Versnobbt? Bierig? 13 München-Klischees und die Wahrheit
München - Millionendorf am Alpenrand, Weltstadt mit Herz. Für 1,5 Millionen Menschen ist München ein teures Zuhause. Für alle anderen vor allem: ein Klischee. Aber stimmt überhaupt, was man sich über München erzählt?
Wer irgendwo auf den 310,4 km² zwischen Großhesseloher Brücke und Allianz Arena lebt, der hat ein klares Bild von seinem Wohnort – in all seinen Facetten. Ein noch viel klareres Bild von München haben aber meist all jene, die nicht hier wohnen. Das weiß jeder Münchner, der einmal in Hamburg, Berlin, Köln oder im Ausland beiläufig den Namen seiner Heimatstadt erwähnt hat. Schnell fallen dann die üblichen Schlagworte. Mal heißt es „Snobstadt“, meist „Oktoberfest“, oft „konservativ“.
Und was ist dran? Ist München wirklich gemütlich, sicher, sauber, langweilig, versnobbt, konservativ, bierselig? Ein Faktencheck – und eine Argumentationshilfe für Münchner auf Reisen:
Klischee Nummer eins: „München ist so konservativ.“
Einige Argumente für diese These gibt es natürlich. Die CSU hat ihr (frisch bezogenes neues) Hauptquartier in München. Franz-Josef Strauß war gebürtiger Münchner.
So ganz klar ist die Sache dann aber doch nicht. In den vergangenen 71 Jahren regierten in München nur neun Jahre lang CSU-Bürgermeister – München ist traditionell eine SPD-Hochburg. Zumindest lokalpolitisch. Und dann sind da ja noch Episoden wie die Münchner Räterepublik: Im April 1919 war ausgerechnet München Zentrum einer sozialistischen Revolution - auch, wenn sie letztlich nur vier Wochen währte.
Klischee Nummer zwei: „München ist urbayerisch.“
München ist die Hauptstadt Bayerns, aber schon lange keine homogen-bayerische Stadt mehr. In den vergangenen zehn Jahren sind rund 300.000 Neumünchner zugezogen. Und nach Angaben der Stadt sind gut 41 Prozent der Münchner Ausländer oder haben einen Migrationshintergrund. Zum Vergleich: In Berlin fielen Ende 2014 28,6 Prozent der Einwohner in diese beiden statistischen Kategorien.
München hat also so einiges zu bieten, wenn es um das Thema kulturelle Vielfalt geht. Bayerisches und Münchnerisches ist freilich auch noch dabei. Von der Biergartenkultur übers Maibaumaufstellen am Laimer Anger bis zum Kocherlball am Chinesischen Turm gibt es einige Momente mit Lokalkolorit zu erleben.
Klischee Nummer drei: „München ist unglaublich sicher.“
Die offiziellen Statistiken bestätigen diese These. Klammert man Verstöße gegen das Aufenthaltsgesetz aus – die 2015 wegen der großen Zahl an neu ankommenden Flüchtlingen zwangsläufig stiegen – dann hat die Münchner Polizei im vergangenen Jahr gut 104.000 Delikte registriert. Damit ist die Landeshauptstadt nach Angaben der Ordnungshüter „die sicherste Millionenstadt Deutschlands“.
Zum Vergleich: In Frankfurt am Main wurden 2015 knapp 119.000 Straftaten erfasst – und das, obwohl die hessische Metropole nicht einmal halb so viele Einwohner zählt wie München.
Klischee Nummer vier: „Die Polizei ist in München überall.“

Die Formulierung ist provokant, die These aber nicht ganz aus der Luft gegriffen. In München sind nach Auskunft des Polizeipräsidiums rund 6.000 Beamte im Einsatz. Das bedeutet: Auf 330 Bürger im Einzugsbereich des Präsidiums kommt rechnerisch je ein Polizist. Das bayerische Innenministerium will solche Zahlen aufgrund unterschiedlicher lokaler Gegebenheiten zwar ungern zwischen Städten und verschiedenen Bundesländern verglichen sehen. Ein Ministeriums-Sprecher bestätigt aber: Als Landeshauptstadt, Pendler-Metropole und beliebtes Touristenziel sei München natürlich auch ein Einsatzschwerpunkt für die bayerische Polizei.
Klischee Nummer fünf: „München ist so versnobbt.“
Schon möglich. Entsprechende Indizien geben die städtischen Statistiken jedenfalls her. 2015 sind in München zum Beispiel rund 27.000 neue Oberklasse- und Geländewagen und SUV zugelassen worden – und „nur“ gut 22.000 neue Klein- und Kleinstwagen. Zugleich lagen 2011 sechs der sieben Landkreise Bayerns mit den höchsten verfügbaren Pro-Kopf-Einkommen in der Metropolregion München; München selbst belegte Rang fünf. Nachzulesen ist das beim Bayerischen Landesamt für Statistik.
All das spricht dafür, dass reichlich Geld in der Stadt ist. Denselben Eindruck erweckt ein Spaziergang durch die Maximilianstraße oder über den Odeonsplatz. Andererseits: Ein paar urige Boazn gibt es auch noch, wie etwa Maximilian Bildhauers Bücher beweisen.
Klischee Nummer sechs: „München ist nur wegen der Berge und Seen so lebenswert.“
Was lebenswert ist, bleibt Geschmacksfrage. Klar scheint, dass auch eingefleischte Münchner ihr schönes Umland explizit schätzen. In einer Leserumfrage der tz haben Ende 2014 93 Prozent der Befragten erklärt, dass Berge, Schlösser und Seen für sie eine Stärke Münchens sind.
Auf solch allgemeine Gegenliebe stieß kein anderer Aspekt rund um die Lebenswelt der Landeshauptstadt. Noch nicht einmal die Wirtschaftskraft oder die Kunst und Kultur Münchens.
Klischee Nummer sieben: „München ist ur-gemütlich!“
Kommt drauf an. Allein 82 waschechte Biergärten erfasste die tz zuletzt in ihrem Biergarten-Preisvergleich – und was könnte dem Klischee nach gemütlicher sein, als eine Mass unter Kastanienbäumen zu trinken. Konkurrenz macht bestenfalls ein Nachmittag an der smaragdgrünen Isar.

...wenn man denn noch einen Liegeplatz im Ufer-Gras bekommt. Denn andererseits wuselt es in München vor allem an Werktagen wie in einem Ameisenhaufen. Mit 49 Menschen je Hektar ist München die Großstadt mit der höchsten Einwohnerdichte Deutschlands. Tagsüber kommen zudem regelmäßig mehr als 300.000 Pendler in die Stadt. 2015 quetschten sich laut einer Erhebung eines Immobiliendienstleisters bis zu 15.655 Menschen pro Stunde durch die Kaufingerstraße. Sie ist damit die meistfrequentierte Einkaufsstraße Deutschlands. Der Mittlere Ring wiederum gilt als verkehrsreichste Straße Deutschlands. Gemütlich klingt das nicht – sondern nach jeder Menge Action.
Klischee Nummer acht: „Aber abends werden die Bürgersteige hochgeklappt.“
Fakt ist: In München findet vielerlei Spaß abends etwas früher ein Ende als anderswo. Um acht Uhr schließen die Läden – für Bewohner anderer Millionenstädte eine abstruse Vorstellung. Spätestens um Mitternacht ist Schluss mit dem Ausschank unter freiem Himmel. Auch wer wochentags zur Geisterstunde im Glockenbachviertel noch ein Bier ausgeschenkt bekommen will, braucht auf einmal viel Glück beim Aufstöbern der passenden Örtlichkeit. Und bei der MVG bleiben die U-Bahnen zur Nachtruhe im Depot.
In Berlin wäre das zumindest am Wochenende undenkbar. Ebenso wie der im Juni publizierte Plan des KVR, einen neuen städtischen Ordnungsdienst auszusenden, um abends Ruhestörungen auf den großen „Partymeilen“ zu bekämpfen. München nimmt die Nachtruhe sehr wichtig.
Klischee Nummer neun: „München hat keine Subkultur.“
Einen Ruf als Stadt der Subkultur hat München ohnehin seit den 60er-Jahren nicht mehr gehabt. Eine richtige Diskussionswelle hat dann im Oktober der Elektro-Jazzer Belp losgetreten: Er drohte, die Stadt zu verklagen, weil das langweilige Image der Stadt seinen Ruf als Musiker schädige.
Schwarz-weiß ist die subkulturelle Wahrheit freilich auch in München nicht. Orte wie der seiner ambitonierten DJs und seines Sounds wegen renommierte Club Harry Klein, die artverwandte Rote Sonne, die Bühnen Milla, Import/Export oder Kafe Kult, Live-Projekte wie Hauskonzerte und innen.aussen.raum, Kunst-Spaces wie das Kösk bringen durchaus Leben in die Stadt. Aber häufig fehlt für kreative Projekte vor allem bezahlbarer Raum, wie etwa der Münchner Musikjournalist Holger Messner bestätigt - auch mit Blick auf die traditionellen Münchner Boazn. „Der Platz in München wird immer knapper. Die Mietpreise steigen. Viele Läden, die man der Subkultur zuschreiben kann, mussten weichen“, sagt er: „Kleine Kneipen und Bars tun sich zusehends schwerer.“ „Aber es gibt natürlich auch Lichtblicke wie den Bahnwärter Thiel. Ein Projekt, das zeigt, auch München hat noch eine Subkultur. “
Klischee Nummer zehn: „In München zählt nur das Bier.“
Jedes Jahr fließen auf der Wiesn um die sieben Millionen Liter Bier. Aber auch abseits des Mega-Volksfests steht München im Zeichen des Gerstensaftes. Genaue Zahlen zu Bier-Ausstoß und -Absatz in München gibt es zwar nicht - der Verein Münchner Brauereien teilt aber auf Anfrage beruhigend mit: München sei immer noch als „die Bierstadt“ anzusehen. In den vergangenen Jahren sind zusätzlich zu den alteingesessenen Brauereien auch neue Craft-Bier-Projekte entstanden.
Allerdings gibt es auch andere sehr annehmbare Getränke in der Stadt. Beim Bar- und Cocktail-Preis „Mixology Award“ haben Münchner Bars vier von acht Trophäen eingeheimst. Und das Schumann's ist ohnehin eine Cocktailbar-Legende. Auch wenn man all das nun wieder ein wenig „versnobbt“ finden kann.
Klischee Nummer elf: „Alle Münchner sind Bayern-Fans.“
Eine These, mit der sich Münchner im Exil häufig konfrontiert sehen. Aber auch eine sehr gewagte. Um das Allermindeste zu sagen. Eine Umfrage der „Abendzeitung“ hat 2014 ergeben, dass immerhin 10 der 25 Stadtbezirke überwiegend blau-gefärbt – also in der Hand von 60er-Fans – sind. Eine alte, bislang nicht widerlegte Weisheit besagt zudem, dass Anhänger des TSV 1860 eher im Stadtgebiet, die des FC Bayern im Umland zu finden sind.
Und dann gibt es auch noch kleine, aber stabile Enklaven von Fangruppen, etwa der Dortmunder Borussia oder Werder Bremens. Die Münchner Anhänger der beiden Klubs haben mit dem Barschwein und dem Brandstetter in Schwabing sogar feste Treffpunkte. Auch die kleine Spielvereinigung Unterhaching hat auf Münchner Stadtgebiet einige treue Fans.
Klischee Nummer zwölf: „München ist die nördlichste Stadt Italiens.“
Nicht im Wortsinne. Nicht unbedingt an jeder Straßenecke. Und nicht bei jedem Wetter. Aber an einem sonnigen Sommertag kann München diesen inoffiziellen Titel mit Bauten und Stimmungen untermauern. Feldherrenhalle, Residenzpost und Siegestor sind zum Beispiel direkt fiorentinischen und römischen Vorbildern entlehnt: dem Loggi dei Lanzi, dem Findelhaus und dem Konstantinsbogen. Dann ist da natürlich auch das luftig-leichte Flair, das die Isarbrücken, den Gärtnerplatz oder die Ludwigstraße umweht, wenn die Temperaturen auf mehr als 25 Grad steigen. Und echter italienischer Einfluss. Zwischen 25.000 und 28.000 Italiener lebten 2015 in der Landeshauptstadt. Da ist es dann auch eher ein ernst zu nehmender kulinarischer Tipp als ein weiteres Klischee, wenn es heißt: „In München gibt es die besten italienischen Restaurants im ganzen Land.“
Klischee Nummer dreizehn: „München ändert sich nie!“

Da wissen Münchner etwas anderes zu erzählen. Clubs, Bars und Restaurants sind in stetem Wandel – mal zum Leidwesen, mal zur Freude der Stadtbewohner. Neubaugebiete sprießen seit Jahren entlang der Bahnstrecken und auf ehemaligen Industrie- und Kasernengeländen von Prinz-Eugen-Park über Parkstadt Schwabing bis zum Agfa-Gelände in Giesing. Und bald beginnen die Arbeiten an stadtprägenden Projekten wie der zweiten Stammstrecke oder dem neuen Konzertsaal.
Ein wenig städtebaulichen Konservativismus gönnt sich München aber auch. Seit einem Bürgerentscheid im Jahr 2004 dürfen Hochhäuser nicht mehr über das Maß aller Dinge hinauswachsen – das sind in München die beiden Türme der Frauenkirche mit ihren „welschen Hauben“. Bei 100 Metern Höhe ist für Hochhaus-Bauer Schluss. Kritik gibt es aber immer an allem, was passiert. An teuren Großprojekten, allzu sparsam gedachten Wohnquartieren, an wahlweise zu frühem oder zu spätem Schankschluss. Womit eigentlich bewiesen wäre: Vor allem gibt es immer mehr als nur eine Meinung über München und das, was in München passiert.
fn