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Neue Hoffnung bei Darmkrebs

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Von: Susanne Sasse

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Tobias H. (38) hatte Darmkrebs. Immuntherapie hat ihn geheilt.
Tobias H. (38) wurde durch Immuntherapie vom Krebs geheilt. © Darmkrebspatient Tobias H. (38) wurde durch Immuntherapie geheilt.

Darmkrebs – das klang noch vor wenigen Jahrzehnten wie ein Todesurteil. Jüngst hat die Medizin auf diesem Gebiet unglaubliche Fortschritte gemacht. So gibt es Immuntherapien, die das körpereigene Immunsystem so anregen, dass es den Tumor aus eigener Kraft besiegt. Doch wirken die Therapien bislang nicht bei allen Patienten. Wir berichten, bei welchen Patienten diese Therapie wirkt und welche Schwierigkeiten es gibt.

Patient Tobias H. : „Nach zwei Infusionen war der Tumor einfach weg“

Eigentlich kann Tobias H., Familienvater aus Schwabmünchen bei Augsburg, sein Glück noch immer gar nicht fassen. Sein Großvater starb vor mehr als 20 Jahren an Darmkrebs. Daran hatte er nicht gedacht, als er wegen Schmerzen zum Arzt ging – doch als man dann einen großen Tumor in seinem Dickdarm entdeckte, schoss ihm die familiäre Vorgeschichte in den Kopf.

Dann aber hatte er dank neuartiger Therapieverfahren schon wenige Wochen später keinen Tumor mehr in seinem Darm! Ohne Operation, ohne Chemotherapie und ohne Bestrahlung. „Das ist faszinierend, ich finde diese neue Technologie bahnbrechend“, sagt der 38-Jährige. Er bekam zwei Mal im Abstand von zwei Wochen eine Infusion: Die darin enthaltenen sogenannten Checkpoint-Inhibitoren (siehe Text unten) aktivierten sein körpereigenes Immunsystem so stark, dass es selbst dem Tumor den Garaus machte. Am 16. Dezember wurde er dennoch im Klinikum rechts der Isar in München operiert und der betroffene Teil des Darms entfernt. „Da war tatsächlich kein Tumor mehr, nur noch Narbengewebe“, sagt H.. An Heiligabend konnte er vormittags entlassen werden – und saß am Abend mit Frau und Tochter unter dem Christbaum – „vielleicht noch etwas blass, aber überglücklich“. Nun wird er medizinisch engmaschig überwacht, damit nichts zurückkommt.

Dass alles so gut ausgegangen ist und er gleich nach der Diagnose ans Krebszentrum des Klinikums rechts der Isar kam, wo man ihn dann darauf testete, ob die Checkpoint-Inhibitoren wirken können, verdankt er einem glücklichen Zufall. Denn Prof. Andreas Weber, bei dem er an der Wertachklinik Schwabmünchen untersucht wurde, arbeitete früher in der Onkologie am Klinikum rechts der Isar. Und dachte deshalb sofort daran, dass dann, wenn eine sogenannte Mikrosatelliteninstabilität (siehe Text unten) besteht, die modernen Immuntherapien sehr vielversprechend sind. Prof. Hana Algül, Direktor des Krebszentrums am Klinikum rechts der Isar, liegt der Fall sehr am Herzen: „Das ist ein gutes Beispiel dafür, wie wichtig es ist, dass wir unsere neuen Erkenntnisse und Möglichkeiten bekannt machen, damit sie auch den Menschen in der Provinz zugutekommen. Wäre Herr H. nicht durch Zufall zu einem Spezialisten auf dem aktuellen Stand gekommen, hätte man wahrscheinlich gesagt, dass er einer der wenigen Fälle ist, in dem ein junger Mensch schon an Darmkrebs erkrankt“, sagt Prof. Algül. Nun aber kann man testen, ob eine Vererbbarkeit des Krebses gegeben ist – und hat also Risiken für die engsten Familienmitglieder gut im Blick.

In den USA und in den Niederlanden gab es im vergangenen Jahr zwei Forschungsreihen mit unglaublich positiven Ergebnissen. Diese haben den Krebsspezialisten Prof. Volker Heinemann sehr begeistert – vor allem, weil er in seiner täglichen Arbeit in der Onkologie am Klinikum Großhadern ebensolche höchst positiven Erfahrungen macht. Und zwar gelingt es, Darmkrebspatienten mit einer bestimmten Besonderheit alleine durch Infusionen, die das Immunsystem gezielt stimulieren, zu behandeln.

Um zu verstehen, um was es eigentlich geht, muss man zunächst den Begriff Mikrosatelliteninstabilität (MSI) erklären. Der komplizierte Begriff zeigt eine Schwäche der Zellen des Betroffenen, Schäden in der Erbsubstanz – der DNA – zu reparieren. Prof. Heinemann erklärt: „Die Zellen sind jeden Tag diversen Angriffen ausgesetzt, im Darm beispielsweise durch in der Nahrung enthaltene Krankheitserreger und Umweltgifte. Bei ungefähr 20 Prozent der Patienten mit Darmkrebs klappt der Mechanismus der Selbstreparatur nicht, das nennt man Mikrosatelliteninstabilität.“ Ein Mensch, bei dem eine Mikrosatelliteninstabilität gegeben ist, erkrankt deshalb auch leichter an Krebs. Denn seine Zellen – die gesunden Körperzellen, aber auch die Krebszellen – sind nicht so gut in der Lage, sich selbst wieder zu reparieren.

Ob eine solche Mikrosatelliteninstabilität gegeben ist, kann man testen – der Preis für so einen Test liegt im zweistelligen Euro-Bereich. Aber liegt Krebs vor, kann dieser Test Leben retten. Denn die moderne Krebsmedizin – in diesem Fall die Immuntherapie – ist in der Lage, genau diese Schwäche auszunutzen und zu ihrem Vorteil umzumünzen. Denn gerade die Krebszellen sind wegen der Mikrosatelliteninstabilität angreifbarer. Doch haben Krebszellen die schreckliche Fähigkeit, das Immunsystem zu umgehen. Indem sie sich tarnen und so für die Immunabwehr nicht mehr sichtbar sind, können sie ungehindert weiterwachsen. Das Immunsystem ist für Tumorzellen also quasi blind.

Und hier kommen die sogenannten Checkpoint-Inhibitoren ins Spiel. Sie sind Mittel der modernen Immuntherapie, die das körpereigene Immunsystem aktivieren, Die Checkpoint-Inhibitoren reißen nun sinnbildlich den Krebszellen die Tarnkappen herunter, sodass das Immunsystem sie erkennt und bekämpft. Das heißt also Folgendes: ein Organismus mit Mikrosatelliteninstabilität hat erst einmal ein deutlich erhöhtes Krebsrisiko. Besteht aber in den Tumorzellen die MSI, dann ist sie wegen der Genschäden für das Immunsystem nach den Immuntherapie besonders deutlich zu erkennen. Insofern ist Krebs bei MSI mit den Mitteln der modernen Immuntherapie sehr gut zu bekämpfen.

Besonders beim Darmkrebs hat hier die Forschung in den vergangenen Jahren immense Erfolge erzielt. Prof. Heinemann erklärt: „Bei Patienten mit festgestellter MSI ist die Immuntherapie mit Checkpoint-Inhibitoren so effektiv, dass man derzeit untersucht, ob zum Beispiel bei Enddarmkrebs (Rektumkarzinom) ganz auf die sonst übliche Behandlung mit Chemotherapie, Strahlentherapie und Operation verzichtet werden kann.“

Die Immuntherapie wird per Infusionen verabreicht. Bei Patienten, bei denen der Krebs gerade erst entdeckt wurde und er noch nicht gestreut hat, macht man in den Krebszentren der beiden Münchner Unikliniken sehr gute Erfahrungen mit der Immuntherapie bei Mikrosatelliten-instabilität (siehe Fall oben von Tobias Haslinger).

Aber auch bei bereits metastasierter Erkrankung zeigen sich große Erfolge. So gelingt es, Tumoren sogar dann in Schach zu halten, wenn sie beispielsweise in die Lymphknoten gestreut haben, wie es im Fall von Elisabeth Mayer (siehe Text unten) der Fall ist. In diesem Fall sind die Immuntherapien auch in Deutschland zugelassen.

Eine ganz neue Studie unter der Leitung von Andrea Cercek aus den USA zeigt sogar völliges Verschwinden der Tumoren bei allen immuntherapeutisch behandelten Patienten, berichtet Prof. Heinemann begeistert. Natürlich aber gibt es hier noch keine Langzeitdaten – man kann noch gar nicht wissen, wie es bei diesen Patienten in fünf Jahren aussieht, also ob der Krebs tatsächlich geheilt wurde.

In Deutschland ist die Immuntherapie für Patienten mit nicht metastasierter Darmkrebserkrankung bislang noch nicht zugelassen. „Möchte man die Immuntherapie in diesen Fällen dennoch einsetzen, handelt es sich um einen sogenannten Off-Label-Use“, erklärt Prof. Heinemann. Hier müssen die behandelnden Ärzte im Vorfeld die Kostenübernahme durch die Krankenkasse beantragen. Und wenn er abgelehnt wird, Widerspruch einlegen. Eine schwierige Situation, da ein Widerspruch begründet werden muss und Zeit kostet. Zudem haben die Krankenkassen mehrere Wochen Zeit, um die Anträge zu bearbeiten. Der Einzige, der keine Zeit hat, ist der Patient oder die Patientin, sagt Prof. Heinemann. Fügt aber hinzu, dass die meisten Kassen inzwischen von den guten Ergebnissen wissen – und sich meist kooperativ zeigen.

Was Prof. Heinemann zudem am Herzen liegt, ist, dass die Menschen, bei denen Darmkrebs diagnostiziert wird, sich testen lassen, ob bei ihnen die MSI besteht. Wenn ja, haben sie sehr gute Chancen, dass die Immuntherapie bei ihnen wirkt.

Susanne Sasse

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