Computerspiel zum Ukraine-Krieg soll für Abwechslung sorgen: „Finde es lustig, andere sicher nicht“

In „Death from Above“ steuern Gamer einen ukrainischen Drohnenpiloten, der vor moralisch komplizierten Entscheidungen steht. Der Entwickler des Spiels erklärt den ungewöhnlichen Ansatz.
München – Auf dem virtuellen Schlachtfeld darf auch gelacht werden, findet Hendrik Lesser: „In einer gewissen Weise ist es nur so zu ertragen.“ Lesser hat mit seiner Münchner Firma Lesser Evil ein realistisch animiertes Computerspiel zum Ukraine-Krieg entwickelt. Der Spieler schlüpft in „Death from Above“ in die Rolle eines ukrainischen Drohnenpiloten, fliegt durch die Landschaft, zerstört Panzer und attackiert russische Soldaten. Nicht alle finden das lustig.

Ukraine-Kriegsspiel aus München: „Bleibt meine Entscheidung, ob ich trotzdem kille“
Es geht aber laut Lesser nicht nur ums Töten: Spieler dürfen in „Death from Above“ selbst entscheiden: „Der Spieler hat auch die Möglichkeit, die russischen Soldaten aufzufordern, sich zu ergeben. Das ist in Videospielen extrem selten. Dann bleibt es meine Entscheidung, ob ich sie trotzdem kille.“ Der Entwickler bezeichnet die Simulation als Propaganda-Spiel, „mit dem wir eine ganz klare Haltung einnehmen“.
Münchner Computerspiel mit eigenem Humor: Putin mit Hitler-Bart und Laseraugen
Und Humor gibt es auch: In der 3D-Welt begegnen Spieler unter anderem einem Poster von Russlands Präsident Wladimir Putin samt dem Slogan „Wanted by the Criminal Justice Court“ (Zu Deutsch: „Vom Strafgerichtshof gesucht“). Sobald man mit ihm in Interaktion tritt, bekommt der animierte Putin Laseraugen und einen Hitler-Bart. Lesser: „Ich finde das lustig, viele andere sicher nicht.“
Expertin kann Spiele-Ansatz etwas abgewinnen: „Zumindest in diesem Kontext können wir einschreiten“
Ein humoristischer Ansatz verwehre sich ein Stück weit dem Gefühl des Ausgeliefertseins, ordnet Psychologin Jessica Kathmann ein. „Einige Menschen erleben einen solchen Ansatz als inneren Befreiungsschlag, der zumindest für einen kurzen Moment die Schärfe aus den bedrohlichen realen Umständen nimmt.“ Ferner könne das Projekt sowohl für die Entwickler als auch für die Spieler das eigene Gefühl von Ohnmacht reduzieren. „Zumindest in diesem nicht-realen Kontext können wir einschreiten.“ Sie sagt aber auch: „Andere Menschen erleben dieselbe Inszenierung als geschmacklos oder als Verballhornung eines allzu realen Schreckens.“
Das Töten von Menschen sollte nicht zu einer unterhaltsamen Sache werden.
Zu zweiter Kategorie gehören die Mitglieder der Münchner Stadtratsfraktion von Grünen und Rosa Liste. „Wir haben in unserer Fraktion niemanden gefunden, der es für eine gute Idee hält, aus einem realen Kriegsgeschehen ein lustiges Spiel zu machen. Auch wenn man Opfer eines kriegerischen Angriffs geworden ist, bleibt das Töten von Menschen eine sehr ernste Sache. Sie sollte nicht zu einer unterhaltsamen werden“, schreibt die Fraktion es auf Anfrage unserer Redaktion.
Die Betroffenen sitzen auch nicht den ganzen Tag Zuhause und weinen. Die müssen ihr Leben irgendwie weiterleben.
Lesser verteidigt die unkonventionelle Herangehensweise seines Unternehmens: „Fragen Sie mal die betroffenen Menschen in der Ukraine. Die sitzen auch nicht den ganzen Tag zu Hause und weinen. Die müssen ihr Leben irgendwie weiterleben.“ Und die Firma selbst habe bislang vorwiegend positives Feedback erhalten: Mehrere Ukrainer hätten sich bei ihm gemeldet, und sich für die Veröffentlichung des Spiels bedankt. Unter anderem ein Soldat, den ein Einsatz an der Front fordert: „Jetzt konnte ich endlich einmal über den Krieg lachen, obwohl ich hier im Schützengraben liege.“
Ihre Positionierung im echten Ukraine-Krieg versuchen die Entwickler auch in finanzieller Hinsicht zu zeigen: Mit 30 Prozent der Game-Umsätze will Lesser Evil Vorort-Unterstützung in der Ukraine leisten, solange das Spiel nicht den Break-even (der Punkt, an dem Erlöse und Kosten einer Produktion gleich hoch sind) erreicht hat. Sollte die Schwelle eines Tages überwunden sein, wolle man den Anteil laut Lesser auf 70 Prozent erhöhen: „Mit dem Rest werden wir dann das Spiel weiterentwickeln.“
Gelder reichen die Entwickler direkt an das Projekt „Army of drones“ und die Stiftung „Come back alive“ weiter. Mit „Army of drones“ sei vereinbart worden, dass diese mit den Spendengeldern lediglich Drohnen für Aufklärungs-, nicht aber für Angriffszwecke finanzieren dürfe. „Aber natürlich können wir nicht zu 100 Prozent gewährleisten, was mit dem Geld passiert“, erklärt Lesser, „so wie jeder andere, der spendet“. (lks)
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