Trachten-GAU nach Wiesn-Aus: Münchner Mode-Unternehmen leiden extrem unter Corona-Ausfall

Die Oktoberfest-Absage trifft auch die Trachten-Händler:innen und Designer:innen. So reagieren die Münchner Unternehmen auf das Wiesn-Aus.
München - Das offizielle Aus für die Wiesn 2021 bedeutet für Münchens Trachten-Designer, -Hersteller und -Händler ein zweites Jahr ohne nennenswerte Nachfrage. Hochwertige Dirndl und Lederhosen kauft nur, wer auch wirklich einen Anlass hat. Aber selbst Hochzeiten werden verschoben. Und die Wirtshaus-Wiesn ist als Beweggrund zu schwach, wie sich im Vorjahr herausgestellt hat. Unsere Gesellschaftsredaktion hat vier der bekanntesten Trachten-Unternehmer gefragt, was ein zweites Jahr ohne Oktoberfest für sie bedeutet.
Angermaier: Wiesn-Aus trifft Trachten-Markführer hart - „Eine Riesen-Katastrophe. Es ist unser Hauptgeschäft“
Mit seinem Trachtenhaus Angermaier ist Axel Munz Marktführer in Bayern, seit 1948 Spezialist für traditionelle, aber auch modische Trachten. Der zweite Ausfall der Wiesn und der großen Volksfeste ist für ihn „eine Riesen-Katastrophe. Es ist unser Hauptgeschäft.“
Ein Lagerbestand mit 200.000 Artikeln bedeutet für Munz mehrere Millionen Euro, die einfach rumliegen. Die Ware ist voll bezahlt, verursacht aber weiter Kosten. Darüber hinaus beschäftigt er rund 50 Mitarbeiter, die größtenteils in Kurzarbeit sind. „Den Menschen fehlt der Anlass, Trachten zu kaufen“, erklärt er die Lage, und die Wirtshaus-Wiesn sei zwar nett, aber dafür kaufe sich kaum jemand ein neues Dirndl oder eine neue Lederhosn. Allein Hochzeiten sind ein Grund zum Trachtenkauf. Vor allem vermisst Munz Planungssicherheit – klare politische Vorgaben. „Wir wissen nicht, was in zwei Wochen ist, wir sind zur Untätigkeit verdammt.“ Mit den staatlichen Hilfen könne er den Kopf gerade so über Wasser halten. „Für 2022 gilt das Prinzip Hoffnung.“ Ein Oktoberfest in Dubai ist für ihn keine Alternative: „Ich unterstütze das nicht, die Wiesn gehört nach München* – und nicht bei 40 Grad in die Vereinigten Arabischen Emirate. Schweinefleisch im Islam geht gar nicht, genauso wie Alkohol im Freien oder ausladende Dekolletés – ich kann mir nicht vorstellen, dass dies von den Nachbarn toleriert wird.“
Astrid Söll: Trachten jetzt verramschen? „Da schmeiß‘ ich die Dirndl lieber weg“
Astrid Söll macht keine klassischen Dirndl, sondern Kunstwerke – mit hohem Kragen, transparentem Rücken, Brokat, Spitze und Glitzer, ab 400 Euro aufwärts. Astrid Söll hat sich mit ihren Kreationen seit zehn Jahren in der hart umkämpften Dirndl-Branche etabliert, mit einem festen Kundinnenstamm und Aufträgen weit über Bayern hinaus. Da treffe sie die erneute Absage der Wiesn hart, sagt sie. Denn sie müsse ja trotzdem produzieren, „die Stoffe habe ich schon lange geordert und gekauft“, erklärt die 51-Jährige. „Teilweise werden sie sogar eigens für meine Dirndl hergestellt.“
Die sonst häufigen Sonderanfertigungen für die Wiesn fielen natürlich komplett weg, sagt sie – „aber zum Glück wird noch geheiratet“. Hochzeitsdirndl (um die 900 Euro) seien nach wie vor sehr gefragt, berichtet Söll. So komme sie einigermaßen durch die Krise. Auch mit staatlichen Hilfen und Kurzarbeit für ihre Mitarbeiter. Verzweifeln lässt die Krise sie aber nicht. „Ich habe so hart gearbeitet, ich mach jetzt eben ein bisschen mehr Urlaub. Und es kommen wieder bessere Zeiten.“
Ihre Dirndl werde sie trotz Wiesn- und Volksfestabsagen nicht zu Schleuderpreisen anbieten. „Auf gar keinen Fall. Da würde ich mir nur meinen Namen kaputtmachen.“ Das käme einem Ausverkauf ihrer Marke gleich. „Da schmeiß’ ich die Dirndl lieber weg“, sagt sie radikal.
So weit wird es wohl nicht kommen: Sie habe jetzt durch Corona* ihren lange aufgeschobenen Online-Shop in Fahrt gebracht. Und wer weiß: „Vielleicht kommt ja die Wiesn in Dubai?“ Urlaub macht sie ja dort gerne.
Lodenfrey: Corona-Absage war schon im Hinterkopf - „Wie haben sehr vorsichtig Ware bestellt“
„Die Absage der Wiesn schmerzt sehr“, gesteht Markus Höhn, der geschäftsführende Gesellschafter des Traditionsgeschäfts der Münchner, wenn es um hochwertige, klassisch-schöne Dirndl, Lederhosen und Joppen geht. „Einmal, weil es immer eine tolle Zeit war in unserem Haus, für die Belegschaft, wie für die Kunden. Aber es tut natürlich auch betriebswirtschaftlich weh.“ Zwanzig Prozent des Umsatzes macht Lodenfrey allein mit Trachten, das meiste davon wird in der zweiten Jahreshälfte verkauft, erklärt Höhn.
Für ihn war die Absage keine Überraschung, deshalb hat er auch früh reagiert: „Wir haben sehr vorsichtig Ware bestellt“, erklärt er. „Es wurde aber auch weniger angeboten. Die Industrie konnte ja auch nicht ins Blaue hinein produzieren.“ Außerdem hat Lodenfrey versucht, mit seinen langjährigen Partnern Kompromisse zu schließen, damit man gemeinsam gut durch die Krise kommt. Die Lager sind trotzdem voll, vieles davon könne aber auch im nächsten Jahr verkauft werden, denn „die Lederhosen sind ja nicht schlechter als im Jahr davor“.
Bei den Dirndln wird es trotz Wiesn-Absage sogar eine neue Eigenkreation geben, „allerdings wird man das nicht so vermarkten können, wie sonst“. Also kein Lodenfrey-Model, das von der Litfaßsäule lächelt und Lust auf Tracht macht. „Dafür wird es nächstes Jahr umso besser“, ist sich Höhn sicher. „Die Leute wollen sich wieder etwas gönnen.“
Lola Paltinger: Designerin zieht wegen Corona-Absage raus aus München - „Um Kosten zu reduzieren“
„Es ist nicht auszudenken, was das Wiesn-Aus für die Trachtenbranche bedeutet – die Volksfeste machen 80 Prozent des Umsatzes aus“, sagt die 48-jährige Trachtendesignerin und Schneiderin. „Aber ich hätte es auch nicht gut gefunden, wenn das Oktoberfest stattfinden würde.“ Paltinger rettet sich und ihre vier Mitarbeiter seit über einem Jahr gerade so durch die Krise. Ihr Glück: Sie konnte Stoffbestellungen rechtzeitig stoppen, hat keine großen Lagerbestände, weil sie hauptsächlich individuell fertigt, und sie verkauft ihre Modelinie beim Homeshopping-Sender HSE.
Dennoch: Auch sie muss sich nach zwei ausgefallenen Volksfest-Jahren neu orientieren – nach 22 Jahren als selbstständige Designerin und Schneiderin: „Wir werden aus der Stadt wegziehen – aufs Land, um die hohen Kosten zu reduzieren. Hier liegt ja alles brach, was mit Tracht zu tun hat.“ Überhaupt sieht Paltinger die Kreativität, das ganze Lebensgefühl der Stadt durch die lange Durststrecke in Gefahr. Sie sieht aber auch: Es geht anderen, etwa den Schaustellern, die gar keine Einnahmen mehr haben, noch viel schlechter. „Es ist einfach nur tragisch.“ *tz.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA.