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Cannabis-Spray gegen Schmerzen: Top-Arzt aus München stellt „weltweit größte Studie“ vor

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Von: Andreas Beez

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Professor Thomas Tölle steht vor dem Zentrum für Schmerzmedizin
Professor Dr. Dr. Thomas R. Tölle zählt zu Deutschlands erfahrensten Schmerzmedizinern und gilt als Innovationstreiber bei der Erforschung neuer Therapien im Rahmen wissenschaftlicher Studien. © Klinikum rechts der Isar

Kann Cannabis chronische Schmerzen lindern? Thomas Tölle, Neurologe am Klinikum der TU München, treibt die Forschung für ein neues Medikament voran. „High“ macht das Spray jedoch nicht.

München - Mehr als 23 Millionen Menschen haben allein in Deutschland mit chronischen Schmerzen zu kämpfen. Sie klagen oft über unerträgliche Beschwerden im Bereich der Wirbelsäule oder an den Gelenken, Kopf- und Nervenschmerzen, um nur einige Symptome zu nennen. Kaum ein deutscher Mediziner kennt solche Leidensgeschichten so gut wie Professor Dr. Dr. Thomas R. Tölle. Der Facharzt für Neurologie und Psychologe leitet das Zentrum für Interdisziplinäre Schmerzmedizin am Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München, gilt als äußerst erfahrener Experte unter anderem für Kopf, Rücken- und Nervenschmerzen.

Im wissenschaftlichen Bereich hat Tölle die Schmerzforschung entscheidend mitgeprägt. Jetzt hat der Münchner Top-Mediziner ein neues, spektakuläres Forschungsprojekt zu bewältigen: die weltweit größte Studie zum Einsatz von Cannabis als Medikament. Das Vorhaben ist von deutschen Ethik-Kommisionen geprüft worden und ist in Deutschland beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), bei der Europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) und auch in USA angemeldet und registriert. 

Cannabis als Medikament: Patienten mit diesen Krankheiten kommen für die Studie in Frage

An dem wissenschaftlichen Mammutprojekt werden sich über die Hälfte der deutschen Unikliniken beteiligen. Die Wissenschaftler wollen Licht in die viel und kontrovers diskutierte Frage bringen, ob und wie stark Cannabis chronische Schmerzen lindern kann. Genauer gesagt: Cannabis-Spray.

Eingangsschild am Klinikum rechts der Isar
Haus der Spitzenforschung: Am Uniklinikum rechts der Isar in München und in weiteren deutschen Universitätsklinika beginnt in diesem Jahr die weltweit größte Studie zum Einsatz von Cannabis als Medikament. © Matthias Balk

2300 Patienten sollen über eine Gesamtlaufzeit von zwölf Monaten die Inhaltsstoffe über die Mundschleimhaut aufnehmen. Voraussetzung ist, dass die Teilnehmer an einer von vier für die Studie zugelassenen Beschwerden bzw. Erkrankungen (Fachbegriff Indikationen) leiden: Rückenschmerzen, Nervenschmerzen, diabetische Polyneuropathie sowie Schmerzen nach Operationen. „Es ist ein neuer Ansatz in der Schmerztherapie, den wir jetzt unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten genau untersuchen wollen“, sagte Professor Tölle in einem Gespräch mit Münchner Merkur und tz.

Cannabis-Forschung: Große Unsicherheit über Nutzen und Risiken einer Therapie

Der medizinische Hintergrund: In Cannabis stecken mehr als 100 Wirkstoffe. Die beiden wichtigsten sind Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD). THC gilt als Stimmungsaufheller, verändert allerdings die Wahrnehmung (benebelt). Es soll Schmerzen lindern können. CBD wirkt eher gegen Entzündungen, lindert Krämpfe und soll Angst reduzieren. Wie effektiv diese beiden und andere Inhaltsstoffe chronischen Schmerzpatienten helfen können, soll das Ergebnis der Großstudie zeigen.

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In den vergangenen Jahren waren wiederholt wissenschaftliche Forschungsprojekte zu Cannabis als Medikament gestartet worden, ohne, dass es zu einer abschließenden Beurteilung der Wirksamkeit gekommen ist. Deswegen herrscht bei Patienten und Schmerztherapeuten nach wie vor große Unsicherheit über Nutzen und Risiken einer Therapie mit Cannabis.

Schmerzmediziner Thomas Tölle: „Lehne Rauchen von Cannabis ab“

Bereits 2017 hatte das Bundesgesundheitsministerium eine Intensivierung der Forschung gefordert: „Im Bereich der medizinischen Anwendung von Cannabisarzneimitteln wurde vor allem deutlich, dass der Forschungsstand noch sehr uneinheitlich ist. Aufgrund der begrenzten Datenlage kann zu vielen Krankheitsbildern noch keine Aussage zur Wirksamkeit von Cannabis gemacht werden. Hier sind weitere Studien notwendig“, hieß es damals in der Publikation „Cannabis – Potenzial und Risiken“.

Nun soll ein Schulterschluss an den deutschen Universitäten für belastbare Daten sorgen. Dabei ist dem Münchner Schmerzmediziner Tölle ganz wichtig, dass das Cannabis-Spray nicht in einen Topf mit cannabishaltigen Zigaretten geworfen wird. „Ich lehne das Rauchen von Cannabis ab, weil es die Konsumenten high macht. Bei der Anwendung des Cannabis-Sprays tritt dieser berauschende Effekt nicht ein“, betont Tölle. Die ersten Patienten sollen im dritten Quartal diesen Jahres am Uniklinikum rechts der Isar sowie an anderen deutschen Universitätskrankenhäusern mit dem Spray behandelt werden.

Cannabis-Spray wird von Firma in Oberbayern hergestellt und vertrieben

Das Patent für die Herstellung des Sprays hält eine Firma mit Sitz in Warngau. Dort wird es hergestellt und vertrieben. Es ist die Apurano Pharmaceuticals GmbH. Das Unternehmen hatte bereits eine vorgeschaltete kleinere Studie initiiert. Dabei sei ein „hohes Sicherheits- und Verträglichkeitsprofil“ nachgewiesen worden, so Apurano.

Schmerzmediziner war bereits mit App gegen Rückenschmerzen erfolgreich

Der Münchner Wissenschaftler Tölle gilt als Innovationstreiber und Experte für die Durchführung großer Studien. So hat er bereits die „Rise-up“-Methode erforscht – ein digitales Behandlungskonzept gegen unspezifische Rückenschmerzen. Dabei wurden 1237 Patienten ein Jahr lang untersucht. An dem Projekt nahmen auch 111 Hausarztpraxen in Bayern teil. Wichtigster Teil der neuen Studie war die Anwendung einer neuen App fürs Handy zur Therapie von Rückenschmerzen. Sie heißt „Kaia Rücken-App“ und kann inzwischen sogar auf Kassenrezept verordnet werden.

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