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Corona-Chaos in München: Ärzte berichten von einer bitteren Behörden-Panne - „Amateurhaft“

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Von: Nadja Hoffmann, Daniela Pohl, Andreas Beez

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Münchner Referat für Gesundheit und Umwelt.
Münchner Referat für Gesundheit und Umwelt. © Markus Götzfried

Das Coronavirus breitet sich auch in Bayern immer weiter aus. Münchner Ärzte kritisieren das Gesundheitsamt. Das Vorgehen sei „amateurhaft“.

München - Virus-Alarm im ganzen Land – die Angst vor Corona ist allgegenwärtig. Und die Zahl der Infizierten steigt stündlich… Mittlerweile sind ­allein in Bayern 22 aktuelle Krankheitsfälle registriert (insgesamt 36, wenn man die Kurierten dazuzählt), über die Dunkelziffer wagen Experten und Mediziner noch keine Vermutungen anzustellen. Dazu kommt: Am Dienstag wurde auch der erste Fall in Niederbayern gemeldet – in Vilshofen gibt es nun einen Erkrankten. Die Welle rollt. Und wie geht es nun weiter?

Markus Söder zum Coronavirus: „Die Sicherheit der Bevölkerung steht an erster Stelle“

„Die Sicherheit der Bevölkerung steht an erster Stelle. Es gilt das klare Primat der Medizin“, sagte Ministerpräsident Markus Söder gestern. Wichtig sei, die Eindämmungsstrategie fortzusetzen, Prävention zu betreiben und Schutzmöglichkeiten für Ältere und Risikopatienten zu verbessern, etwa wenn es um Schutzmasken und Desinfektionsmittel gehe. Fakt ist leider nur: Auch in Münchner Geschäften ist es mittlerweile so gut wie unmöglich, Desinfektionsmittel oder auch Atem-Masken zu bekommen (siehe unten).

Der Virus-Alarm – er sorgt für teils wirre Zustände. So ist beispielsweise der Auer CSU-Bürgermeisterkandidat Michael Hillebrand zur Sicherheit in Quarantäne. Nun muss geklärt werden, wie die Kommunalwahl in dem Ort im Landkreis Freising stattfindet. Gleiches gilt übrigens für die Wahl in Thüringen.

Auch an den Schulen herrscht Verunsicherung: Am Gymnasium in Dorfen im Landkreis Erding bleiben nach einem Schüleraustausch ins Corona-Risikogebiet Emilia-Romagna (Italien)* 23 Schüler die ganze Woche zu Hause. Im Vergleich zu Frankreich noch eine äußerst geringe Zahl: Dort wurden mittlerweile 120 Schulen dicht gemacht, um die Kinder vor einer möglichen Ansteckung zu schützen! Droht bei uns Ähnliches?

Coronavirus: Großveranstaltungen werden abgesagt

Großveranstaltungen stehen sowieso von Tag zu Tag auf der Kippe. Nachdem am Montag die Handwerksmesse abgesagt wurde, wurde am Dienstag nun auch die Leipziger Buchmesse gestrichen. Und wie sieht es mit dem Nockherberg nächste Woche aus? Kann das große Derblecken der Politiker wirklich stattfinden? Oder wird es spezielle Sicherheitsvorkehrungen geben müssen?

Das Chaos – mittlerweile kritisieren auch viele Mediziner das Vorgehen der Behörden. Teils sei kein System zum Schutz der Bevölkerung zu erkennen. Die tz sprach mit Ärzten, die enttäuscht sind vom Vorgehen des Gesundheitsamts und anderer Behörden. Lesen Sie hier den großen Report zum Corona-Chaos* in unsere Stadt.

Coronavirus: Ärzte sind empört über Münchner Gesundheitsamt

Ganz München versucht mit vereinten Kräften*, die Ausbreitung des Coronavirus* einzudämmen. Die wirksamste Waffe gegen den unsichtbaren Feind: mögliche Infektionsketten so schnell wie möglich zu unterbrechen. Doch dabei tut sich das städtische Gesundheitsamt offensichtlich schwer. Münchner Ärzte schlagen angesichts der ihrer Meinung nach „amateurhaften Informationspolitik“ der Behörde die Hände über dem Kopf zusammen.

Darunter Dr. Markus von Specht (57). Der Pasinger Allgemeinmediziner zur tz: „Ich saß stundenlang neben einem Kollegen, der ohne Schutzausrüstung eine kranke Corona-Patientin untersucht hat. Das Gesundheitsamt weiß von dem Fall, hat sich aber bis heute noch nicht bei mir gemeldet – auch drei Tage danach bekam ich weder einen Anruf noch eine Mail oder einen Brief. Das halte ich für fahrlässig. Denn inzwischen hätte ich hunderte Patienten behandeln und im schlimmsten Fall mit dem Coronavirus anstecken können.“

Das zuständige städtische Gesundheitsreferat ging in einer Stellungnahme nicht auf die Kritik von Specht ein. Es äußerte sich lediglich zu dem Arzt, der Kontakt mit der Corona-Patientin hatte: Dieser sei „schnellstmöglich nach Bekanntwerden als Kontaktperson 1 kontaktiert und umgehend in häusliche Quarantäne gestellt“ worden. „Das Testergebnis liegt vor und ist negativ.“ Dieses Vorgehen entspreche vollumfänglich den Vorgaben des Robert-Koch-Instituts. Warum Dr. von Specht nicht informiert wurde, erklärt dies freilich nicht.

Münchner Referat für Gesundheit und Umwelt.
Münchner Referat für Gesundheit und Umwelt. © Markus Götzfried

Coronavirus: „Kontaktperson 1“ bei Münchner Ärztetreffen - Gesundheitsamt meldet sich nicht bei Teilnehmer

Die Keimzelle der Behörden-Panne war ein Medizinertreffen in der Zentrale der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern (KVB) in der Elsenheimerstraße. Dort saßen am vergangenen Samstag mehrere Münchner Ärzte in einem Raum beisammen, um eine Telefonsprechstunde zur Corona-Krise anzubieten – für andere Mediziner und Bürger. Wie sich erst später herausstellte, hatte einer der Ärzte bereits am Donnerstag eine Corona-Patientin ohne Schutzausrüstung untersucht. Die schwangere Frau war zuvor von einer Iran-Reise zurückgekehrt – das ehemalige Persien zählt zu den am stärksten von der Corona-Krise betroffenen Ländern weltweit und gilt damit als Hochrisikogebiet.

Von dem positiven Testergebnis der Frau erfuhr das Gesundheitsamt spätestens am Sonntag und informierte die KVB. Die wiederum klingelte Dr. von Specht in der Nacht auf Montag um 2 Uhr früh aus dem Bett. „Mit den Kollegen von der KVB klappt die Zusammenarbeit hervorragend“, sagt der Mediziner. Aber auf einen Anruf des Gesundheitsamts wartete er vergeblich.

Besorgniserregend: Am Montag hätte Dr. von Specht Dienst in der großen Bereitschaftspraxis im Elisenhof schieben sollen. „Da hätte ich vermutlich 50 bis 60 Patienten untersucht.“ Doch aus Sicherheitsgründen sagte Dr. von Specht die Schicht ab – ebenso wie die Sprechstunde in seiner Pasinger Praxis.

Werden im Ernstfall Zelte auf der Theresienwiese zur Untersuchung von Corona-Verdachtsfällen aufgebaut? Für Prof. Dr. Michael Hölscher LMU-Klinikum München wäre das zumindest denkbar.

Arzt über Vorgehen der städtischen Behörde: „Amateurhaft“

Sein Kollege Dr. Karlheinz Zeilberger bewertet das Vorgehen der städtischen Behörde als „amateurhaft“. Der Internist zur tz: „In so einer Krise muss man schnell und effektiv handeln. Bei allem Verständnis für den Stress: Es muss doch möglich sein, dass ein Mitarbeiter kurz zum Telefon greift und einen Kollegen auf den neuesten Stand bringt. Hier wird ein Arzt allein gelassen – obwohl gerade Ärzte diejenigen sind, die im engen Austausch mit der Bevölkerung stehen. Angeblich ist unser deutsches Gesundheitssystem organisatorisch bestens vorbereitet auf eine Verschärfung der Corona-Krise. Ich hoffe, dass diese Einschätzung auch fürs Münchner Gesundheitsamt gilt.“

Andererseits zeigen Infektiologen ein gewisses Verständnis für die Behörde. „Man muss berücksichtigen, dass die Verwaltungsstrukturen für eine solche Gesundheitskrise nicht ausgelegt sind“, analysiert ein Spezialist im tz-Hintergrundgespräch. Die letzte Pandemie – also länder- und kontinentübergreifende Ausbreitung einer Infektionskrankheit – sei die Asien-Grippe 1957 gewesen. „Bis Corona hatten unsere Behörden mit nichts Vergleichbarem zu tun.“ Wie pannenanfällig das Krisenmanagement momentan ist, bekommen übrigens nicht nur Ärzte wie Dr. Specht und Dr. Zeilberger zu spüren, sondern auch Tausende Bürger: Die bundesweite (Corona)-Telefonnummer 116 117 des ärztlichen Bereitschaftsdiensts bricht immer wieder zusammen: Das System ist heillos überlastet.

Video: Das sollten Sie bei einem Verdacht tun

Coronavirus: Münchner fühlt sich im Stich gelassen

Eigentlich wollte Elias T. einen entspannten Urlaub in Meran verbringen. Doch stattdessen lag er flach. Krank im Bett. Geplagt von quälenden Fragen: „Habe ich das Coronavirus?“, „Wer kann mir helfen?“ Hilfe hat er bis heute keine – der Münchner fühlt sich von Politik und Behörden alleingelassen.

Vor etwa einer Woche bekam der 24-Jährige grippeartige Symptome – Husten, Fieber, Schüttelfrost. Er ging zu einem Arzt in Meran. „Er hat nur gesagt, dass ich mich ausruhen soll. Aber ich war natürlich verunsichert.“ Über Familie und Freunde in München versuchte er, Infos zu bekommen. Wo kann er sich testen lassen? Wer holt ihn nach München zurück? Fragen, die unbeantwortet blieben. Stattdessen: Abweisungen, Vertrösten, Hinhalten. „Meine Familie hat sich die Finger wund telefoniert. Keine Klinik wollte mich testen.“ Die Gesundheitsbehörden hätten ihn angewiesen, in Italien zu bleiben. „Auch meine Krankenkasse wollte mich nicht zurückholen.“

Elias T. blieb nichts weiter übrig als abzuwarten. Mittlerweile geht es ihm besser. Ob er das Coronavirus hatte, weiß er bis heute nicht. „Das ist mir jetzt auch egal. Ich bin froh, dass es mir wieder gut geht und die Strapazen ein Ende haben.“ Vom Verhalten der Behörden ist er tief enttäuscht. „Da heißt es immer, dass alles getan wird, um das Virus einzudämmen. Und dann steht man als Erkrankter ganz alleine da.“ 

Das Coronavirus zieht weiter seine Kreise in München: BMW hatte einen Fall gemeldet, ProSiebenSat1 hat Mitarbeiter nach Hause geschickt, der Chef muss in Quarantäne. Und auch vor Stars macht es keinen Halt: Auch Samuel Koch befindet sich in Quarantäne

Coronavirus: Das sagt die Apothekerin

„Desinfektionsmittel ist bei uns ausverkauft – sowohl das für die Hände als auch das Spray. Leider kommt nichts nach, weil viele Firmen in China produzieren. Das ist auch bei einigen Medikamenten der Fall. Teilweise haben wir noch ein paar Hygienemasken und besondere Desinfektionsmittel mit Alkohol, allerdings sind die gegen Bakterien und nicht gegen Viren, also gegen Corona wirkungslos.

Frau A.Kubern, Apothekerin.
Frau A.Kubern, Apothekerin. © Markus Götzfried

Ich persönlich trage in der U-Bahn jetzt beispielsweise Handschuhe. Es gibt auch ein spezielles Nasenspray zum Schutz der Schleimhäute. Manche Leute kaufen jetzt auch Vitaminpräparate für ihr Immunsystem. Generell rate ich, große Menschenansammlungen zu meiden und natürlich noch häufiger die Hände zu waschen. Man darf sich jetzt aber auch nicht verrückt machen.“

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Das Coronavirus beherrscht seit Wochen die Schlagzeilen - auch in München. „Der Verrückte Eismacher“ hat jetzt mit viel Ironie reagiert - mit einer irren Idee.

A. Beez, N. Hoffmann, D. Schmitt 

*merkur.de und tz.de sind Teil des bundesweiten Ippen-Digital-Redaktionsnetzwerkes

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