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Lokal im Glockenbachviertel vor dem Aus - Afghanin aus München bangt um Familie und Existenz

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Ist im Begriff, alles zu verlieren: Narges Amerchel muss ihr Restaurant „Bamyan Narges“ schließen. Gleichzeitig kann sie vor Sorge um ihre Familie nicht mehr schlafen
Ist im Begriff, alles zu verlieren: Narges Amerchel muss ihr Restaurant „Bamyan Narges“ schließen. Gleichzeitig kann sie vor Sorge um ihre Familie nicht mehr schlafen. © Achim Schmidt

Eine Münchner Gastronomin aus Afghanistan bangt um das Leben ihrer Liebsten in der Heimat. Sie selbst steht hier in Deutschland vor den Scherben ihrer Existenz.

München - Narges Amerchel sitzt in ihrem Restaurant und weint. Eigentlich müsste die Gastronomin mitten im Umzugsstress sein – ihr wurde gekündigt. Sie müsste Kisten packen, Tische schleppen, die liebevoll angebrachte Deko abhängen. Auch das große Buddha-Bild, das an der Wand ihres afghanischen Lokals Bamyan Narges hängt, muss weg. Es erinnert Amerchel an einen der schönsten Momente ihres Lebens: Als kleines Mädchen beobachtete sie zusammen mit ihrer Mama in einer der beiden über 55 Meter hohen Buddha-Statuen in Bamiyan den Sonnenuntergang. „Die Sonne versank zwischen Bergen und Sand, es waren unbeschreiblich schöne Farben. Es war mein Lebenstraum, diese schöne Erinnerung an Afghanistan nach Deutschland herüberzuretten.“

Die Buddhas gibt es nicht mehr, sie wurden 2011 von den Taliban zerstört. So wie jetzt auch Amerchels Lebensglück: Die Familie der Afghanin sitzt in Kabul fest. Sie selbst steht in München* vor den Scherben ihrer Existenz.

München: Afghanisches Lokal im Glockenbach sichert Existenz - dann kam Corona

Vor elf Jahren eröffnete die 35-Jährige ihr afghanisches Restaurant an der Hans-Sachs-Straße 3 im Glockenbachviertel. „Der Anfang war hart“, erinnert sie sich. „Vorher war hier eine Schwulenbar drin. Es dauerte lang, bis ich akzeptiert wurde.“ Doch die tüchtige Geschäftsfrau kämpfte sich durch. Gemeinsam mit ihrer Familie etablierte sie ihr Lokal im Viertel, gewann viele Stammkunden. „Es war immer sehr viel Arbeit, aber wir waren zufrieden und konnten gut leben.“

Und dann kam Corona. „Ich konnte die Kosten von etwa 10.000 Euro im Monat nicht mehr aufbringen.“ Fördermittel seien zu spät gekommen und hätten nicht ausgereicht. Der Vermieter habe kein Erbarmen gehabt. „Ich war mit der Miete im Rückstand und er hat mir gekündigt.“ Zum 31. August muss Amerchel raus. Einen Berg Schulden nimmt sie mit.

Doch ihr fehlen Zeit und Energie, sich um ihre Probleme zu kümmern, womöglich ein neues Lokal zu finden. „Ich brauche meine ganze Kraft jetzt für meine Familie“, sagt sie. Die Töchter (15 und 18 Jahre alt) ihres Mannes, Brüder und Schwestern, ihre Tanten, Cousins und Cousinen sitzen in Kabul fest. „Ich weiß nicht, wo sie sind“, sagt Amerchel verzweifelt. „Die Töchter meines Mannes haben sich wohl in einem Keller verbarrikadiert.“ In einem Video, das die Mädchen geschickt haben, weinen und rufen sie nach ihrem Vater. Dann brach der Kontakt ab.

Münchner Gastronomin bangt um Angehörige in Afghanistan - „Weiß nicht, wo sie sind“

Zwei Tage bevor die Taliban in Kabul einmarschiert sind, telefonierte Amerchel noch mit ihrer Tante. „Meine Tante hat die Katastrophe kommen sehen. Sie hat sich und ihren vier Töchtern die Haare abgeschnitten und die Brüste abgeklebt, damit sie nicht als Frauen erkennbar sind. Dann sind sie geflohen. Ich weiß nicht, wo sie jetzt sind.“

Dass sie kaum etwas tun können, bricht ihr und ihrem Mann das Herz. „Ich hänge jeden Tag stundenlang am Telefon, um jemanden beim Auswärtigen Amt zu erreichen“, sagt Amerchel. Mittlerweile hat sie von der Ausländerbehörde erfahren, dass Angehörige aus Deutschland keinen Antrag auf ein Eilvisum für Angehörige in Afghanistan stellen können. „Die Leute müssen in Afghanistan selbst einen Antrag stellen. Aber das ist momentan unmöglich, weil die Taliban die Botschaften umstellt haben und sie mit Waffengewalt abriegeln.“

Eine weitere Familie aus München ist währenddessen vorläufig mit der Ausreise aus Afghanistan gescheitert. Hier waren jedoch US-Streitkräfte das Hindernis*. Wie es weitergehen soll, weiß Amerchel nicht. Aber sie will weiterkämpfen. Für ihre Familie – und ihren Lebenstraum. (Daniela Pohl) tz.de/muenchen ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA

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