Arm durch Wohnen: In München geht ein Großteil für die Bleibe drauf

Diese Zahlen sind eine soziale Sirene: 30 Prozent aller Münchner Mittelschicht-Haushalte blättern schon mindestens 40 Prozent ihres Einkommens für die Miete hin!
München - Die Wohnsituation in München wird immer verheerender. Für das Alter vorsorgen oder eine Berufsunfähigkeitsversicherung abschließen? Dafür scheint in München kaum noch was übrig zu sein. Kann sich die Mittelschicht die Stadt bald nicht mehr leisten? Sozialreferentin Dorothee Schiwy (45, SPD ) warnt: „Die Wohnungsknappheit in München hat in den letzten Jahren massiv zugenommen. Nicht nur Geringverdiener leiden unter dem Mangel an bezahlbarem Wohnraum. Auch die Mittelschicht – gerade junge Familien – können sich die hohen Mieten zunehmend weniger leisten.“
Zur Mittelschicht zählt, wer als Familie mit zwei Kindern mehr als 2835 Euro netto monatlich verdient, aber höchstens 9450 Euro. Zwar haben die Münchner mit einem durchschnittlichen Einkommen von fast 49.000 Euro jährlich ein höheres Gehalt als die meisten Deutschen. Aber mit durchschnittlich 15,72 Euro für den Quadratmeter ist dafür die Miete umso irrer. Besonders teuer sind kleine Wohnungen mit 20 bis 40 Quadratmetern. Hier werden meistens über 18 Euro pro Quadratmeter fällig. 2012 lag diese Zahl für solche Wohnungen noch bei 14,43 Euro. Seit 2010 sind die Mieten um fast 50 Prozent teurer geworden, die Löhne sind aber nur um 26 Prozent gestiegen.
Überraschung für Tausende Münchner: Sie sollen ihre Miete rückwirkend versteuern - für einen Anwalt ein „Skandal“.
Welche Gründe führen dazu, dass die Stadt so teuer ist?
Viele haben sich längst von dem Gedanken verabschiedet, zentrumsnah zu wohnen – und nehmen Viertel ins Visier, die alles andere als angesagt sind. Aber auch im Hasenbergl oder in Neuperlach haben die Preise angezogen. Statt Mietwohnungen zu moderaten Preisen entstehen da jetzt schmucke Neubauten wie das Kulturquadrat in Neuperlach Zentrum mit goldfarbenen Fassaden-Elementen. 546.500 Euro kostet eine Eigentumswohnung, 70 Quadratmeter, drei Zimmer. Verkaufsstart war am Wochenende – und die Geschäfte laufen gut.
Anfang der 80er-Jahre hat ein berühmter Rockstar in München gelebt und geliebt. Es war der Rückzugsort der Musik-Ikone. Nun wird sein Liebesnest verkauft, zu einem stolzen Preis.
Denn bei Kapitalanlegern steht München hoch im Kurs. Laut Reiner Braun vom Berliner Forschungsinstitut Empirica ist das einer der Gründe, warum die Stadt so teuer ist. „So lange die Zinsen nicht auf mindestens drei Prozent steigen, ist München - wie andere Städte auch - bei Kapitalanlegern beliebt.“ Was kann die Stadt tun? „Komplett neue Stadtviertel errichten und diese verkehrlich anschließen“, sagt Braun. Ihm zufolge besteht das Münchner Problem nicht so sehr in teuren Mieten - diese Herausforderung müssen auch Hamburger und Berliner stemmen. „Das eigentliche Problem ist, dass es auch außerhalb Münchens teuer ist. Wer in Hamburg 30 Kilometer rauszieht, zahlt ein Drittel weniger. In München dagegen muss man 100 Kilometer rausziehen, um wirklich günstiger zu wohnen.“ Die Politik versucht, gegenzusteuern, aber das sind bloß Tropfen auf dem heißen Stein. Wohngeld zum Beispiel wird für Alleinstehende nur bis 522 Euro bezahlt - die meisten Münchner Wohnungen sind teurer. Das Baukindergeld für Familien mit einem Einkommen bis zu 75.000 Euro beläuft sich bei einem Kind auf 12.000 Euro. Bei den Immobilienpreisen deckt das noch nicht einmal die Grunderwerbssteuer.
Umfrage: Münchens Einwohner und ihre Wohnsituation
Etwas sparen? Ist nicht drin! Er sieht in München keine Zukunft für sich: Manuel B. (27) arbeitet bei der Polizei als Oberkommissar, verdient vergleichsweise gut. Doch für sein WG-Zimmer in der Lindwurmstraße bezahlt er 900 Euro pro Monat. Manuel B. kommt aus Nürnberg, -wurde nach München versetzt. „In Nürnberg würde ein vergleichbares Zimmer 300 Euro kosten“, sagt er. Alle monatlichen Kosten abgezogen, bleibt Manuel B. kein Geld, das er beiseite legen könnte. „Klar könnte ich auf mein Auto verzichten. Aber ich habe studiert und arbeite Vollzeit. Es kann doch nicht sein, dass ich mir nicht mal das leisten kann.“
Der Kampf einer alleinerziehenden Mutter: Eva P. (45) lebt mit ihrem Sohn (7) in einer 65-Quadratmeter-Wohnung und zahlt 850 Euro warm im Monat. Das ist die Hälfte des Gehalts der Alleinerziehenden. Als die Erzieherin die Wohnung in Schwabing vom Amt zugewiesen bekam, dachte sie, es sei eine preisgebundene Sozialwohnung. Doch: Es war eine Wohnung des Einkommensorientierte-Förderung-Modells. Eva P. bekommt monatlich 200 Euro Zuschuss, die Miete wurde aber schon mehrmals erhöht. Gegen die letzte Erhöhung ist Eva P., wie auch weitere Mieter, vor Gericht gegangen. Das Urteil in zweiter Instanz fällt am Mittwoch. „Nochmal mehr Miete kann ich mir nicht mehr leisten.“
Immobilien-Wahnsinn: Münchner wehren sich gegen zwei Fälle
Zu wenig Platz für die Kinder: Eigentlich geht’s Aglaja Adam (37) und ihrem Mann Manuel Schwarz (34) hervorragend. Die beiden Journalisten und ihre Kinder Anton (5) und Carlotta (2) haben eine Dreizimmer-Wohnung in traumhafter Lage in Untergiesing und zahlen 1100 Euro warm. Doch die Kinder werden größer - und brauchen ein eigenes Reich. Seit 2015 sucht die Familie eine Vier-Zimmer-Wohnung. Sie würde gern im Viertel bleiben. „Das scheint fast aussichtslos zu sein. Oft sind die Mietpreise utopisch hoch, über 2000 Euro sind keine Seltenheit“, sagen sie.
In München sind die Mietpreise immer wieder Diskussionsthema. Und auch dieses Beispiel einer offiziellen Plattform gießt wieder Öl ins Feuer.

800 € für eine Absteige: Petra Anglbauer (33) verdient als Bürokauffrau 1900 Euro netto. Für sich und ihre Tochter sucht sie eine Zwei-Zimmer-Wohnung, 800 Euro warm. Angeboten hat man ihr bisher: ein Wohn-Klo für 800 Euro kalt. „Ich könnte es verstehen, wenn ich im Lehel gesucht hätte. Aber wir reden von Neuperlach.“ Bis sie etwas findet, wohnt sie bei ihrem Bruder.
Ein zweites Kind? Hier unmöglich! Wenn sie ein weiteres Kind möchten, müssen sie raus aus München: Iris F. (42) lebt mit ihrem Mann und ihrem fünfjährigen Sohn in einer Dreizimmer-Wohnung. 1300 Euro zahlt die Familie für 90 Quadratmeter. Iris F. ist selbstständige Grafikdesignerin, ihr Mann Architekt: „Wir verdienen nicht schlecht - wieso können wir uns keine Vierzimmer-Wohnung leisten?“, fragt sie. Das Paar sucht schon länger nach einer größeren Wohnung, doch jede Miete geht über die 50 Prozent-Grenze des Gehalts hinaus. „Da bekommt man Existenzängste“, sagt die 42-Jährige.
Zwei Jobs für zwei Zimmer nötig: Saddiq M. hat zwei Jobs angenommen, um in München leben zu können: Der 30-Jährige ist Apothekenmanager und Dolmetscher, damit er sich seine Zwei-Zimmer-Wohnung in Moosach leisten kann. 1200 Euro muss er für 50 Quadratmeter ausgeben. „Man müsste meinen, dass eine Festanstellung reicht, um eine Wohnung in München zu mieten“, sagt er. „Aber ich zahle trotzdem um die 50 Prozent meiner beiden Gehälter - nur fürs Wohnen!“ 40 Stunden die Woche arbeitet er festangestellt als Apothekenmanager, etwa 40 Stunden im Monat übersetzt er auf 450-Euro-Basis Afghanisch, Urdu, Hindi, Englisch und Russisch. Der 30-Jährige hat sich aber an die Situation gewöhnt: „Die Mieten in München sind nunmal teuer“, sagte er. „Dann muss man halt an anderen Stellen sparen.“ Eine kleinere Wohnung kommt für ihn nicht in Frage. Bis vor Kurzem hatte noch sein jüngerer Bruder bei ihm gewohnt. Für seine Besuche möchte Saddiq M. immer genug Platz in seiner Wohnung haben. Früher hatte er eine Ein-Zimmer-Wohnung, die sich für ihn nicht mehr gelohnt hat. „Damals wurde die Miete von 450 Euro auf 600 Euro erhöht. Ich hoffe wirklich, dass mir das in meiner jetzigen Wohnung nicht passiert“, so Saddiq M.

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bst, kab, wei
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