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Viel zu wenige Hebammen für immer mehr Babys - die dramatischen Zahlen zum Dilemma

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Haben alle Hände voll zu tun: In Bayern mangelt es an Geburtshelfern.
Haben alle Hände voll zu tun: In Bayern mangelt es an Geburtshelfern. © dpa / Uli Deck

Die Zahl der Geburten steigt. Doch immer mehr werdende Mütter haben Probleme, eine Hebamme zu finden, wie eine aktuelle Studie belegt, die das Gesundheitsministerium veröffentlicht hat. Und dieses Problem könnte in Zukunft noch größer werden.

München - Schließende Kreißsäle, überlastete Hebammen, Mütter, die keine Betreuung finden. Die Hebammenversorgung wird in Bayern seit Monaten diskutiert. Mit einer umfassenden Studie will das Gesundheitsministerium die Lage analysieren. 1084 Hebammen, 1346 Mütter, 44 Geburtskliniken und sechs Berufsfachschulen haben die Fragebögen beantwortet. Für Astrid Giesen, die Vorsitzende des Landes-Hebammenverbandes, sind die Ergebnisse alarmierend. „Ich sehe eine große Lücke auf uns zukommen“, sagt sie. Es gebe dringenden Handlungsbedarf.

Zahl der Hebammen

Zum Zeitpunkt der Studie waren in Bayern etwa 3260 Hebammen im Einsatz. Die meisten (2960) waren freiberuflich tätig. 731 Hebammen arbeiteten festangestellt in Krankenhäusern. Ein Teil der Hebammen arbeitete sowohl freiberuflich als auch angestellt.

Geburtenanstieg

2016 wurden in Bayern 125.700 Babys geboren - 4,1 Prozent mehr als im Jahr 2000 und sogar 21,3 Prozent mehr als im Jahr 2011. Und das, obwohl sich die Zahl der gebärfähigen Frauen deutlich verringert hat. Am deutlichsten war der Geburtenanstieg in Oberbayern zu beobachten (17 Prozent). Einen überproportional hohen Geburtenzuwachs hatte die Landeshauptstadt zu verzeichnen: plus 45 Prozent.

Arbeitszeit und Arbeitsbelastung

Etwa jede zweite Hebamme gab an, dass sich ihre Arbeitszeit in den vergangenen fünf Jahren deutlich erhöht habe. Grund dafür sei der Mangel an Hebammen sowie die Erhöhung der Geburtenzahl. Sowohl die angestellten als auch die freiberuflichen Hebammen gaben zum Großteil an, dass sie (viel) mehr arbeiten, als sie möchten. Im Durchschnitt machten die angestellten Hebammen 13,5 Überstunden pro Monat. Nur sieben Prozent der angestellten und rund 31 Prozent der freiberuflichen Hebammen gaben an, dass sie bei der Arbeit genug Zeit hätten, die Frauen so zu betreuen, wie sie es für richtig hielten. 60 Prozent der freiberuflichen und 42 Prozent der angestellten Hebammen dachten darüber nach, ihre Arbeitszeiten zu reduzieren. Die häufigste Begründung: eine zu hohe Arbeitsbelastung.

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Vakante Stellen

Mehr als die Hälfte der befragten Kliniken hatte alle Planstellen für angestellte Hebammen besetzt. Bei fünf der Krankenhäuser war es nicht so, insgesamt waren dort 4,8 Planstellen offen. Von den Kliniken, die mit Beleghebammen arbeiten, suchten mehr als 70 Prozent mindestens eine Hebamme. Insgesamt wurden zum Zeitpunkt der Befragung 36,5 Beleghebammen in Bayern gesucht. Die große Mehrheit der Krankenhäuser gab an, es sei sehr schwer, eine vakante Stelle zu besetzen. Der Grund: Der Arbeitsmarkt sei leer gefegt. Vielfach sei eine Stellenbesetzung nur mit Berufsanfängern möglich.

Angebot und Nachfrage

Die Wochenbettbetreuung war die am meisten nachgefragte Hebammen-Leistung – und auch die Leistung, die bereits am stärksten ausgebaut wurde. Die Nachfrage ist groß: 71 Prozent der Hebammen hatten mehr Anfragen, als sie annehmen konnten. Dasselbe gilt für die Mutterschaftsvorsorge und Schwangerenbetreuung: 29 Prozent gaben an, nicht alle Anfragen annehmen zu können. In Bezug auf Geburtsvorbereitungs- und Rückbildungskurse berichteten 44 Prozent der Hebammen von Frauen, denen sie absagen mussten.

Bei der Geburtshilfe war der Nachfrageüberhang am deutlichsten bei den Beleggeburten in 1:1-Betreuung (58%), gefolgt von Geburtshilfe in einer hebammengeleiteten Einrichtung (31%) und Hausgeburtshilfe (22%). Trotz großer Nachfrage planen mehr Hebammen einen Abbau des Angebots als einen Aufbau. Somit könnte es künftig für einige Frauen noch schwieriger werden, eine Hebamme für eine außerklinische Geburt oder eine 1:1-Betreuung zu finden.

Auch bei der Befragung der Mütter zeigte sich, dass das vorhandene Angebot die Nachfrage nicht abdecken kann. Mehr als jede vierte Mutter gab an, dass es (sehr) schwierig war, eine Hebamme zu finden. In München hatten sogar 40 Prozent der Frauen große Probleme. 30 Prozent der befragten Münchnerinnen gaben an, mehr als sieben Hebammen angefragt zu haben. Fast immer sagten die Hebammen aus zeitlichen Gründen ab. 2750 der Mütter, die 2016 eines der 125.700 Babys in Bayern zur Welt gebracht hatten, erhielten trotz Nachfrage keine Wochenbettbetreuung durch Hebammen.

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Regionale Verteilung

Knapp jede zweite Hebamme war ausschließlich in ihrem Heimatlandkreis bzw. ihrer Stadt tätig. Hebammen, die in mehreren Kreisen im Einsatz waren, boten vor allem außerklinische Geburtshilfe an. Die freie Wahl des Geburtsortes scheint laut Studie nicht mehr für alle werdenden Mütter möglich zu sein. 6,5 Prozent der Befragten hätten gerne außerklinisch entbunden, fanden dafür aber keine Hebamme. In München berichteten etwas mehr als drei Prozent der Mütter, dass sie nicht in ihrem Wahlkrankenhaus entbinden konnten, weil der Kreißsaal keine Aufnahmekapazitäten mehr hatte. Das betraf rund 600 Mütter. Da sich die Kliniken laut Studie schwertun, offene Stellen zu besetzen, und immer mehr Hebammen überlegen, ihren Schichtdienst zu reduzieren, werden sich diese Angebotsengpässe künftig wohl verstärken.

Ausblick

Innerhalb der nächsten fünf Jahre planen 6,2 Prozent der befragten Hebammen sicher und weitere 7,3 Prozent wahrscheinlich, in den (vorzeitigen) Ruhestand zu gehen. Hochgerechnet auf alle freiberuflichen Hebammen in Bayern wären das 362. Rein rechnerisch stehen dem etwa 525 Hebammenabsolventinnen gegenüber – wobei nicht berücksichtigt ist, wie viele von ihnen in Bayern bleiben und den Beruf wirklich ausüben. Da jedoch mit einem weiteren Geburtenanstieg zu rechnen ist und mehr als die Hälfte der bayerischen Hebammen das Arbeitspensum reduzieren will, ist ausreichender Nachwuchs nicht gesichert. Die Versorgungsengpässe betreffen eher die Städte als die ländlichen Regionen – insbesondere München.

Lösungsansätze

Die Autoren der Studie schlagen vier Maßnahmen vor, um die Situation zu entschärfen. Zum einen sei eine umfassende offizielle Statistik nötig – auch über Leistungen und Umfang der Aufgaben. Nur so könnten Engpässe rechtzeitig erkannt werden. Auch bei der Vermittlung der Hebammen sehen die Autoren Verbesserungspotenzial. Kommunale Vermittlungsstellen, wie in München geplant, könnten als zentrale Anlaufstelle helfen. In Sachsen gibt es bereits ein „Hebammen Netzwerk“, das Hebammen mit freien Kapazitäten und suchende Frauen zusammenbringt. Auch Frauenärzte könnten vermitteln.

Ein weiterer Ansatz ist die Nachwuchsförderung: Mehr Absolventen würden die aktiven Hebammen entlasten und den Beruf wieder attraktiver machen. Eine Entlastung könnten auch Geburtszentren bedeuten. Kliniken könnten dafür Zentrenzuschläge erhalten, die Hebammenkapazitäten würden konzentriert, was dazu führen würde, dass sich die Arbeits- und Betreuungsbedingungen verbessern würden. Eine Alternative wäre es auch, Hebammen direkt finanziell zu fördern.

Katrin Woitsch

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