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Rammstein in München: Schwere Vorwürfe gegen Till Lindemann - perfides Groupie-System?

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Till Lindemann bei einem Rammsteinkonzert in Düsseldorf 2022
Till Lindemann bei einem Rammsteinkonzert in Düsseldorf 2022. © Malte Krudewig / dpa

Ein Skandal jagt den anderen im Olympiapark: Nach Antisemitismus-Vorwürfen gegen Roger Waters und Frei Wild (die tz berichtete) sind es jetzt Rammstein und Sänger Till Lindemann, die die Gemüter erhitzen. Lindemann soll übergriffig gegenüber Frauen sein, die Band ein perfides Groupie-System praktizieren. Wir fassen das Wichtigste zusammen. 

Was für eine Band ist Rammstein?

Rammstein („Engel“, „Du hast“) gilt als erfolgreichster deutscher Kulturexport, verdiente auf der ganzen Welt goldene Schallplatten. Seit ihrer Gründung 1994 sind Lindemann & Co., die brachialen Deutschrock machen und gerne mit martialischen Videos schocken, umstritten. Ihnen wurde mehrfach Rechtsextremismus vorgeworfen, die Musiker selbst bezeichnen sich als links. Der NRW-Verfassungsschutz stufte die Band nicht als rechtsextrem ein.

Was passiert in München?

Die Musiker sind auf großer Europatour: Am 7., 8., 10. und 11. Juni spielen Rammstein im vier Mal ausverkauften Olympiastadion. Wie immer, soll es eine ausufernde Pyrotechnik-Show mit Feuer und wilden Kostümen geben. Mit dabei ist das Duo Abélard, das Rammstein-Hits auf dem Piano interpretiert.

Das sind die Vorwürfe:

Die Irin Shelby L. alarmierte nach dem Tournee-Start in Vilnius die Polizei: Obgleich sie kaum getrunken hatte, leide sie nach einer Party im Backstagebereich unter Gedächtnislücken, sei mit blauen Flecken am Körper aufgewacht. Womöglich seien hier Betäubungsmittel im Spiel gewesen. Zuvor habe Lindemann sie in einer Konzertpause zum Sex aufgefordert und sei aggressiv geworden, als sie ablehnte. Andere Frauen berichteten inzwischen Ähnliches, zum Beispiel von unfreiwilligem Sex, der nur deshalb widerstandslos geschah, weil Lindemann sie mit seiner Promi-Aura überrumpelte. Der Knackpunkt: Die Sache hatte angeblich System. Frauen berichten von einem mehrstufigen Casting, mit dem sie via Facebook und Instagram in einen speziellen Frauenbereich im Konzert gelockt wurden, der „Row Zero“ direkt vor der Bühne. Eine Art Mädchen-Managerin namens Alena M. soll ihnen kostenlosen Eintritt, Getränke und Treffen mit der Band versprochen haben. Insbesondere Treffen mit Lindemann, teils auch Sexkontakt mit ihm, wurden angepriesen.

Was sagt die Band?

Ende Mai posteten die Musiker auf Twitter zu den Vorfällen in Vilnius: „Wir (können) ausschließen, dass sich, was behauptet wird, in unserem Umfeld zugetragen hat. Uns sind keine behördlichen Ermittlungen dazu bekannt.“ Und wenig später auf Instagram: „Wir verurteilen jede Art von Übergriffigkeit und bitten: Beteiligt euch nicht an (...) Vorverurteilungen (...) denen gegenüber, die Anschuldigungen erhoben haben. Sie haben ein Recht auf ihre Sicht der Dinge. Wir (...) haben aber auch ein Recht – nämlich (...) nicht vorverurteilt zu werden.

Was passiert jetzt?

Der Verlag Kiepenheuer & Witsch hat die Zusammenarbeit mit Till Lindemann aufgekündigt. Seine Gedichte, die er bei dem Verlag veröffentlichte, haben nach den Sex-Vorwürfen neue Brisanz (siehe oben). Ob das Online Pokerportal GG Poker, das kürzlich einen Kunst-Werbefilm mit Lindemann drehte, zu ihm steht, war bis Redaktionsschluss nicht zu klären.

„100 Gedichte“ von Till Lindemann, erschienen bei Kiepenheuer & Witsch 2020.
„100 Gedichte“ von Till Lindemann, erschienen bei Kiepenheuer & Witsch 2020. © Kiepenheuer & Witsch

Die umstrittenen Gedichte

In dem Band „100 Gedichte“ veröffentliche Till Lindemann 2020 den Zehnzeiler „Wenn du schläfst“. Darin beschreibt er genau das, was sich in Vilnius ereignet haben soll: Eine Frau wird betäubt und vergewaltigt. „Ich schlafe gerne mit dir, wenn du schläfst (...) Etwas Rohypnol im Wein (...) Kannst dich gar nicht mehr bewegen“, lauten einige Verse. Der Verlag Kiepenheuer & Witsch bestand damals auf der Trennung zwischen Autor und Erzähler, wie sie in der Literatur wissenschaftlicher Standard ist, auch bei gewalttätigen oder pornografischen Texten (z.B. von Henry Miller, Bret Easton Ellis, Charles Beaudelaire). Vergewaltigung im Schlaf wurde unter anderem schon in der deutschen Klassik thematisiert, und zwar in der „Marquise von O.“ von Heinrich von Kleist. Hierbei steht allerdings weniger die Tat selbst als die anschließende ausführliche Auseinandersetzung zwischen Täter und Opfer im Mittelpunkt.

Doch jetzt rückt der Verlag vom Sänger ab, unter anderem weil ihm erst jetzt der drei Jahre alte Lindemann-Gewaltporno „Till the end“ bekannt wurde. Dieser persifliert die gegen Frauen immer brutaler werdenden Themen und Motive der Pornoindustrie - und zitiert dabei ein weiteres Lindemann-Gedicht aus einem älteren Buch des Sängers, ebenfalls erschienen bei Kiepenheuer & Witsch. In einer Erklärung des Verlags von Anfang Juni heißt es genau: „Durch die Frauen demütigenden Handlungen Till Lindemanns im besagten Porno und die gezielte Verwendung unseres Buches im pornographischen Kontext wird die von uns so eisern verteidigte Trennung zwischen dem lyrischem Ich und dem Autor/Künstler aber vom Autor selbst verhöhnt. (...) Aus unserer Sicht überschreitet Till Lindemann für uns unverrückbare Grenzen im Umgang mit Frauen. Wir haben uns daher entschieden, die Zusammenarbeit mit Till Lindemann mit sofortiger Wirkung zu beenden (....).“

Die Vorwürfe seien „ausnahmslos unwahr“, heißt es in einer Stellungnahme der Anwälte. Gegen einzelne Personen, die behaupten, von Lindemann unter Betäubungsmitteln gesetzt und so gefügig gemacht worden zu sein, gehe man nun rechtlich vor. Auch die Berichterstattung vieler Medien werde geprüft und dagegen gegebenenfalls rechtliche Schritte eingeleitet.

Transparenzhinweis vom 8. Juni 2023, 19. 30 Uhr: Dieser Artikel wurde mit den Aussagen von Till Lindemanns Anwälten ergänzt.

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