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Gondel-Drama: Er starb, um seine Tochter zu retten

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Vor der weltberühmte Rialto-Brücke in Venedig geschah das Gondel-Drama: Ein Wassertaxi der Verkehrsgesellschaft ACTV war in Richtung Markusplatz unterwegs, als er plötzlich zur Pier zurücksetzte – angeblich, weil er einem entgegenkommenden Boot ausweichen musste © dpa/fkn

Venedig - Nach dem Gondel-Drama von Venedig werden immer mehr tragische Details bekannt: Der Münchner Professor starb, um seine dreijährige Tochter zu retten.

Er sah das Boot noch auf sich und seine Familie zusteuern. Rückwärts, umgebremst – vor den Augen vieler Touristen in Venedig. Er wusste: Gleich kommt es zum Zusammenstoß. Und ahnte: Seine kleine Tochter (3) wird das vielleicht nicht überleben. Also warf sich Joachim V. (50) mit seinem Oberkörper schützend über sein Mädchen – selbstlos, mit dem Heldenmut, den nur ein liebender Vater aufbringen kann. So rettete er der Kleinen das Leben. Er selbst aber gab seines für sie.

Das Todesdrama in der Stadt der Liebe: Mit seiner Frau Gundula und den drei Kindern macht Joachim V. Urlaub in Venedig. Am Samstagmittag lädt der Münchner Juraprofessor, der Strafrecht an der Ludwig-Maximilians-Universität lehrte, seine Familie zu einer romantischen Gondelfahrt über den Canal Grande ein – zusammen wollen sie auf den Wasserstraßen durch die einzigartige Stadtkulisse flanieren. In der Nähe der berühmten Rialto-Brücke herrscht viel Verkehr: Auf dem Kanal sind Holzgondeln und Boote unterwegs, sogenannte Vaporetti, die den Linienverkehr in Venedig bedienen.

Unter diesen Umständen kommt es zu dem Unglück: Um einem entgegenkommenden Boot auszuweichen, setzt ein längliches Wassertaxi der Linie 1 nur wenige Meter vor der Rialto-Brücke plötzlich zurück und rammt die Gondel, in der die arglose Münchner Familie sitzt. Durch die Wucht des Aufpralls werden Gundula, der Gondoliere und die beiden Söhne aus der Gondel ins Wasser geschleudert, bleiben aber unverletzt. Joachim V. wirft sich schützend auf seine Tochter, die am äußeren Rand sitzt. Wie geschockte Augenzeugen berichten, verhakt sich das Wassertaxi mit der Gondel und schleift sie 20 Meter entlang der Pier mit – dabei wird der Oberkörper von Joachim V. zerquetscht. Seine Familie muss das Unglück nur wenige Meter entfernt mitansehen – so wie Hunderte Touristen in den angrenzenden Cafés. Ihre Schreie hallen über den Kanal.

Münchner Tourist stirbt in Venedig auf Canale Grande

Ersthelfer reanimieren Joachim V. noch vor Ort, im Krankenhaus können die Ärzte aber nur noch seinen Tod feststellen – zu schwer sind die inneren Verletzungen. Die Tochter des Juristen hingegen überlebt den schweren Unfall wie durch ein Wunder. Wie italienische Zeitungen berichten, zieren tiefe Wunden ihr kleines Gesicht – der Notarzt bringt sie in eine chirurgische Klinik ins nahe Padua, inzwischen konnte sie aber wieder entlassen werden. Ihrem Vater verdankt sie ihr Leben.

„Ich möchte mein persönliches Beileid an die Familie des toten Touristen aussprechen“, sagte der venezianische Bürgermeister Giorgio Orsoni. Beide Boote wurden beschlagnahmt. Mittlerweile ermitteln Polizei und Staatsanwaltschaft wegen fahrlässiger Tötung gegen den Fahrer des Wassertaxis. Der gab an, er habe die Kontrolle über sein Boot verloren. Der Familie von Joachim V. kann das nur ein schwacher Trost sein. Sie haben ihren geliebten Ehemann und Vater verloren.

Andreas Thieme

So arbeitete der Jurist in München

Ein Karrierist? Ganz sicher nicht. Eher ein Mann, dessen Lebensweg sich durch Fleiß, Können und Erfolg kennzeichnet.

Joachim V. (50) galt in Fachkreisen als renommierter Strafrechtler, der seit 1999 an der Ludwig-Maximilians-Universität arbeitete – seine Lehrberechtigung als Professor erhielt er im selben Jahr an der Universität Freiburg. Klaus Tiedemann galt dort als eine Art Mentor für ihn.

In München lagen die Fachgebiete des von Kollegen hoch geschätzten Jura-Professors im Strafrecht, Strafprozessrecht und Wirtschaftsrecht. In seinen wissenschaftlichen Publikationen hatte Joachim V. sich unter anderem mit internationalem Strafprozessrecht und juristischer Methodik beschäftigt und zahlreiche Bücher veröffentlicht, zudem war er ab 2003 Mit-Herausgeber der Juristen-Zeitung.

Drei Uni-Kurse hielt der Strafrechtler noch im Sommersemester 2013 in München. Nicht gerade viel. Denn Joachim V. war neben seiner Tätigkeit als Lehrstuhlinhaber an der LMU seit 2001 auch Richter am Oberlandesgericht in Stuttgart – von 2003 bis 2005 war Joachim V. außerdem Prodekan der Juristischen Fakultät der Universität Tübingen und von 2005 bis 2008 Dekan. In seiner Karriere bekleidete der Jurist zahlreiche wichtige Ämter. Aber nicht nur die ganz großen Auftritte schätzte er, sondern engagierte sich unter anderem auch für die Kinder-Uni in Köln.

Sein großer Rückhalt aber war seine Familie. Mit Frau Gundula und den drei Kindern hatte er noch einen Wohnsitz in Tübingen.

So gefährlich sind Venedigs Wasserstraßen

Die Probleme sind bekannt: zu viel Verkehr – so viel, dass von kontrolliertem Fahren oft kaum die Rede sein kann. Überwachung durch die Polizei: nicht wirklich vorhanden. Stattdessen viel Willkür auf Venedigs Wasserstraßen.

„Ich bin erschüttert“, sagte der venezianische Bürgermeister Giorgio Orsoni nach dem schrecklichen Unfall, bei dem der Juraprofessor Joachim V. (50) aus München ums Leben kam. Und: „Ich will nicht leugnen, dass der zunehmende Verkehr von Booten und Wasserbussen auf dem Canal Grande ein echtes Problem ist. Es schmerzt mich sehr, was passiert ist.“ Orsoni fordert eine bessere Regelung des Verkehrs – bislang blieb es aber nur bei Worten. Das kritisiert auch Aldo Rato, Chef der italienischen Gondolieri-Gewerkschaft: „Wir haben schon oft gesagt, dass der Verkehr zu viel und zu schnell ist, aber niemand hört auf uns.“ Fahrten mit den traditionsreichen Booten zählen zu den beliebtesten Touristenattraktionen in Venedig.

Nach dem Unfall auf dem Canal Grande stellten ab Samstag 16 Uhr viele der insgesamt 425 Gondolieri bis Sonntag ihre Arbeit ein – als Zeichen ihrer Anteilnahme, aber auch, „um auf den unsicheren Verkehr hinzuweisen“, sagte Rato. Die Gondoliere-Vereinigung bot der verunglückten Münchner Familie finanzielle Unterstützung und Hilfe für die Beerdigung an. Rund 3500 Schiffe, Wassertaxis und Gondeln fahren täglich auf dem Kanal – vor drei Jahren waren es noch 2500. Offenbar musste erst ein Mensch sterben, bevor sich an den Verkehrs-Verhältnissen etwas ändert.

thi

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