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Wie lange quält uns Corona noch? Top-Mediziner wagen Prognose - und verraten, was jetzt das Wichtigste ist

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München in Corona-Zeiten: Absperrbänder auf der Theresienwiese vor der Bavaria.
München in Corona-Zeiten: Absperrbänder auf der Theresienwiese vor der Bavaria. © Felix Hörhager/dpa

Vor einem Jahr kam der erste Corona-Patient in Deutschland ins Krankenhaus – und inzwischen hat das Virus unser Leben komplett auf den Kopf gestellt. Wie lange wird uns Corona noch quälen? Wir sieben Top-Mediziner um ihre Einschätzung gebeten.

München - Von China aus hat sich das Coronavirus Sars-CoV-2* weltweit verbreitet. Ende Dezember 2019 traten gehäufte Lungenentzündungen in der Millionenmetropole Wuhan auf. Am 7. Januar 2020 wurde ein neuartiges Coronavirus als Verursache identifiziert. Der Erregername SARS-CoV-2 (Schweres Akutes Respiratorisches Syndrom Coronavirus-2) schlug im Februar ein Expertengremium vor.

Ein Jahr Corona in München

Am 27. Januar 2020 gab es die erste bestätigte Infektion in Deutschland. Im Landkreis Starnberg infiziert sich ein Mann mit Corona und wird im Münchner Klinikum Schwabing behandelt*. Zwei Wochen später ist der Mann aus Bayern wieder gesund. Doch nach einem Corona-Jahr scheint die Pandemie erst richtig Fahrt aufgenommen zu haben. Hier richten sieben Top-Mediziner richten den Blick nach vorn:

„Auch im Herbst noch Ausbrüche“

Professor Dr. Klaus Stöhr

Reiche Länder wie Deutschland, denen Corona-Impfstoffe zur Verfügung stehen, werden im Sommer bereits etwa 60 Prozent ihrer Bevölkerung geimpft haben. Trotzdem wird es im Herbst noch Ausbrüche und hohe Viruszirkulationen geben. Die Krankenhäuser werden bis zum Winterende und punktuell auch im Sommer noch belastet sein. Auch im Herbst werden circa 30 bis 40 Prozent der Deutschen noch nicht geimpft sein. Das heißt: Auch im nächsten Winter wird es viele Erkrankungen geben und uns das Virus bis Anfang 2022 begleiten. Das Wichtigste ist jetzt, die Risikogruppen zu schützen und vor allem zu impfen, um die Todesfälle zu reduzieren. Wenn das gelingt, wird sich die Lage im Sommer deutlich entspannen. Dagegen wird Corona für arme Länder, die keinen oder wenig Impfstoff haben, noch lange nicht vorbei sein.

Wir wissen sicher, dass Pandemien einen Anfang haben und ein Ende: Letzteres tritt ein, wenn alle eine Immunität besitzen; idealerweise durch eine Impfung, aber in den meisten Ländern der Welt wohl leider eher durch eine Infektion. Danach wird das Pandemie-Virus bleiben. Es wird viel ungefährlicher sein und als Epidemie-Virus weiter zirkulieren. Es gibt ja keine sterile Immunität nach Covid-19 oder der Impfung. Re-Infektionen werden sehr wahrscheinlich so verlaufen wie bei den jetzt schon zirkulierenden vier Coronaviren: meistens mild und als Teil der vielen Erkältungsviren jeden Winter. Dann wird sich auch die Frage der Notwendigkeit der Impfung neu stellen. Außer Influenza wird heute keine der Erkältungserkrankungen als schlimm genug betrachtet, um systematisch mit Impfungen vorzubeugen.

Porträtfoto des Virologen Professor Klaus Stöhr
Der Virologe und Epidemiologe koordinierte u. a. die Forschung der Weltgesundheitsorganisation WHO zu SARS-­Viren. © privat

„Das UV-Licht wird uns helfen“

Prof. Dr. Ulrike Protzer

Das Erste, was uns helfen wird, ist das einsetzende Frühjahr. Wenn wir es schaffen, bis dahin die Infektions-Zahlen auf ein moderates Niveau zu bekommen, dann hilft uns das mit den länger werdenden Tagen zunehmende UV-Licht, die Übertragungen zu reduzieren. Zudem sollten wir bis dahin einen wesentlichen Teil der Risikopersonen geimpft haben, sodass der Sommer hoffentlich wieder entspannt wird. Wichtig ist es aber dann, die Impfaktivitäten aufrechtzuerhalten und nicht zu nachlässig zu werden, damit wir im nächsten Herbst nicht wieder das Gleiche Desaster haben.

Ich gehe davon aus, dass das Virus nicht mehr komplett verschwinden wird. Vermutlich wird uns das Virus dann wie das Grippevirus jedes Jahr wieder „erfreuen“– aber eben als Grippewelle in den Wintermonaten, die zwar lästig ist, aber mit der wir ja gelernt haben umzugehen. Vermutlich muss man die Corona-Impfung dann auch von Zeit zu Zeit im Herbst auffrischen, das könnte man dann zusammen mit der Grippe-Impfung tun. Und hoffen, dass so schnell kein neues Corona- oder Influenzavirus kommt.

Ulrike Protzer, Direktorin des Instituts für Virologie an der TUM und am Helmholtz Zentrum München, nimmt an einer Pressekonferenz der bayerischen Universitätskliniken teil.
Prof. Dr. Ulrike Protzer: Die Virologin des Uniklinikums rechts der Isar berät die bayerische Staatsregierung in der Corona-Krise. © Sven Hoppe/dpa

„Silberstreif am Horizont“

Prof. Dr. Eva Grill

Dass die Pandemie uns noch beschäftigen wird, ist unbestritten. Aber wir stellen in diesen Wochen und Monaten die Weichen, wie stark sie uns in diesem Jahr noch beschäftigen und einschränken wird. Wenn es uns gelingt, die Inzidenz schnell, stark und nachhaltig zu senken, gewinnen wir einen erheblichen Vorsprung – auch gegenüber den neuen Virus-Varianten – bis unsere Impfstrategie Erfolge zeigt.

Wenn die Inzidenzen auf einem sehr niedrigen Niveau gehalten werden können, ist das für Gesellschaft und Wirtschaft auch ein Zeichen, aufzuatmen: Es wird nur noch einzelne Ausbrüche geben, wie im Sommer 2020, die dann aber gut kontrollierbar sind. Wir sollten uns aber bewusst sein, dass uns die Hygienemaßnahmen – wie zum Beispiel Abstand, Kontaktvermeiden und Masken – noch längere Zeit begleiten werden. Auch auf Reisen sollten wir in den nächsten Monaten noch verzichten. Mit dem, was wir bisher geschafft haben und noch erreichen werden, sehe ich einen Silberstreifen am Horizont. Wichtig ist es, jetzt nicht den Mut zu verlieren, nicht nachzugeben in den momentanen Anstrengungen.

Prof. Dr. Eva Grill: Die Epidemiologin vom LMU Klinikum sitzt in der Pandemie-Kommission der ­Deutschen Forschungsgemeinschaft
Prof. Dr. Eva Grill: Die Epidemiologin vom LMU Klinikum sitzt in der Pandemie-Kommission der ­Deutschen Forschungsgemeinschaft. © LMU

„Neue Medikamente senken Sterblichkeit“

Privatdozent Dr. Christoph Spinner

Auch wenn bis Ende des Sommers 2021 hoffentlich durch Impfungen die Herdenimmunität bei etwa zwei Dritteln der Bevölkerung erreicht wird, werden immer wieder sporadische Sars-CoV-2-Ausbrüche auftreten. Insbesondere bei Menschen mit Risikofaktoren für einen schweren Verlauf, die entweder nicht geimpft sind oder nicht geimpft werden konnten, wird daher auch weiterhin eine Klinikbehandlung erforderlich werden. Die Krankenhäuser müssen sich auch in Zukunft darauf einstellen, Patienten auf Sars-CoV-2-Infektionen untersuchen zu können und eine Versorgung sowohl auf Normal- als auch auf Intensivstationen anzubieten. Durch die Impfungen besteht aber vor allem für Menschen mit erhöhtem Risiko eines schweren Verlaufs eine Möglichkeit, sich zu schützen.

Es wird gelingen, gezieltere Therapien anzubieten. Hierbei spielen in der Frühphase der Infektion antivirale Therapien — etwa antivirale Medikamente oder monoklonale Antikörper – eine wichtige Rolle, um das Fortschreiten zur schweren Covid-19-Infektion zu verhindern. Medikamente, die das überschießende Immunsystem bremsen können, wie beispielsweise Kortikosteroide und andere senken auch in späteren Erkrankungsstadien noch die Sterblichkeit. Die klinische Forschung der Infektiologie und die Erfahrung der Ärztinnen und Ärzte werden darüber hinaus zu einem besseren Management der Erkrankung beitragen.

Hoffentlich kann schnell jedem Menschen auf der Welt eine sichere und wirksame Impfung angeboten werden. Auch wenn derzeit noch nicht klar ist, wie lange die Covid-19-Impfung wirklich vor einer Erkrankung schützt, kann davon ausgegangen werden, dass die Impfung aufgefrischt werden muss, um den vollständigen Schutz zu erhalten. Ob die Impfung jährlich oder eher alle paar Jahre aufgefrischt werden muss, wird die Forschung zeigen.

Porträt von Privatdozent Dr. Christoph Spinner
Corona-Experte Privatdozent Dr. Christoph Spinner, Chef der Infektiologie des Uniklinikums rechts der Isar. © privat

„Entspanntere Lage im Sommer“

Professor Dr. Peter Gottfried Kremsner

Wir können uns berechtigte Hoffnungen darauf machen, dass sich die Lage im Sommer enorm entspannen wird – zumal bis dahin ja noch vier Monate Zeit sind. Das Wetter alleine wird uns nicht helfen. Denn es hat sich beispielsweise in Afrika gezeigt, dass die Infektionszahlen in einigen Regionen trotz hoher Temperaturen angestiegen sind.

Viel entscheidender als das Wetter sind die Impfungen. Sie werden uns – sofern es keine großen Probleme mit den weiteren Lieferungen geben wird – gewaltige Fortschritte bescheren. Ich habe keine Angst davor, dass die Impfstoffe durch Virusmutationen wirkungslos werden könnten. Und ich sehe auch nicht die Gefahr, dass bei den Impfungen doch noch schwerwiegende Nebenwirkungen auftreten könnten. Die Impfungen sind eine große Chance. Uns stehen bereits Präparate von Biontech und Moderna zur Verfügung, die eine Wirksamkeit von circa 95 Prozent erreichen. Von diesem hohen Wert der mRNA-Impfstoffe sind selbst Experten überrascht worden. Dagegen erzielt der Oxford-Impfstoff von Astrazeneca nur etwa 60 Prozent. Auf der einen Seite ist diese Quote besser als nichts. Wäre ich im letzten Sommer gefragt worden, was ich von einem Impfstoff mit 60 Prozent Wirksamkeit halte, hätte ich geantwortet: Sehr gut, das passt, es ist ein sehr guter Anfang!

Auf der anderen Seite haben wir jetzt eine andere Situation als im Sommer: Nachdem nun Impfstoffe mit einer wesentlich höheren Wirksamkeit zur Verfügung stehen, gebietet es allein schon der Hausverstand, diese auch einzusetzen. Voraussetzung wird sein, dass es möglichst schnell gelingt, ausreichende Mengen der wirkungsstarken Impfstoffe zu produzieren. Neben Impfstoffen von Biontech und Moderna sowie dem russischen Sputnik-Impfstoff höre ich auch bezüglich des Impfstoffs von Johnson & Johnson interessante Zwischenberichte. Beim Impfstoff von CureVac, dessen Zulassungsstudie ich leite, konnten wir bereits 800 Studienteilnehmer alleine bei uns am Universitätsklinikum Tübingen einschließen sowie einige tausend weltweit. Die Verträglichkeitsdaten sehen gut aus, wir müssen jetzt noch die Wirksamkeit nachweisen. Ich hoffe auf eine Zulassung des Impfstoffs im April.

Professor Dr. Peter Gottfried Kremsner: Der Infektiologe und Tropenmediziner von der Uni Tübingen leitet die Zulassungsstudie des CureVac-Impfstoffs
Kremsner-Imago.jpg © Markus Ulmer via www.imago-images.de

„Reisen & Essengehen im Sommer möglich“

Professor Dr. Clemens Wendtner

Corona wird uns zwar 2021 noch bleiben. Aber wenn wir jetzt alle gemeinsam noch einige Wochen lang bei den Lockdown-Regeln durchhalten, die anderen Schutzmaßnahmen beachten und sich möglichst viele Menschen impfen lassen, dann wird der Sommer hoffentlich wieder entspannter werden. Es ist wichtig, dass wir alle eine Lockerungs-Perspektive haben – auch die Ärzteschaft und Krankenpflege in den Kliniken. Das UV-Licht im Sommer wird das Virus nicht zum Verschwinden bringen. Aber denken wir an den letzten Sommer zurück. Damals hatten wir eine 7-Tages-Inzidenz von 2,5 pro 100.000 Einwohner. Solche geringen Werte kann man sich heute kaum noch vorstellen, doch ich glaube schon, dass wir sie in diesem Sommer mit einer Kraftanstrengung wieder erreichen können.

Dann wären Urlaubsreisen, Restaurantbesuche bzw. Essen gehen oder Kulturveranstaltungen wieder möglich. Vielleicht noch nicht ohne Maske und mit Sicherheitsabstand– das ist die Lehre aus dem letzten Sommer. Aber unser Alltag kehrt mehr und mehr zurück!

Ein Schlüssel dafür sind die Impfungen. Frau Merkel hat ja gesagt, dass bis Ende September jedem Bürger ein Impfangebot gemacht werden soll. Es wäre schön, wenn das wirklich so umgesetzt werden könnte. Dann hätten wir einen großen Schritt in der Pademie-Bekämpfung gemacht. Sars-CoV-2 wird sehr wahrscheinlich endemisch werden – das heißt: Es wird sich in unserer Gesellschaft zwar wie ein banales Erkältungsvirus festsetzen, aber kaum noch schwere Verläufe geben. Wichtig ist, dass jeder einzelne mit einer Impfung, wenn sie für alle verfügbar ist, einen Beitrag zu dieser Entwicklung leistet.

Beim Impfen haben wir bereits die mRNA-Impfstoffe von Moderna und Biontech zur Verfügung. Sie wirken mit einem circa 95-prozentigen Schutzfaktor vor schwerer Erkrankung sehr gut. AstraZeneca hat in der Zulassungsstudie nicht ganz so hohe Zahlen für die Effektivität geliefert, aber die Wirksamkeit liegt mit gut 60 Prozent über der 50-Prozent Schwelle, die für die Corona-Impfstoffe einst gefordert worden ist. Solange man keinen anderen Impfstoff bekommt, ist es besser, sich mit dem Impfstoff von AstraZeneca impfen zu lassen. Denn ein Überimpfen gibt es nicht. Das bedeutet: Man könnte sich, wenn mRNA-Impfstoffe wieder besser verfügbar sind, zu einem späteren Zeitpunkt auch nachimpfen lassen. Das wäre eine Brücke für Menschen, die die Wirksamkeit des AstraZeneca-Impfstoffs kritisch beurteilen.

Clemens Wendtner, der Chefarzt des Klinikums Schwabing.
Prof. Dr. Clemens Wendtner, der Chefarzt der Infektiologie der München Klinik Schwabing gehört zu den erfahrensten Covid-19-Experten. © -München Klinik/dpa

„Wieder etwas mehr Normalität“

Dr. Wolfgang Guggemos

Wenn der Nachschub bei den Impfdosen besser in Fahrt kommt und bald Mittel von mehreren Herstellern verfügbar sind, dann werden wir im Sommer hoffentlich wieder ein wenig mehr Normalität erleben. Aber ein Zustand der Unbekümmertheit, wie vor der Pandemie, ist in weiter Ferne. Das liegt auch daran, dass wir nach wie vor kein massentaugliches Medikament zur Verfügung haben, das Covid-19 heilen kann. Bislang ist lediglich Remdesivir zugelassen. Doch es konnte die Erwartungen nicht erfüllen und nur vergleichsweise wenigen Patienten helfen. In der täglichen Praxis auf den Covid-19-Stationen wird es kaum noch eingesetzt.

Dr. Wolfgang Guggemos: Der leitende Oberarzt der München Klinik Schwabing betreute die ersten deutschen Corona-Patienten.
Guggemos-Wolfgang.jpg © SYSTEM

Die WHO rät in ihrer Stellungnahme von Ende November inzwischen sogar von der Remdesivir-Therapie ab. Auch bei den gerade eben diskutierten Medikamenten auf der Basis von Antikörpern, bei denen für zwei Substanzen eine Notfallzulassung erwartet wird, werden nur für wenige Patientengruppen mit speziellen Risiken und nur in einer frühen Phase der Infektion profitieren. Bei spät diag­nostizierten Infektionen und langwierigen Verläufen kommt diese Therapie nach bisherigen Erkenntnissen zu spät. Man wird die Antikörper vorerst nicht in der Breite einsetzen können. Deshalb müssen wir im Kampf gegen Corona vor allem auf die Impfungen setzen und die Schutzmaßnahmen einhalten. Vorsicht ist weiterhin angebracht, sonst können wir schneller, als uns lieb ist, in eine dritte Corona-Welle hineingeraten.

Die Corona-Lage ist in ganz Deutschland ähnlich. Doch wie sehen Top-Mediziner aus Hamburg die Lage? Hier ein Überblick*.

*tz.de/24hamburg.de und Merkur.de sindTeil des Ippen-Digital-Netzwerks

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