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Aufessen, was ohnehin schon da ist

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Kistenweise Lebensmittel können die Lebensmittelretter der Community Kitchen, Judith Stiegelmayr (links) und Günes Seyfarth bei ihren Kooperationspartnern retten.
Kistenweise Lebensmittel können die Lebensmittelretter der Community Kitchen, Judith Stiegelmayr (links) und Günes Seyfarth bei ihren Kooperationspartnern retten. © oh

In München landen täglich 165 Tonnen Essen im Müll. Lebensmittel, die noch verzehrfähig wären. Das Team der Neuperlacher Community Kitchen klappert sämtliche Kooperationspartner ab und rettet Lebensmittel. Aktuell zehn bis 14 Tonnen pro Woche, so Judith Stiegelmayr von der Community Kitchen.

Kisten voller Obst und Gemüse stehen in einer Laderampe. In weiteren Kisten liegen Brot und Gebäck. Es ist abends nach 19 Uhr in Garching. Ein Transporter fährt die Lagerhalle eines Lieferservices an, der seine Kunden Tag für Tag mit Lebensmitteln direkt vor deren Haustür beliefert. Doch vieles ist an diesem Abend übrig geblieben. Es wurde nicht verkauft oder verarbeitet. Übrig geblieben heißt aber nicht, dass diese Produkte verdorben und nicht mehr essbar sind. Jetzt kommen die Lebensmittelretter von der Community Kitchen aus Neuperlach ins Spiel. Denn sie retten auch am Ende dieses Tages wie so oft kistenweise Lebensmittel von Erzeugern, Verarbeitern oder Großhändlern und laden diese in ihren Transporter.

„Mit im Schnitt zehn bis 14 Tonnen geretteter Lebensmittel versorgen wir in einer Woche sowohl die Flüchtlinge aus der Ukraine am Münchner Hauptbahnhof als auch die Gäste unseres Mittagstisches“, erzählt Judith Stiegelmayr von der Community Kitchen. Doch es können sogar noch viel mehr Paletten sein, die sie in ihre Großküche an der Fritz-Schäffer-Straße 9, eine ehemalige Allianz-Kantine, tragen. „Letzte Woche haben wir knapp 30 Tonnen gerettet“, erzählt Stiegelmayr.

Die Reihenfolge ist folgende: Ob es Blumenkohlsuppe oder Kartoffelfrittata gibt, hängt davon ab, welche Produkte gerettet werden konnten. Sind es Kisten voller Blumenkohl, die sie bei einer Rettungsaktion vorgefunden haben, steht der Blumenkohl am nächsten Tag auf der Tageskarte. Sind es Kartoffeln, die nicht verkauft wurden, so landen sie jetzt in den Kochtöpfen des Neuperlacher Start-ups und auf den Tellern. „So gut es geht, kochen wir ausschließlich mit den Lebensmitteln, die wir gerettet haben“, sagt Stiegelmayr. So hat sie auch kein Problem damit, wenn das mal Avocados seien. Privat würde Stiegelmayr diese Frucht nicht kaufen. Doch wenn Avocados unter den Produkten seien, die sie retten konnten, klar, dann verarbeiten sie auch diese. In Mülltonnen soll möglichst wenig Essbares landen. Leider ist es so: In Münchner Privathaushalten werden täglich 165 Tonnen verzehrfähiges Essen weggeworfen. „Aufessen, was eh schon da ist“ steht daher über dem Eingang der Community Kitchen in Neuperlach. Täglich von 10 bis 16 Uhr hat diese geöffnet und bietet ein Mittagsmenü an.

Doch neben dem Retten und Verarbeiten der Lebensmittel ist es dem Start-up um Gründerin Günes Seyfarth und Kollegin Judith Stiegelmayr ebenso wichtig, alle möglichen Interessierten in ihr Projekt zu integrieren. „Lebensmittel, die einfach so weggeschmissen werden — auf dieses Problem wollen wir aufmerksam machen und hoffen, dass dieses Thema noch viel mehr auf die politische Agenda kommt“, so Stiegelmayr. „Die Lebensmittelverschwendung muss signifikant reduziert werden.“ So ist die Community Kitchen eine Mitmachküche für jeden, der sich für das Konzept und die Projekte des Neuperlacher Start-ups interessiert. Und es gibt so viel zu erfahren: Sei es über Mindesthaltbarkeitsdaten von Produkten oder den Zusammenhang der Erderwärmung mit der Verschwendung von Lebensmitteln.

Derzeit sind fleißige Helfer besonders gefragt. Denn die Community Kitchen ist für die Erstversorgung der Geflüchteten aus der Ukraine am Münchner Hauptbahnhof zuständig. Seit vielen Wochen gibt es nun den Stand mit warmem Essen, Obst und Getränken neben dem Info-Point der Caritas, mittlerweile am Starnberger Flügelbahnhof. Ehrenamtliche händigen dort das selbstgekochte Essen an Flüchtlinge und auch mal an andere Bedürftige aus. Ebenso sind es engagierte freiwillige Helfer, die in der Neuperlacher Großküche dabei unterstützen, die Gerichte zuzubereiten.

„Man muss jetzt was machen“, sagt Judith Stiegelmayr während der Fahrt zum Lebensmittel-Retten. So sei es dem Community-Kitchen-Team ein großes Anliegen, möglichst viele in ihre Projekte miteinzubeziehen. Das Thema „Lebensmittelverschwendung“ gehe jeden etwas an, jeder brauche täglich etwas zu essen. Und jeder kann den Umgang mit Lebensmitteln verändern oder beeinflussen. Eine der wichtigsten Maßnahmen, um weltweit das Klima zu verändern, sei es, so Stiegelmayr, Lebensmittel wertzuschätzen. Dass ihr Konzept ankommt, beweist auch die Nominierung für den Deutschen Gastro-Gründerpreis 2022. Die Community Kitchen gehörte zu den fünf Finalisten.

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