In München gibt es mittlerweile 32 Erhaltungssatzungsgebiete, in denen rund 334.900 Menschen in 192.000 Wohnungen leben. 2020 hat die Stadt 21-mal von ihrem Vorkaufsrecht Gebrauch gemacht, elf Abwendungserklärungen wurden unterzeichnet.
Das ganze System könnte nun durch das Urteil des Leipziger Gerichts in Frage stehen. Die Richter hatten in der Klage einer Immobiliengesellschaft entschieden, die sich gegen die Ausübung des gemeindlichen Vorkaufsrechts in Berlin gewandt hatten. Die Firma hatte im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg ein Grundstück erworben, das mit einem Mehrfamilienhaus aus dem Jahre 1889 bebaut ist, in dem sich 20 Mietwohnungen und zwei Gewerbeeinheiten befinden.
Das Grundstück liegt im Geltungsbereich einer Milieuschutzverordnung, die mit den Münchner Erhaltungssatzungen vergleichbar ist. In Berlin hat das Bezirksamt das Vorkaufsrecht zugunsten einer landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft ausgeübt – um der Gefahr zu begegnen, dass ein Teil der Wohnbevölkerung aus dem Gebiet verdrängt wird, wenn die Wohnungen aufgewertet und die Mieten erhöht oder die Mietwohnungen in Eigentumswohnungen umgewandelt würden.
Die Begründung aber, der Käufer beabsichtige in Zukunft Nutzungen, die dem Milieuschutz widersprechen, reiche nicht aus, um das Vorkaufsrecht auszuüben, sagen die Leipziger Richter. Das Vorkaufsrecht ist demnach ausgeschlossen, solange das Grundstück entsprechend den Festsetzungen des Bebauungsplans oder den Zielen und Zwecken der städtebaulichen Maßnahme bebaut ist und genutzt wird und eine auf ihm errichtete bauliche Anlage keine Missstände oder Mängel aufweist.
Pikant: Das Oberverwaltungsgericht hatte die Klage erstinstanzlich abgewiesen und argumentiert, dass das Wohl der Allgemeinheit die Ausübung des Vorkaufsrechts rechtfertige.
Der Münchner Mieterverein spricht im Zusammenhang mit dem neuerlichen Urteil von beunruhigenden Nachrichten. Geschäftsführer Volker Rastätter sagte: „Das heißt im Grunde: Die Kommunen dürfen ihr Vorkaufsrecht auch im Erhaltungssatzungsgebiet nur wahrnehmen, wenn es sich um eine Schrottimmobilie handelt, in der keine oder kaum noch Mieter leben. Ob deutlich absehbar ist, dass die Bewohner verdrängt werden sollen, spielt keine Rolle mehr.“
OB Dieter Reiter* (SPD) sagte: „Ich halte die Erhaltungssatzung und das Vorkaufsrecht für zentrale Mieterschutzinstrumente, die uns als Kommune zur Verfügung stehen.“ Sollte das Urteil nach entsprechender juristischer Prüfung der schriftlichen Begründung tatsächlich auch für München Auswirkungen haben, werde er alles versuchen, „bei der Bundesregierung für eine dann noch wirkungsvollere Mieterschutzgesetzgebung zu kämpfen“.
Auch SPD-Fraktionschef Christian Müller äußerte sich am Mittwoch besorgt. „Unsere Handlungsmöglichkeiten beim Mieterschutz dürfen nicht beschnitten werden.“ Grünen-Stadtrat Bernd Schreyer derweil befürchtet kaum Auswirkungen für München. Denn hier werde das Vorkaufsrecht nur ausgeübt, wenn keine Abwendungserklärung unterzeichnet wird, der Käufer also signalisiert, dass er am Milieuschutz kein Interesse hat. „Damit muss die Gemeinde auch nicht spekulativ annehmen, dass solche Nutzungen beabsichtigt sind.“
FDP und Bayernpartei im Stadtrat wollen das Thema möglichst bald behandelt wissen und haben am Mittwoch einen Dringlichkeitsantrag für die Vollversammlung am 25. November gestellt. FDP-Chef Jörg Hoffmann will dabei unter anderem klären lassen, ob bereits abgegebene Abwendungserklärungen ihre Wirksamkeit verlieren und ob Eigentümer, die beim Kauf eine Abwendungserklärung abgegeben haben, nun Schadenersatz für die entgangene Miete geltend machen können. (ska) *tz.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA