Ein bisschen früher als die Öffentlichkeit.
Was heißt ein bisschen?
(lacht) Das obliegt der Verschwiegenheit zwischen Katrin Habenschaden und dem Fraktionsvorstand.
Wir sprechen aber nicht von Wochen zuvor, sondern wenigen Tagen . . .
. . . ja, so in etwa. Wir waren jedenfalls sehr überrascht bis geschockt von diesem Schritt. Bei uns Grünen hatte auch keiner damit gerechnet.
Bereits einen Tag nach dem Rücktritt der Bürgermeisterin stand fest, dass Sie Nachfolger werden sollen. Wie lief die Entscheidungsfindung?
Zunächst wurde im Fraktionsvorstand darüber gesprochen. Ich habe dort viel Zuspruch bekommen, dass ich meinen Hut in den Ring werfen soll. Dann habe ich mir natürlich auch privat Gedanken gemacht und mit meinem Partner geredet. Das Amt des Bürgermeisters verändert den Alltag. Aber ich gehe schon lange einen gemeinsamen politischen Weg mit Katrin Habenschaden, sodass ich ein Gefühl dafür habe, welche Arbeit auf mich zukommt. Klar war jedenfalls, dass die Fraktion die Nachfolge schnell entscheiden musste. Und das haben wir getan.
War es kein Thema, dass wieder eine Frau Bürgermeisterin werden sollte?
Natürlich. Aber meine Fraktion hat mich mit überwältigender Mehrheit, mit nur einer Gegenstimme, nominiert.
Hat Sie diese Gegenstimme geärgert?
Also ehrlich gesagt: Für Grünen-Verhältnisse ist das ein sehr gutes Wahlergebnis.
Ihr Verhältnis zu OB Reiter gilt als angespannt. Ist eine vertrauensvolle Zusammenarbeit möglich?
Ich hatte mit ihm nach Bekanntwerden meiner Kandidatur ein sehr nettes Gespräch. Aber natürlich gibt es auch in einer Koalition unterschiedliche Positionen zwischen den Parteien. Als Fraktionsvorsitzender lag mein Fokus darauf, die Haltung meiner Fraktion einzubringen. Die Rolle eines Bürgermeisters ist dagegen, die gesamte Stadtgesellschaft zu vertreten. Das möchte ich in den Vordergrund stellen, wenn ich gewählt werde.
Wo sehen Sie die größten politischen Differenzen zwischen Ihnen und Herrn Reiter?
Grüne und SPD haben gemeinsam ein sozial-ökologisches Projekt. Die SPD betont naturgemäß den sozialen Aspekt ein wenig mehr, wir den ökologischen. Mir persönlich ist beides wichtig.
Die SPD hat sich dennoch schwergetan, sich öffentlich zu Ihrer Wahl zu bekennen. Was passiert, wenn Sie im ersten Wahlgang scheitern?
Ich sehe keinen Anlass, darüber zu spekulieren. Die SPD hat klar Stellung bezogen, dass sie die Arbeit in der Koalition fortsetzen möchte. Und der Fraktionschef Christian Müller hat sofort meine Kandidatur begrüßt. Sicher gab es in der Vergangenheit Frotzeleien. Aber momentan sind wir in einem guten kollegialen Modus mit der SPD.
Was man von Kritikern Ihrer Person oft hört, ist, dass Sie in Ihrem Leben noch nie richtig gearbeitet, sondern nur studiert hätten und hauptberuflich Stadtrat seien. Was entgegnen Sie dem?
Als Stadtrat beschäftige ich mich seit Jahren jeden Tag mit den Alltagsproblemen der Münchnerinnen und Münchner, führe viele Gespräche mit Menschen aus allen Schichten der Gesellschaft. Ehrenamtlicher Stadtrat zu sein, insbesondere als Fraktionsvorsitzender, ist ein Fulltime-Job mit 60-Stunden-Woche und hoher Verantwortung. Ich hätte nach Abschluss meines Physik-Studiums auch in die freie Wirtschaft gehen können. Aber ich wollte lieber Politik machen für meine Heimatstadt München.
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Sie haben in Ihrer Pressemitteilung Wert auf die Formulierung gelegt, dass München den ersten offen schwulen Bürgermeister bekommt. Warum war Ihnen diese Betonung so wichtig?
Es sollte im Jahr 2023 keine Rolle mehr spielen, welche Sexualität man hat. Leider sind aber viele queere Menschen nach wie vor von Diskriminierung betroffen, auch in München. Solange das so ist, finde ich Sichtbarkeit wichtig.
Und der Zeitpunkt war richtig, weil Sie nun ein hohes politisches Amt anstreben?
Ja. In München gab es nun mal noch keinen offen schwulen Bürgermeister.
Die Fußstapfen von Katrin Habenschaden sind groß. Wie wollen Sie das Amt ausfüllen, welche Akzente wollen Sie setzen?
Zunächst muss man sagen, der Abschied von Katrin Habenschaden ist eine Zäsur. Für die Münchner Kommunalpolitik, aber besonders für uns Grüne. Sie hat unter anderem mit viel Engagement dafür gesorgt, dass die Grünen für die Wirtschaft in der Stadt noch mehr zum Ansprechpartner werden und diese Anliegen bei uns Gehör finden. Das will ich fortsetzen. Die Unternehmen und Handwerksbetriebe sind elementar wichtig für unsere Stadt. Besonders beschäftigt mich das gesellschaftliche Klima. Es ist wahrnehmbar, dass etwas auseinanderdriftet. Das zeigt sich nicht zuletzt in den Wahlergebnissen rechtsextremer Parteien. Wir brauchen Klimaschutz, weil wir eine lebenswerte Stadt erhalten wollen. Das ist die Jahrhundertaufgabe unserer Generation. Man muss aber auch sehen, dass manche Menschen nach zwei Krisen momentan ganz unmittelbare Probleme im Alltag haben. Ich möchte unsere ökologisch-soziale Politik fortsetzen, aber auch die Menschen mitnehmen, die sich vielleicht gerade nicht gehört fühlen und veränderungsmüde sind.
Wir brauchen Klimaschutz, weil wir eine lebenswerte Stadt erhalten wollen. Das ist die Jahrhundertaufgabe unserer Generation.
Sie gelten als Vertreter des linken Flügels, waren aber auch einer der Ersten, die sich für den Weiterbetrieb der Kohleverbrennung in Unterföhring und von Isar 2 ausgesprochen haben. Welchen Dominik Krause kriegen wir als Bürgermeister, den Ideologen oder den Pragmatiker?
Gute Kommunalpolitik ist immer pragmatisch. Die Entscheidungen sind meist sehr unmittelbar und wir kriegen alles sofort gespiegelt. Aber ich glaube auch, die Menschen wollen keine weichgespülten Politiker. Natürlich tat es mir als Grüner weh, Isar 2 für einige Monate länger am Netz zu lassen. Aber wir hatten temporär eine angespannte Versorgungslage und mussten sicherstellen, dass die Münchner mit Energie versorgt werden. Zugleich treiben wir vehement den Ausbau von Photovoltaik und Geothermie voran. Man kann pragmatisch sein, ohne seine Ziele aufzugeben.
Wann werden Sie zum OB-Kandidaten gekürt?
(lacht) Um die Frage ging es bisher noch gar nicht. Alles war so kurzfristig, dass ich mir da noch keine abschließenden Gedanken gemacht habe.
Eine Option sind Sie aber?
Ich habe es bisher nicht ausgeschlossen, aber darüber wird die Partei zu gegebener Zeit entscheiden.
Zu gegebener Zeit heißt dann im nächsten Jahr?
Davon gehe ich aus.
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