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Belastung, Überstunden: Stundenprotokoll zeigt dramatischen Corona-Alltag auf Münchner Intensivstation

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Von: Dorita Plange

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Ein Mitarbeiter auf der Intensivstation des Uniklinikums rechts der Isar überprüft die Medikamenten-Infusion eines Patienten.
Ein Mitarbeiter auf der Intensivstation des Uniklinikums rechts der Isar überprüft die Medikamenten-Infusion eines Patienten. © Falk Heller

Corona auf der Intensivstation: Michaela Gramlich leitet im Uni-Klinikum rechts der Isar eine große Station für Covid-19-Patienten. Hier lesen Sie das Stundenprotokoll ihrer Station.

München – Eigentlich wäre Michaela Gramlich, 34, über die Feiertage gern bei ihren Eltern daheim im mittelfränkischen Gunzenhausen gewesen. Corona* machte einen Strich durch diesen schönen Plan. Stattdessen war sie am Heiligen Abend bereits um 6 Uhr früh in der Klinik, kam erst nachmittags wieder heim. Erschöpft schlief sie auf dem Sofa ein, aß abends die Reste des indischen Mahls vom Vorabend – und ging ins Bett. Keine Kraft mehr für Weihnachtsromantik und auch nicht für vergnügte Neujahrs-Zerstreuung.

Michaela Gramlich ist Fachkrankenschwester für Intensivpflege und Anästhesie mit Bachelor im Pflegemanagement. Gleich nach dem Fernstudium übernahm sie Anfang Juli die Stationsleitung der Intensivstation IS1 im Münchner* Uniklinikum rechts der Isar. 15 Covid-Patienten liegen zurzeit auf ihrer Station – die meisten werden beatmet. Weitere acht Schwerkranke liegen auf einer zweiten Intensivstation der Klinik. Zusätzlich werden 54 Covid-Erkrankte auf Normalstationen behandelt – 77 Corona-Patienten also insgesamt. So sieht der Tag von Stationsleiterin Gramlich mitten in der Pandemie aus:

Ein Tag auf der Covid-Intensivstation in München - 6.30 Uhr: Es geht los

Michaela Gramlich trifft in der Klinik ein – rechtzeitig für die Übergabe der Nachtschicht, die meist aus zehn Pflegekräften und drei Ärzten besteht. Neuzugänge, Verlegungen und die Todesfälle werden besprochen. „Es sterben jetzt einige“, sagt Gramlich. „Eine professionelle Abgrenzung ist da sehr wichtig. Und doch geht das an niemandem spurlos vorbei. Es gab ja persönliche Kontakte zu den Patienten, wir haben miteinander gesprochen.“

Belastend auch, wenn Patienten ins künstliche Koma versetzt werden müssen: „Sie merken ja, das jetzt etwas geschieht, wenn plötzlich mehrere Leute ins Zimmer kommen. Es ist sehr wichtig, ihnen alles genau zu erklären.“ Die Wahrheit ist aber auch: Die Wahrscheinlichkeit, wieder zu erwachen, liegt bei etwa 50 Prozent. Die Erholung dauert oft viele Wochen.

Der Tod hat es meist nicht eilig auf der Corona-Station. Er kündigt sich an – mit absinkenden Werten, die ab einem bestimmten Punkt nicht mehr zu stabilisieren sind. Es ist dann die traurige Aufgabe der Ärzte, die Angehörigen zu informieren, dass der Kampf verloren ist. Angehörige bekommen auf der IS 1 Zutritt, wenn ein Patient im Sterben liegt. „Wir statten sie dann komplett mit Schutzkleidung aus und stehen ihnen auch zur Seite. Nur berühren dürfen sie den Patienten nicht. Das ist für viele sehr schwer, aber es muss leider sein.“

Der Abschied darf nicht recht viel länger als eine Stunde dauern. „Er bedeutet eine zusätzliche Belastung fürs ganze Team. Aber wir möchten das doch ermöglichen, weil es einfach eine Frage der Menschlichkeit ist.“

Ein Tag auf der Covid-Intensivstation in München - 7 Uhr: Medikamente bestellen, Mails lesen

Michaela Gramlich geht in ihr Büro auf der Station. Ihre Tür steht jedem Mitarbeiter offen, der reden will oder Fragen hat, auch zu persönlichen Sorgen. E-Mails müssen gelesen und beantwortet werden. Sie kontrolliert das Lager, bestellt Medikamente in der Krankenhaus-Apotheke.

Ein Tag auf der Covid-Intensivstation in München - 9 Uhr: Der Dienstplan ist wie ein Puzzle

Ein Kaffee wäre jetzt schön, und eine Semmel. Klappt oft, aber nicht immer. Gegessen wird – wenn überhaupt – am Schreibtisch: „Ich möchte den Aufenthaltsraum nicht blockieren. Dort dürfen sich zurzeit immer nur zwei Kollegen aufhalten.“ Das Telefon steht selten still. „Der Urlaubsplan liegt seit vier Wochen auf Halde, weil ich nicht dazu komme.“ Priorität hat immer der Dienstplan: „Ein einziges Riesen-Puzzle. Mitte Dezember waren an einem Tag plötzlich 13 unserer 50 Pflegekräfte krank. Es gibt ja auch noch andere Krankheiten als Covid-19.“

Jeder Mitarbeiter misst zweimal täglich seine Temperatur. Wer leichte Symptome oder erhöhte Temperatur hat, bleibt zu Hause. Die Corona-Testergebnisse kommen abends zwischen 18 und 21 Uhr. „Erst dann weiß ich sicher, wer am nächsten Tag kommt.“

Der Vormittag vergeht wie im Fluge mit Verlegungen, Reinigungskontrollen, Absprachen jeder Art. Erst zwei Wochen vor Weihnachten wurde die IS 1 zu einer reinen Corona-Station umfunktioniert. „Bis dahin waren wir eine postoperative Intensivstation. Der Übergang war extrem schwierig, weil wir die Mitarbeiter-Teams aufteilen und strikt trennen mussten von den frisch Operierten und den Covid-19-Patienten.“

Ältere Mitarbeiter können oder wollen nicht mehr direkt „ans Bett“ – wie die direkte Versorgung der Patienten genannt wird. „Sie sind dann die Springer, die auf dem Flur bleiben und den Teams im Zimmer das Material anreichen.“ Wahrlich nicht jeder ist für diesen harten Beruf geschaffen: „Einer unserer Zeitarbeiter kam mit seiner Angst vor einer Infektion nicht klar und ging. Das muss man akzeptieren. Die psychische Belastung ist sehr hoch.“ Ebenso wie die körperlichen Strapazen: „Ich sehe durchgeschwitzte Kollegen, die nach drei Stunden Voll-Konzentration in Plastikkittel, Gummihandschuhen, Haube, Mundschutz und Visier erschöpft aus dem Zimmer wanken. Das ist einfach wahnsinnig anstrengend.“

Improvisationstalent ist auch gefragt: „Die Türen zu den Patientenzimmern müssen fest geschlossen bleiben. Wir haben Babyphones vor die Türen gelegt zur Überwachung der technischen Alarme. Das hat ein Kollege erfunden – funktioniert super.“

Im Frühjahrs-Lockdown 2020 wurde das Intensivteam noch öfter von Medizinstudenten unterstützt. „Aber jetzt läuft die Uni weiter und das macht sich bemerkbar. Derzeit betreut jeder Mitarbeiter in seiner Schicht im Schnitt drei Patienten – das ist das absolute Maximum.“

Ein Tag auf der Covid-Intensivstation in München - 12.30 Uhr: Einräumen und kontrollieren

Die Apotheken-Lieferung trifft ein. „Ich schaue alles durch und räume es ein. So kann ich die Leute entlasten. Ich verlange unheimlich viel von meinem Team, aber auch von mir selbst. Wer drei Patienten versorgen muss, sollte nicht noch Bestellungen organisieren müssen.“

Ein Tag auf der Covid-Intensivstation in München - 13 bis 14.30 Uhr: Zeit für Gespräche

„Ich versuche, jedem zu helfen, so gut ich kann. Ich sehe, dass alle angespannt und belastet sind. Aber sie halten zusammen. Sie springen füreinander ein, sie schieben Doppeldienste. Ich bin so stolz auf dieses Team.“

Ein Tag auf der Covid-Intensivstation in München - 15 Uhr: Jetzt wäre Feierabend – eigentlich

Michaela Gramlichs reguläre Arbeitszeit von 7,7 Stunden ist längst vorbei. „Meistens wird es eher 16 Uhr. Wenn meine beiden Stellvertreterinnen nicht da sind, wird es auch mal 18 Uhr.“ All die Anrufe im Laufe des Abends gar nicht eingerechnet. „Das gehört zurzeit einfach dazu.“

Ein Tag auf der Covid-Intensivstation in München - 19 Uhr: Endlich daheim

„Früher habe ich gern noch gelesen oder Sport gemacht“, sagt Gramlich. „Im Moment reicht’s eher nur noch für seichte Filme.“

Ein Tag auf der Covid-Intensivstation in München - 20 Uhr: Entspannung auf dem Sofa

„Wahrscheinlich bin ich da schon auf dem Sofa eingeschlafen – sagt jedenfalls mein Freund“, erzählt Gramlich und schmunzelt. Er ist Patentanwalt von Beruf: „Wir vermeiden bewusst das Thema Klinik. Aber er ist immer für mich da, wenn ich ihn brauche.“ Klinik-Probleme bespricht die 34-Jährige mit Kollegen und vor allem mit ihrer Schwester, die ebenfalls auf einer Intensivstation arbeitet: „Weil sie vom Fach ist, versteht sie, was ich meine. Das tut mir gut.“

Dass die Familie sich Sorgen um sie macht, ist ihr bewusst: „Aber sie wissen auch, dass ich sehr vorsichtig bin. Ich war schon im Sommer vorsichtiger als viele andere. Man wird leicht menschenscheu, wenn man jeden Tag sieht, was dieses Virus anrichten kann.“

Den nächsten Wochen und Monaten sieht Gramlich mit Sorge entgegen: „Es gibt Notfallpläne, wie wir Intensivbetten in anderen Abteilungen aufstocken könnten. Doch selbst, wenn die Covid-Welle vorbei ist, kommen all die Operationen, die aufgeschoben wurden. Bereits im letzten Sommer gab es einen enormen OP-Rückstau.“

Aber auch in der Pandemie gibt es Glücksmomente: „Im Herbst kam einer unserer ehemaligen Covid-19-Patienten zu uns. Er wollte uns persönlich danken, dass wir ihm das Leben gerettet haben. Er war sogar schon wieder ziemlich fit. Wir haben uns alle sehr gefreut.“

Urlaub hatte Michaela Gramlich im ganzen letzten Jahr nicht. Ihr Traum: „Einfach irgendwo in der Wärme am Wasser sitzen, die Beine baumeln lassen, mit einem Drink in der Hand und meinem Partner an meiner Seite. Und wenn es nur ein Wochenende wäre. Das wär’s.“ - *tz.de ist Teil des Ippen-Netzwerks.

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