„Es gab keine Notsituation. Ich war einfach christlich“ – Warum Münchner sich taufen lassen

Viele Gläubige treten aus der Kirche aus, andere hingegen ein – auch in München. Warum sich Menschen für die Taufe entscheiden.
München – Sie kommen aus allen Winkeln des Erzbistums in die Münchner Maxburgstraße – aus Dachau und Wolfratshausen, aus Landshut und Traunstein. Eigene Katechismus-Kurse lohnen sich nicht für sie, also kommen jedes Jahr im Herbst alle in München bei den Jesuiten an der Maxburgstraße zusammen, um sich auf die Taufe in der Osternacht vorzubereiten. Das Durchschnittsalter ist 27, es sind mehr Junge als Alte, mehr Frauen als Männer.
„Das Spannende ist, was bei den Leuten passiert, bevor sie zu uns kommen“, sagt Thomas Hürten. Der 60-jährige Pastoralreferent ist zuständig für Taufwillige und kennt alle Beweggründe, warum jemand plötzlich zu Jesus Christus gehören will.
Liebe, Krankheit und existenzielle Fragen: Darum werden Menschen religiös
„Ein häufiges Motiv ist zum Beispiel die Liebe“, sagt er. „Der Partner oder die Partnerin sind gläubig, und der neue Christ hat gemerkt, dass nicht alles in der Kirche komisch ist. Da geraten Vorurteile in Bewegung.“ Ganz oft brauche jemand auch Halt im Leben. Der im Gefängnis sitzt und über sich nachdenkt etwa, „oder der eine große Sünde begangen hat, und nicht will, dass sein Leben an die Wand fährt“.
Ein Grund für die Taufe könne aber auch eine schwere Krankheit sein. „Die Frage, warum leben wir überhaupt, stellt sich dann mit unglaublichem Ernst.“ Auch Muslime lassen sich laut dem Experten christlich taufen, etwa weil ihre Geburtsreligion ihnen wichtige Antworten nicht liefert. Oder erfolgreiche Menschen, die nicht wissen, wie es weitergeht, wo sie alles erreicht haben. „Das kann unangenehm sein, am Ende der Leiter.“
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„Ich war einfach christlich“ – Mit 14 entscheidet sich Leo Kempkes aus Münsing für die Taufe
Es gibt aber auch die einfache, spontane Erkenntnis, dass es Gott gibt. So wie bei dem 16-jährigen Leo Kempkes. Der Schüler aus Münsing am Starnberger See ist in ländlicher Umgebung christlich aufgewachsen. Allerdings hatten ihn seine Eltern nicht taufen lassen. „Sie wollten die Entscheidung mir überlassen“, sagt er. Mit 14 war klar: Er wollte!
Plötzlich gefiel es ihm, in die Kirche zu gehen, dort zu beten. „Es gab keine Notsituation. Ich war einfach christlich. Meine Mutter sah es und fragte, ob ich mich nicht taufen lassen will.“ Mehr noch, die Mutter, selbst aus der Kirche ausgetreten, trat mit ihrem Sohn wieder ein. „Jetzt beten wir morgens und abends zusammen“, freut sich Kempkes.
Renata Tvarohova, Juristin aus Tschechien: „In meiner Heimat ist Religion nicht üblich“
Ich glaube, dass ich glaube. So einfach wie für den jungen Tölzer ist diese Einsicht für viele Menschen nicht. „Kommt in jemandem die Erkenntnis auf, dass er vielleicht doch an Gott glaubt, dann traut er oft seinen Gefühlen nicht“, sagt Hürten, „gerade, wenn es ein langjähriger Atheist ist.“

Bei Renata Tvarohova zum Beispiel dauerte der Weg länger. Die 36-jährige Juristin stammt aus dem einst kommunistischen Tschechien, sie kam erst vor gut zehn Jahren an die Isar. „In meiner Heimat ist Religion nicht üblich“, erzählt sie, „das ist wie ein Stempel: Du bist komisch.“ Doch in ihrer Arbeit bei einem Münchner Investmentfonds bekam sie plötzlich viel über christliche Feste mit.
„Zuletzt konnte ich mich mit allem identifizieren, was die Bibel sagt“
„Die Kolleginnen haben über Konfirmationen und Firmungen gesprochen. Weihnachten und Ostern haben mir gut gefallen, und was mich verblüfft hat: Jeder Mensch in Bayern wusste alles über die Ursprünge dieser Feste! Das war ein Kulturschock für mich. Gleichzeitig wurde mir bewusst, dass ich selbst immer an etwas Höheres geglaubt habe, das mir geholfen hat. Worüber alle redeten, das war auch in mir!“
Eine zurückliegende Trennung und vor allem schwere gesundheitliche Probleme ließen Tvarohova, die eigentlich begeisterte Bergsteigerin ist, zusätzlich nach Sinn und Gemeinschaft suchen. Sie meldete sich im Taufkurs an. „Zunächst auf Probe, die Taufe am Ende war nicht sicher. Doch zuletzt konnte ich mich mit allem identifizieren, was die Bibel sagt.“ Und so ging sie den Weg aller Taufwilligen: erst zur Zulassungsfeier mit Kardinal Marx in Sankt Michael, einige Wochen später dann zur feierlichen Taufe in derselben Kirche. Erwachsene erhalten dann gleich drei Sakramente auf einmal, auch die Erstkommunion und die Firmung sollen sie ja haben.
Freunde und Familien reagieren unterschiedlich auf die Taufentscheidung
Die Reaktionen von Familie und Freunden fallen nach der Erfahrung von Hürten gemischt aus. „Hättest du nicht wenigstens evangelisch werden können?“, fragen Angehörige manchmal die Täuflinge. „Aber über die Missbrauchsfälle reden wir im Kurs natürlich auch, in der Gruppe oder in Einzelgesprächen. Dabei kristallisiert sich stets heraus, dass alle ähnlich denken: Die Verbrechen müssen restlos aufgeklärt, Täter bestraft werden. So etwas hat nichts mit Glauben zu tun. Christus steht aufseiten der Opfer.“
Leo Kempkes findet ohnehin: „Ich muss meinen Glauben nicht rechtfertigen.“ Und Renata Tvarohova wundert sich über die Maßstäbe ihrer Umgebung. „Sex und Gewalt finden öffentlich in allen Medien statt, nur Glauben gilt als komisch. Das ist doch pervers! Gerade in Großstädten ist der christliche Gemeinschaftsgedanke wichtig. Außerdem: Was wäre die Seniorenpflege ohne die Kirche?“ Sie selbst erzählte ihrer Schwester in Tschechien von ihrer Taufentscheidung. Und sieh da, diese gestand ihr, dass sie ab und zu in die Kirche geht. Ihr Fazit: „Wenn man sich mit Gott wohlfühlt – dann ist das in Ordnung.“
Ich glaube, dass ich glaube: Die ersten Schritte zur Taufe
Wer sich klar darüber werden möchte, ob ein Kircheneintritt das Richtige für ihn ist, findet bei der Glaubensorientierung an der Maxburgstraße (das ist hinter der Kirche St. Michael in der Fußgängerzone) eine erste Anlaufstelle. Thomas Hürten (Foto) und sein Team gehen auf alle Bedürfnisse individuell ein, alle Fragen sind erlaubt. Ein neuer Taufkurs startete Mitte November, man kann aber noch einsteigen. Telefonnummer: 089/ 2137-2405, E-Mail: Glaubensorientierung@eomuc.de
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