Die zehn wichtigsten Fragen über Geistheilung

München - Druiden, Hexen, Kräuterweiberl – so nannte man früher bei uns Menschen, die mit uraltem Wissen versuchten, anderen zu helfen. Doch auch im dritten Jahrtausend nach Christus brummt das Heiler-Geschäft.
15.000 vermeintliche Geistheiler bieten bundesweit ihre Dienste an. Sie erwirtschaften laut Deutschlands bekanntestem Geistheilexperten, dem Psychologen und Soziologen Dr. Harald Wiesendanger, pro Jahr rund vier Milliarden Euro. Kritiker betonen: Diese Zahlen sind kein Wunder – wenn man bedenkt, dass laut Umfragen 56 Prozent der Bundesbürger noch an Wunder glauben.
Tatsache ist aber: In Zeiten von Rotstiftpolitik und Zweiklassenmedizin fühlen sich immer mehr Patienten in Deutschlands Hightech-Arztpraxen unwohl. Zeit für persönliche Gespräche bleibt dort kaum. Zudem ist nur ein Teil von derzeit rund 30.000 bekannten Krankheiten schulmedizinisch behandelbar. Nicht selten sind es Panik und Verzweiflung, die Kranke in die Hände von Heilern treiben. Was sie dort erwartet? Lange Gespräche, oft esoterisches Klimbim, bisweilen altertümliches Gesundbeten, Handauflegen, Hypnose – und teils signifikante Erfolge, wie selbst immer mehr Schulmediziner zugestehen. Wiesendanger betont, dass die Mehrheit der Heiler nichts kann. Teils zocken uns Scharlatane ab und schwatzen uns obendrein noch Amulette oder sündteure „bioenergetische Messgeräte“ auf.
Einige Heiler aber erzielen selbst unter Laborbedingungen Effekte, die wissenschaftlich unerklärbar sind. Aids-Kranke brauchen plötzlich kaum noch Medikamente, Krebszellen hören auf zu wuchern, Bakterien verschwinden aus Reagenzgläsern – wie durch ein Wunder. Ob Manager, Rentner oder Minijobber – viele Menschen glauben, dass es mehr gibt zwischen Himmel und Erde, als wir mit unserem Verstand erfassen können. Seit einem Bundesverfassungsgerichtsurteil von 2004 ist Geistiges Heilen in Deutschland prinzipiell erlaubt. Doch kann man einem Heiler wirklich trauen? Und vor allem: Wie viel Wunder ist möglich?
Die zehn wichtigsten Fragen und Antworten von Experten:
1. Gibt es seriöse Heiler oder sind alle sogenannten Heiler Scharlatane?
„95 Prozent der selbst ernannten Heiler wecken Hoffnungen, die sie nicht erfüllen können“, erklärt Dr. Harald Wiesendanger (53). Er betont aber auch: In zwei von drei Fällen können fähige Heiler Beschwerden erheblich lindern. Laut einer Umfrage fühlen sich fünf bis zehn Prozent der Geistheilpatienten nach der Behandlung sogar „vollständig geheilt“. Allerdings: Ärzte betrachten diese Studie mit größter Skepsis.
2. Sind Heiler gefährlich?
Prof. Peter Herschbach, Leiter der Psychoonkologischen Ambulanz am Klinikum rechts der Isar, warnt: „Tumorpatienten greifen nach jedem Strohhalm, und es gibt eine Menge esoterischer Leute, die ihnen das Geld aus der Tasche ziehen.“ Auch Geistheilexperte Wiesendanger erklärt: „Brandgefährlich wird es, wenn Heiler den Eindruck erwecken, sie könnten ärztliche Behandlung ersetzen.“ Sein Wunschtraum wäre, dass Ärzte und fähige Heiler in Praxen oder Kliniken zusammenarbeiten. In England sind solche Kooperationen bereits Alltag.
3. Sind Wunder möglich?
Eine Zehnjährige, deren Tumor plötzlich verschwindet. Ein Blinder, der wieder sieht: Viele Heiler schmücken sich mit solchen Erfolgsgeschichten – ob sie wahr sind, oder nicht. Harald Wiesendanger ist in 20 Jahren Recherche in der Heiler-Szene eher auf viele „kleinere“ Wunder gestoßen. Auf schwerstbehinderte Jugendliche, die dank der Behandlung durch Heiler und Ärzte plötzlich greifen können und sich artikulieren. Oder Multiple-Sklerose-Kranke, deren Krankheit stoppt. „Diese Wunder geschehen häufig, zumindest bei guten Heilern.“
4. Bei welchen Krankheiten sind Wunder möglich?
Geistheiler behaupten: Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Stoffwechsel-Erkrankungen, Atem- und Gelenk-Beschwerden kann man besonders gut kurieren. In der seriösen Schulmedizin gibt es sogar Statistiken über Spontanheilungen bei Krebs. So liegt die Wahrscheinlichkeit, dass Hautkrebs plötzlich verschwindet, bei etwa 3,7 Prozent. Bei Nierenkrebs liegt dieser Wert bei bis zu 8 Prozent. Allerdings: Manche Ärzte mögen das auf göttliche Fügung oder Zufall zurückführen – aber kaum auf die Kraft von Heilern.
5. Wie heilen Heiler?
Da gibt es höchst abenteuerliche Erklärungen. Manche berufen sich auf Gott, manche sprechen von „Energieflüssen“, manche bemühen die Quantenphysik. Fakt ist: Einige Physiker sprechen längst davon, dass ein Code aller lebenden und toten Materie existiert, dass also Diesseits und Jenseits nebst kleinsten Teilchen existieren. Diese „feinstofflichen“ Teilchen können Heiler angeblich beeinflussen. Kritiker Wiesendanger schüttelt da nur den Kopf und empfiehlt einen „stur pragmatischen Ansatz“. Nach dem Motto: Wer heilt, hat recht!
6. Was genau passiert bei den Kranken?
Zwei Drittel der Patienten von Heilern spüren während der Behandlung ein Kribbeln oder Hitze, die sie durchströmt. Doch was passiert bei einer Geistheilung wirklich, welche Prozesse laufen ab? Ein deutscher Medizinprofessor erklärt: „Nur weil wir noch keine Methoden haben, diese Dimensionen zu ermessen, sollten wir nicht behaupten, dass es sie nicht gibt!“
7. Welchen Heilermethoden kann man trauen?
Eine Heilerin im Chiemgau verlangt 1000 Euro für eine CD mit ihren positiven Schwingungen. Ein anderer will mehrere Hundert Euro Vorkasse – Heilung garantiert. Experte Wiesendanger warnt vor „Abzocke und unseriösen Heilungsversprechungen“. Generell gilt: Der Titel „geprüfter Heiler“, wirre Theorien oder gar der Preis – all das ist unbedeutend. Wiesendanger: „Ich habe schon einige einfache Heiler erlebt, die nur auf Spendenbasis arbeiten und erstaunliche Erfolge hervorbringen.“
8. Ist alles nur Einbildung?
Kritiker sprechen gerne vom Placeboeffekt. Dass sich Geistheilpatienten also alles nur einbilden. Ein Gegenargument: Geistheilung kann auch bei Kindern, Tieren und teils – in Uni-Studien in den USA – auch auf Bakterien und per Fernheilung bei Zufallspatienten wirken. Zudem ist bewiesen: Bei einer Heilung spielt die Einbildung fast immer mit. So erzielte bei der Studie eines Ulmer Professors ein Placebomedikament 80 Prozent Wirksamkeit – bar jeder Vernunft.
9. Wie wichtig ist Glaube?
Glaube kann tatsächlich Berge versetzen. Insbesondere die Selbstheilungskräfte, die auch Heiler aktivieren, gelten neuerdings als weit unterschätzte Therapiemöglichkeit. Psychologen der Uni München fordern sogar, dass Ärzte und Therapeuten ihren Patienten wissenschaftlich belegte „Techniken zur Aktivierung der Selbstheilungskräfte“ vermitteln sollten.
10. Wie wichtig ist die eigene Psyche?
Der Münchner Psychiater und Psychotherapeut Dr. Oliver Seemann sagt: „Die Seele ist oft der Schlüssel zur Heilung von Krankheiten.“ Sie kann über Gesundsein und Krankheit entscheiden. Wissenschaftler gehen mittlerweile davon aus, dass unsere Seele auf biochemischen Prozessen basiert. Dass also starke seelische Impulse direkt auf das Immunsystem und alle Körperfunktionen wirken. Bei unerklärlichen Heilungen „muss es einen Hebel geben“. Auf ihn drücken vermutlich auch manche Heiler …
Claudia Detsch