Mann (82) erdrosselt Frau: „Die Krankheit hat ihn stark verändert“

59 Jahre lang war Alfred W. (82) mit seiner Frau Lydia (84) verheiratet. Sie war die Liebe seines Lebens und pflegte ihn, als er dement wurde. Am 27. August erdrosselte er seine Frau, nun steht er vor Gericht.
Seine Arme sind noch immer kräftig. Adern und Muskeln treten hervor, als Alfred W. mit schwachen Schritten in den Gerichtssaal geht, gestützt auf einen Rollator, der Blick sehr streng. „Was soll ich hier“, herrscht der 82-Jährige einen Wachtmeister an. Seine Stimme ist markig und laut, aber man hört auch die Angst heraus. „Ich weiß nicht, wo ich bin“, sagt Alfred W. Dann fügt er sich den Anweisungen und setzt sich auf die Anklagebank, gleich daneben stellt der Wachtmeister den Rollator ab. Nun beginnt der unangenehme Teil für Alfred W., er muss die Fragen von Richterin Susanne Reiß beantworten: Wie alt er ist, wo er wohnt, wie seine Frau hieß. Der Senior windet sich. Sekunden vergehen. Dann sagt er: „Ich weiß es nicht.“
Eine schwere Demenz ist der Grund für seine Vergesslichkeit, und sie ist Problem und Ursache gleichermaßen in diesem Prozess: Denn laut Anklage hat Alfred W. seine Frau Lydia umgebracht, nach einem Streit, am 27. August 2016. Seit Jahren hatte sie sich um ihren schwer kranken Mann gekümmert und ihn liebevoll gepflegt. Aber der Umgang wurde immer schwieriger, weil Alfred W. aggressiv reagierte. Besonders, wenn es um Termine beim Arzt oder Friseur ging, wurde er wütend. So auch am Tag der Tat, glaubt die Staatsanwaltschaft: Laut Anklage schlug Alfred W. seiner Frau mehrfach kräftig ins Gesicht und auf die Arme. Die völlig perplexe Rentnerin war benommen, aber sie erkannte den Ernst der Situation und versuchte sich zu wehren. Mit welcher Kraft, lässt sich auch daran ablesen, dass sie ihrem Mann das Nasenbein brach, um ihn von sich wegzuhalten. Aber der frühere Amateur-Boxer war ihr körperlich überlegen und schlug sie weiter so fest, dass sie zu Boden fiel. Dann legte er ihr eine Kordel um den Hals und zog rund drei Minuten fest zu – bis Lydia W. sich nicht mehr rührte. Sie starb schließlich an der Strangulation.
Beklemmendes Schauspiel vor Gericht
Alfred W. schluchzt laut, als er diese Vorwürfe hört. „Ich habe keinem Menschen etwas getan“, schimpft er. Den Ernst der Situation scheint er zu verstehen, auch an seine Frau erinnert er sich plötzlich wieder – zumindest, als die Richterin ihren Namen ausspricht. Sie muss schreien, damit Alfred W. sie hört. Minutenlang ziehen sich diese beklemmenden Dialoge hin, eine Verständigung mit dem Angeklagten ist kaum möglich, so verwirrt ist er. Und schläft immer wieder ein, wenn die Richterin nicht mit ihm, sondern mit seinem Anwalt spricht. Schließlich sagt die Vorsitzende: „Sie sind eine Gefahr für die Allgemeinheit, deshalb sind Sie in der Psychiatrie untergebracht.“ Dort wird Alfred W. wohl bleiben müssen, weil weitere Taten von ihm nicht ausgeschlossen werden könnten. Wegen Totschlags steht er seit Donnerstag vor Gericht, gilt aber als schuldunfähig.
„Mein Vater hatte ein glückliches Leben, er hat immer brav gearbeitet“, sagt sein Sohn Jürgen P. (59, Name geändert). „Die Krankheit hat ihn stark verändert. Er wurde aggressiv, weil er nicht mehr durchgeblickt hat.“ Es sind ehrliche Worte, aber sie zehren an Jürgen P. Als er spricht, weint sein Vater und wirkt gebrochen. Dass Lydia W. den Vater vom Autofahren abhielt, habe Alfred W. als Entmündigung erlebt. „Meiner Mutter hatte er nie auch nur eine Ohrfeige gegeben“, sagt der Sohn. „Ich hatte mir eher Sorgen um sie gemacht, weil die Pflege so anstrengend war.“ Oft sei der Gedanke aufgekommen, ob Alfred W. im Pflegeheim besser aufgehoben wäre. Doch dazu kam es nicht mehr.
„Ich hätte nie gedacht, dass er ihr etwas antun könnte“, sagt Jürgen P. Dann durfte er sich zu seinem Vater setzen, der am restlichen Prozess nicht mehr teilnehmen muss. Rührend streichelt er den Senior, legt seinen Arm um ihn. „Es ist schlimm, was passiert ist. Aber ich habe ihm verziehen.“