt Karl-Heinz Zacher. Jeden Abend zündet er mit seinen Kindern eine Kerze an. Wenn das Licht der Liebe ihr Wohnzimmer wärmt, spüren die fünf, dass ihre Nina immer noch bei ihnen ist.
Stichwort: ALS
Die Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) tötet schleichend. Zuerst lähmt sie Arme, Beine und Zunge. Zum Schluss, wenn der Körper zu schwach ist, um genug Sauerstoff in die Lungen zu pumpen, versagt die Atmung. Geistig bleiben die Patienten aber voll im Hier und Jetzt. Die Ursachen von ALS sind bisher unklar, die unheilbare Nervenkrankheit ist wenig erforscht. Den meisten Patienten bleiben nach der Diagnose drei bis fünf Jahre zu leben.
Sarah Brenner