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„All das drückt natürlich auf die Stimmung“: Wie Münchens Stadtspitze den Corona-Lockdown erlebt

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München-OB Dieter Reiter im Homeoffice
Dieter Reiter im Homeoffice: Der München-OB sieht in der Corona-Krise dennoch einen „Silberstreif am Horizont“ © Dieter Reiter

Ein Jahr lang schon beherrscht Corona München - und man fragt sich, wie andere damit klarkommen. OB Reiter und die Bürgermeisterinnen Habenschaden und Dietl ganz offen.

München - Im Januar vor einem Jahr begann alles: In Deutschland gab es den ersten Corona*-Fall, erstmals hatte sich jemand infiziert. Seitdem hat sich unser aller Leben komplett verändert. Ausnahmezustand! Mittlerweile gehört das Tragen von Masken zum Alltag, Kontakte zu Mitmenschen sollen vermieden werden, viele werkeln allein tagein, tagaus im Homeoffice

Auch für Münchens* Politiker war es kein leichtes Jahr: OB Dieter Reiter* sagt, dass diese Zeit für immer in Erinnerung bleiben wird. Und die Bürgermeisterinnen Verena Dietl und Katrin Habenschaden haben sich ihren Amtsantritt auch anders vorgestellt. Wie sie 2020 erlebt haben, lesen Sie zum Auftakt unserer tz-Serie „1 Jahr Corona“.

München-OB Dieter Reiter zieht Corona-Bilanz: „Drückt auf die Stimmung einer Stadtgesellschaft“

Corona hat das Leben in der Stadt komplett verändert. Das sagt OB Dieter Reiter (62, SPD). „Das sehe ich schon jeden Tag, wenn ich aus meinem Büro auf den Marienplatz schaue. Wenn das Glockenspiel ertönt, sind da nicht viele Menschen wie sonst, selbst bei strahlendem Sonnenschein. Sondern nur einige wenige.“

Die Menschen sähen sich nur noch mit Maske, es gebe kein Lächeln, höchstens mit den Augen. Für die Familien sei es ein ständiges Jonglieren zwischen Distanzunterricht und Notbetreuung. Alleinstehende seien noch mehr allein als vor der Krise. Die Wirtshäuser, Cafés und Geschäfte hätten geschlossen. Der Vorhang in den Theatern, Konzerthäusern, Musik- und Kabarettbühnen sei bereits viele Monate nicht mehr aufgezogen worden. Sportveranstaltungen fänden ohne Publikum statt, wenn überhaupt, und das Vereinsleben sei zum Erliegen gekommen.

Die bange Frage, wie viele Menschen die Erkrankung nicht überlebt haben und wie viele an den schweren Folgen leiden.“

Münchens OB Dieter Reiter (SPD)

„All das drückt natürlich auf die Stimmung einer Stadtgesellschaft. Dazu der tägliche Blick auf die aktuellen Infektionszahlen, auf die Belegung in den Krankenhäusern und die bange Frage, wie viele Menschen die Erkrankung nicht überlebt haben und wie viele an den schweren Folgen leiden.“

München-OB Reiter über Corona-Arbeitsalltag: „Allenfalls ein kurzer Wortwechsel hinter der Maske“

Die Beschäftigten der Kliniken seien längst an der Grenze der Belastbarkeit und trotzdem weiter mit höchstem Einsatz dabei. Dieses letzte Jahr sei zudem kein Jahr, wie er es je zuvor erlebt habe. „Unsere Freiheiten wurden drastisch eingeschränkt, viele Menschen haben Angst, ihre Arbeit zu verlieren, können ihren Beruf nicht ausüben, Betriebe und Geschäfte stehen vor der Insolvenz.“

Der berufliche Alltag habe sich überdies vollkommen verändert. Es gebe keine Abendveranstaltungen mehr, keine Bürgersprechstunden, keine Empfänge, alle Sitzungen nur per Videoschaltung. „Allenfalls ein kurzer Wortwechsel hinter der Maske, wenn ich mal über den Marienplatz gehen sollte.“ Für seine Frau sei es eine große Umstellung gewesen, dass er nun jeden Abend zu Hause sei und auch an den Wochenenden meist nur Telefon- oder Videotermine in seinem Kalender stünden. „Ich kann mich gar nicht erinnern, wann wir zuletzt so viel Zeit miteinander verbringen konnten. Wenigstens das war ein schöner Nebeneffekt.“

Ein Jahr Pandemie – dabei hätten alle gehofft, dass es gelingen könnte, die Krise schneller zu überwinden. Aber wenigstens gebe es jetzt Impfstoffe, und auch der Lockdown scheine etwas Wirkung zu zeigen. „Die Infektionszahlen lassen mich vorsichtig optimistisch sein. Überstanden haben wir die Pandemie aber noch nicht – immerhin ist der Silberstreif am Horizont zu sehen.“

Katrin Habenschaden hofft auf den Frühling - und darauf, dass wichtige Themen bleiben

Die Krise habe viele Münchner wirtschaftlich, aber auch emotional schwer getroffen, sagt Bürgermeisterin Katrin Habenschaden (43, Grüne). „Unsere Stadt trägt ja nicht umsonst den Beinamen ,nördlichste Stadt Italiens‘. Wir Münchner sind gesellig, lieben es, in Cafés, Restaurants und Biergärten zu sitzen, gehen gerne ins Theater, ins Kino und natürlich auf die Wiesn. Das Münchner Lebensgefühl, das so sehr vom Zwischenmenschlichen lebt, ist durch Corona massiv eingeschränkt.“ Die Einsamkeit mache vielen Menschen sehr zu schaffen. Sie sei aber zuversichtlich, dass ab Frühling eine neue Zeit anbreche und München wieder zu alter Lebensfreude zurückfindet.

Im Wahlkampf habe Habenschaden sich für Klimaschutz, einen besseren ÖPNV* und mehr Radwege* stark gemacht, außerdem für bezahlbares Wohnen. „Dann kam Corona mit seinen massiven gesundheitlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen und dominiert seitdem die Arbeit im Rathaus. Trotzdem gilt für mich: Das eine tun, ohne das andere zu lassen. Corona darf nicht dazu führen, dass wir andere wichtige Themen vernachlässigen.“ Vor allem im Bereich Klimaschutz dürfe die Stadt nicht noch mehr Zeit verlieren, das wäre fatal.

Die Münchner Bürgermeisterin Katrin Habenschaden im Homeoffice
Das Homeoffice von Katrin Habenschaden im Homeoffice - auch die Münchner Bürgermeisterin jongliert Job und Homeschooling ihrer Kinder. © Katrin Habenschaden

Homeschooling wegen Corona: München-Bürgermeisterin Habenschaden spricht von „Herausforderung“

Privat gehe es ihr so wie den meisten berufstätigen Müttern in München. „Ich versuche, allen Verpflichtungen möglichst gerecht zu werden: Mit den Kindern, im Büro, und einen Mann habe ich auch noch. Das Homeschooling ist für das Familienleben aktuell eine zusätzliche Herausforderung. Das Schöne: Auch daheim ist ganz schön was los, und ich habe gar nicht so viel Zeit für schlechte Gedanken.“

Bei einem Spaziergang durch die Innenstadt würden die Folgen der Krise besonders sichtbar. Alles sei geschlossen, die Stadt wirke wie ausgestorben. Viele Existenzen seien ganz massiv bedroht. „Meine Sorge ist auch, dass sich viele Folgen der Pandemie hinter verschlossenen Türen abspielen und deshalb nicht so sehr im Fokus stehen. Ich denke an Kinder und Jugendliche, die wochenlang nicht in Schule, Kita und Sportverein dürfen. Oder Alleinstehende, die gerade sehr einsam sind.“

Die Krise habe bei ihr persönlich das Fernweh ins Unermessliche gesteigert. Sie sehne sich nach Meer und Strand, nach Freiheit und Unbeschwertheit. „Was mir besonders zu schaffen macht, sind die Kontaktbeschränkungen. Ich habe einen großen Freundeskreis und bin einfach sehr gern unter Menschen.“ Diese vermeintlich kleinen Dinge, die vor einem Jahr noch völlig normal waren, fehlten besonders: „Meine beste Freundin umarmen, einen Spritz in der City trinken, Nachbarn zum Grillen besuchen. Meine Lehre ist, dass nichts selbstverständlich ist. Und wie schön doch das Leben in München vor Corona war – und wieder sein wird.“

München-Bürgermeisterin Dietl: „Corona hält mich nicht davon ab, politisch zu arbeiten“

Münchens dritte Bürgermeisterin Verena Dietl (40, SPD) blickt auf ein Jahr zurück, das große Herausforderungen bereitgehalten habe. „Die Menschen bekamen die Auswirkungen der Pandemie deutlich zu spüren“, sagt die 40-Jährige. Doch München habe sich in der Krise auch erfinderisch und kreativ gezeigt. Viele entwickelten gute Ideen, entdeckten ihre Umgebung neu und bewiesen große Solidarität. „Wie die meisten Menschen, habe auch ich im letzten Jahr viele Erfahrungen mit Online-Meetings, Videokonferenzen und digitalen Veranstaltungen gemacht. Bürgernähe und der kontinuierliche Austausch mit den Münchnern sind trotz der Beschränkungen möglich. Das Virus hält mich auf jeden Fall nicht davon ab, politisch zu arbeiten und mit Menschen in Kontakt zu bleiben.“

Dennoch fehlten natürlich persönliche Treffen. Es hätte sich vor einem Jahr ja niemand denken können, dass man so auf Distanz gehen müsse. Als Mutter zweier Kinder wisse sie, welche Herausforderung Arbeiten von zu Hause, Kinderbetreuung und Homeschooling für alle betroffenen Eltern bedeutet. „Auch ich verbringe momentan immer wieder Zeit im Homeoffice, um Kontakte zu vermeiden. Nebenbei kümmere ich mich um meine Kinder. Zum Glück bieten sich digitale Möglichkeiten, um von zu Hause aus zu arbeiten.“

Die Münchner Bürgermeisterin Verena Dietl im Homeoffice
Die Münchner Bürgermeisterin Verena Dietl im Homeoffice © Verena Dietl

Diese Option bestehe leider nicht für alle. Daher müsse Homeoffice ermöglicht werden. Das schütze nicht nur die Leute zu Hause, sondern auch alle, die zur Arbeit fahren müssen. Die Digitalisierung habe einiges erleichtert, aber auch Lücken aufgezeigt. Darauf habe die Stadt schnell reagiert. „In die Infrastruktur für digitalen Unterricht investieren wir sehr stark. Unser Fokus sind zukunftsfähige Schulen, die allen Kindern die Teilhabe am digitalen Lernen ermöglichen. Distanzunterricht bietet die Möglichkeit, Lehren und Lernen neu zu entwickeln, kann aber Präsenzunterricht dauerhaft nicht ersetzen.“ Die Schließung von Bildungseinrichtungen könne die Ungleichheit zwischen Kindern und Jugendlichen verschärfen.

Im Sozialbereich sei München sehr gut aufgestellt. Die Stadt habe sofort entschieden, dass die sozialen Einrichtungen auch im Lockdown weiterfinanziert werden. „Als Sozialbürgermeisterin ist es mir wichtig, dass wir gerade jetzt sicherstellen, dass die Menschen in Notlagen weiterhin eine gute Beratung und Hilfen erhalten.“ Da habe sich ausgezahlt, dass die Stadt seit Jahrzehnten in die soziale Infrastruktur investiert hat. „Wir müssen sparen, da viele Einnahmen weggebrochen sind. Aber wir sparen mit Augenmaß. Ich bin sehr froh, dass wir unseren sozialen Kurs trotz angespannter Haushaltslage fortsetzen. *tz.de gehört zum Ippen-Digital-Redaktionsnetzwerk.

Die Corona-Entwicklung in München gibt durchaus Anlass zu Optimismus. Virologe Christian Drosten graut es jedoch vor dem Sommer.

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