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„Dem Spekulationsmarkt entziehen“: Münchner Mieter wollen ihr Haus kaufen – Mammutprojekt nimmt Formen an

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Von: Leoni Billina

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Sie wollen ihr Zuhause retten: Hendrik Wirschum, Katrin Göbel und Andy Ebert (v.li.) vor ihrem Mietshaus.
Sie wollen ihr Zuhause retten: Hendrik Wirschum, Katrin Göbel und Andy Ebert (v.li.) vor ihrem Mietshaus. © Oliver Bodmer

Mieter aus Haidhausen wollen das Haus, in dem sie wohnen, kaufen. Die Noch-Eigentümer sind verkaufsbereit, allerdings hapert es noch an der Finanzierung.

München – Katrin Göbel, Hendrik Wirschum und Andy Ebert sitzen am Holztisch in Göbels Wohnung. Die drei sind Mieter des Wohnhauses an der Wörthstraße 8 in Haidhausen. Und sie haben ein Mammut-Projekt gestartet: Sie wollen ihr Mietshaus kaufen.

Ein finanzielles Abenteuer aus einfachem Grund: „Im Juli 2022 haben wir erfahren, dass unser Haus auf einem Immobilienportal angeboten wird“, erzählt Wirschum. Der Schock saß tief, die Mieter malten sich Horrorszenarien aus: Verkauf an einen Investor, Luxussanierungen, Auszug. Für Münchner und besonders Haidhauser Verhältnisse sind die Mieten im Haus an der Wörthstraße bisher niedrig. Im Schnitt liegen sie bei neun bis zehn Euro.

Mietshaus-Syndikat-Projekt in Haidhausen: 13 Mietparteien wollen zusammen Haus kaufen

Daher ging bei den Mietern das Grübeln los: Was können wir tun? Die Idee, sich direkt an die Eigentümer, ein Geschwisterpaar, zu wenden, kam von Katrin Göbel. Sie schrieben an die Hausbesitzer – und bekamen positives Feedback.

So nahm die Idee Gestalt an: ein Mietshaus-Syndikat-Projekt starten. Bedeutet: Statt eines Investors kaufen die Mieter selbst das Haus. „Wir sind dann auf der einen Seite Mieter, auf der anderen Vermieter, Hausverwalter, Besitzer“, sagt Ebert. „Das Haus gehört dem Haus“, wie Wirschum sagt.

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Haidhausen: Idee zum Kauf steht, Finanzierung noch nicht

An der Wörthstraße 8 leben 28 Menschen in 13 Parteien. Seit September treffen sie sich wöchentlich, entwarfen eine Webseite (www.woerth8.de), besprechen sich, schmieden Pläne. Der erste Schritt war die Gründung eines Vereins: Wörth 8 e.V. Der soll in Zukunft Gesellschafter der GmbH sein, der das Haus gehören wird.

Göbel, Wirschum, Ebert und ihren Nachbarn spielt dabei in die Karten, dass die Noch-Eigentümer bereit sind, auf sie zuzugehen. Die Schwester würde ihren Teil des Hauses an eine Stiftung übergeben, der Bruder an die Mieter verkaufen. Dann soll ein komplexes Tausch- und Verkaufsprozedere folgen – bei dem am Ende das Haus den Bewohnern – beziehungsweise der GmbH – gehört und der Boden der Stiftung. Jährlich zahlen die Mieter dann eine Erbpacht an die Stiftung, die dieses Geld wiederum in soziale und kulturelle Projekte investiert.

Mietshaus-Syndikat

Das Prinzip des Mietshaus-Syndikats funktioniert so: Hinter dem Hausprojekt steht eine GmbH. Gesellschafter dieser GmbH sind zum einen ein Verein, den die Bewohner gründen, zum anderen das Mietshäuser Syndikat als eine Art Kontrollorganisation. Beide haben ein Stimmrecht: In Angelegenheiten wie Hausverkauf, Umwandlung in Eigentumswohnungen oder ähnlichen Zugriffen auf das Immobilienvermögen. Eine Stimme hat das Mietshaus Syndikat, die andere Stimme der Verein. Dadurch wird verhindert, dass beispielsweise spätere Bewohner entgegen der ursprünglichen Idee des Projekts handeln und das Haus privatisieren oder luxussanieren. Grundlegende Änderungen können nur mit Zustimmung beider Gesellschafter durchgeführt werden.

Allerdings: Die Finanzierung steht noch nicht. Die Mieter müssen das Geld erst zusammenbekommen, um das Haus kaufen zu können. Das sind insgesamt fünf Millionen: Drei brauchen sie direkt, die restlichen zwei Millionen Verkäufer-Darlehen könnten sie mittels ihrer Mietzahlungen abstottern.

Haidhauser Mieter wollen ihr Haus dem Spekulationsmarkt entziehen

Finanziert werden soll das Ganze über Direktdarlehen von Privatpersonen zu einem geringen oder sogar gar keinem Zinssatz. Ein bisschen wie Crowdfunding, nur dass das Geld nicht gespendet, sondern zurückgezahlt wird. „Die Motivation hinter der Idee des Mietshäuser-Syndikats ist, dass man das Haus dem Spekulationsmarkt langfristig entzieht. Und es soll sozialverträglich und in Eigenverwaltung bewohnt werden“, sagt Wirschum.

Die Schwarmfinanzierung hat den Haidhausern bislang rund 270.000 Euro gebracht. „Wir brauchen die Unterstützung der Gesellschaft, ihre Solidarität“, sagt Ebert. Im Gegenzug geben sie das Haus weiter an die, die nachkommen. „Wir wollen ein Leuchtturm sein für derartige Projekte. Wenn man mal aus dem Denken rauskommt, dass Häuser nur Mietobjekte sind, könnte sich viel ändern in der Gesellschaft.“

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