Und dann kam Corona. „Ich konnte die Kosten von etwa 10.000 Euro im Monat nicht mehr aufbringen.“ Fördermittel seien zu spät gekommen und hätten nicht ausgereicht. Der Vermieter habe kein Erbarmen gehabt. „Ich war mit der Miete im Rückstand und er hat mir gekündigt.“ Zum 31. August muss Amerchel raus. Einen Berg Schulden nimmt sie mit.
Doch ihr fehlen Zeit und Energie, sich um ihre Probleme zu kümmern, womöglich ein neues Lokal zu finden. „Ich brauche meine ganze Kraft jetzt für meine Familie“, sagt sie. Die Töchter (15 und 18 Jahre alt) ihres Mannes, Brüder und Schwestern, ihre Tanten, Cousins und Cousinen sitzen in Kabul fest. „Ich weiß nicht, wo sie sind“, sagt Amerchel verzweifelt. „Die Töchter meines Mannes haben sich wohl in einem Keller verbarrikadiert.“ In einem Video, das die Mädchen geschickt haben, weinen und rufen sie nach ihrem Vater. Dann brach der Kontakt ab.
Zwei Tage bevor die Taliban in Kabul einmarschiert sind, telefonierte Amerchel noch mit ihrer Tante. „Meine Tante hat die Katastrophe kommen sehen. Sie hat sich und ihren vier Töchtern die Haare abgeschnitten und die Brüste abgeklebt, damit sie nicht als Frauen erkennbar sind. Dann sind sie geflohen. Ich weiß nicht, wo sie jetzt sind.“
Dass sie kaum etwas tun können, bricht ihr und ihrem Mann das Herz. „Ich hänge jeden Tag stundenlang am Telefon, um jemanden beim Auswärtigen Amt zu erreichen“, sagt Amerchel. Mittlerweile hat sie von der Ausländerbehörde erfahren, dass Angehörige aus Deutschland keinen Antrag auf ein Eilvisum für Angehörige in Afghanistan stellen können. „Die Leute müssen in Afghanistan selbst einen Antrag stellen. Aber das ist momentan unmöglich, weil die Taliban die Botschaften umstellt haben und sie mit Waffengewalt abriegeln.“
Eine weitere Familie aus München ist währenddessen vorläufig mit der Ausreise aus Afghanistan gescheitert. Hier waren jedoch US-Streitkräfte das Hindernis*. Wie es weitergehen soll, weiß Amerchel nicht. Aber sie will weiterkämpfen. Für ihre Familie – und ihren Lebenstraum. (Daniela Pohl) tz.de/muenchen ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA
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