Münchens Bürgermeister im Interview: Katrin Habenschaden über Atomkraft, Krisen & Chancen

Nach dem Gespräch mit Oberbürgermeister Dieter Reiter, hat sich auch die Zweite Bürgermeisterin, Katrin Habenschaden, Rede und Antwort gestellt. Ihre Pläne:
Frau Habenschaden, auf Twitter schreiben Sie, dass ein Streckbetrieb des Atomkraftwerks Isar2 kein Tabu sein dürfe. Wie passt das zum Grünen „Atomkraft – Nein danke“?
Das war mit Sicherheit die schwierigste Entscheidung, die ich in meiner politischen Verantwortungszeit jemals treffen musste. Wir hinken in Bayern mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien weit hinter den anderen Bundesländern her. Auf der anderen Seite hängen wir mehr an Putins Gashahn, weil wir nochmal andere Verträge mit Russland haben. Deshalb schauen wir uns den Streckbetrieb an.
Und der wäre das kleinere Übel?
Unsere Stadtwerke haben darauf hingewiesen, dass wir unter Umständen neben einer Gasknappheit auch die Sorge haben müssen, in eine Stromknappheit zu geraten. Wenn der Stresstest der Bundesregierung das bestätigt und die Versorgungssicherheit nicht gewährleistet ist, darf der Streckbetrieb – ohne dass neuer Atommüll entsteht – kein Tabu sein. Denn dann steht die Versorgungssicherheit der Münchner an vorderer Stelle.
Wie wollen Sie den Münchnern die Sorge vor dem Winter nehmen?
Wir als Landeshauptstadt haben die sozialen Härtefälle abgefedert. Und wir belohnen, wenn Energie eingespart wird. In vielen Firmen, in der Stadtverwaltung und bei vielen Privatpersonen ist dafür Potenzial da. Jede eingesparte Kilowattstunde, jeder geringere Gasverbrauch hilft. Denn das sorgt dafür, dass die Gasspeicher voller sind. Das ist der Puffer, der uns die nötige Energiesicherheit hoffentlich verschaffen kann.
Dazu kommt eine weitere Krise: die Corona-Krise.
Zunächst: Die Pandemie ist noch nicht vorbei. In den Krankenhäusern, in den Kindertagesstätten, in Schulen sind Menschen belastet. Wir haben die Pandemie in München bisher gut gemeistert. Aktuell sind wir in einem Modus, der dem derzeitigen Gefährdungspotenzial entspricht. Wenn sich die Lage verändert, müssen wir sehr schnell reagieren – aber das können wir auch.
Welche Projekte sind in den vergangenen zweieinhalb Jahren liegengeblieben?
Alle Referate waren aufgefordert, Personal für die Bewältigung der Krise abzubestellen. Das merken wir an der Umsetzungsgeschwindigkeit von Projekten, die wir uns etwa im Bereich Mobilität auf die Agenda gesetzt haben. Wir mussten Ziele nach hinten verlegen. Das ist schmerzhaft, aber hier bin ich auch ehrlich: Dafür muss man Verständnis haben. Wichtig ist jetzt, dass wir die Projekte auch wieder angehen.
Und das passiert?
Ja. Es ist 2020 auch eine neue Stadtregierung an den Start gegangen. In den ersten zwei Jahren mussten wir erst mal Grundsatzbeschlüsse fassen. Die nächsten vier Jahre werden die Umsetzungsjahre.
Wie würden Sie die Stimmung in der Koalition beschreiben?
Ich habe manchmal das Gefühl, sie wird schlechter dargestellt, als sie wirklich ist. An der Stadtspitze ist die Zusammenarbeit gut und vertrauensvoll. Ansonsten ist es schon auch ein Ringen um die richtigen Antworten und Vorgehensweisen. Aber wenn wir schauen, wie viele Punkte aus dem Koalitionsvertrag wir schon losgeschickt haben, sind wir auf einem guten Weg. Auf die politische Bilanz können wir stolz sein.
Ärgert Sie, dass die SPD beim Autobahntunnel im Norden gemeinsame Sache mit der CSU macht?
Hier haben wir tatsächlich unterschiedliche Meinungen. Ich glaube nicht, dass sich die Verkehrsprobleme im Münchner Norden, übrigens auch die von BMW, durch einen Autotunnel lösen lassen. Wer Straßen sät, wird den Verkehr ernten. Weil dort viele Wohngebiete mit vielen Bewohnern geplant werden, müssen wir hier viel größer planen. Wir brauchen ein richtiges Verkehrskonzept für den Münchner Norden, das alle Verkehrsmittel beinhaltet. Eines herauszunehmen und das Projekt ohne Untersuchungen zu starten, finde ich den falschen Weg.
Einig waren Sie sich schlussendlich bei der Fußgängerzone im Tal. Trotz Baustellen-Verkehr.
Der Baustellenverkehr war immer der Grund, warum wir gesagt haben, wir können das Tal noch nicht mit einer endgültigen Lösung angehen. Jetzt ist die Situation anders: Mit einem Mal sind die Planungen für die Zweite Stammstrecke so weit nach hinten geschoben, dass wir sagen: Wir brauchen für den Baustellen-Verkehr eine andere Lösung und können das Tal schon mal umgestalten.
Welche Lehren ziehen die Grünen aus dem Stammstrecken-Desaster?
Es ist noch zu früh, um das abschließend zu beantworten. Wir haben keine validen Zahlen, wie viel teurer es wird und wie viel länger es dauert. Ich verstehe nicht, warum die Bahn sich dazu nicht äußern kann. Was aber klar ist: Wir können uns nicht alleine auf die Zweite Stammstrecke verlassen. Es muss die weiteren Ausbauschritte geben. Es muss der DB-Nordring vorangetrieben werden, es muss der Südring nochmal angeschaut werden. Und wir müssen die S-Bahn-Außenäste im Blick haben. Wir müssen die tangentialen Lösungen, die schon zum Teil im Raum stehen, wieder stärker fokussieren.
Gerade wurde entschieden, die Tram auf der Leopoldstraße umzuplanen, was die Nordtangente um circa ein Jahr zurückwirft.
Mir wäre auch lieber gewesen, es gleich so zu planen. Aber es ist die bessere Lösung. Wenn die Tram-Nordtangente an dieser neuralgischen Stelle ihr eigenes Gleis bekommt, dann wird das eine sicherere Verbindung sein. Die, die in der Tram sitzen, können sich darauf verlassen, dass die gut durchkommen. Wir merken auch bei den Busspuren, dass es den ÖPNV attraktiv macht, schneller und planbarer unterwegs zu sein als mit dem Auto – das führt zu einem Umsteige-Effekt.
Der Preis trägt auch dazu bei. Wie soll es Ihrer Meinung nach mit dem 9-Euro-Ticket weitergehen?
Das ist ein großer sozialpolitischer Aufschlag gewesen. Denn es hat Mobilität für alle ermöglicht. Diesen Effekt wünsche ich mir in dieser oder ähnlicher Form im Anschluss. Es es braucht ein Anschlussangebot. Die Grünen haben einen Vorschlag gemacht, den ich sehr gut finde: 29 Euro regional, 49 Euro bundesweit.
Sie selbst haben 16080 Kilometer im Jahr 2021 im Auto zurückgelegt, was Ihnen den Titel „Dienstwagen-Königin“ eingebracht hat. Der Oberbürgermeister fuhr im Vergleich 8305 Kilometer.
Ich wohne in Aubing, viel weiter entfernt kann man nicht vom Rathaus wohnen. Und klar: Ich mache auch sehr viele Termine und bin während der Corona-Zeit deutlich häufiger mit dem Wagen und seltener mit der S-Bahn gefahren als vorher.
Ist Parken in München teuer genug?
Noch nicht an allen Stellen. Ein Parkplatz ist ungefähr so groß wie ein Kinderzimmer – wenn man da mal vergleicht, was die Miete kostet…
Wo wir vorhin Herrn Reiter angesprochen haben: Sind Sie für eine Altersgrenze bei Oberbürgermeistern?
Ich weiß nicht, ob es zwangsläufig eine harte Altersgrenze geben müsste. Ansonsten ist das eine höchstpersönliche Entscheidung, wer sich welche Arbeit in welchem Alter noch zutraut, das muss jeder für sich entscheiden.
Wie sieht es mit Ihren Ambitionen für die Wahl 2026 aus?
Es ist ein echter Traumjob, für die Münchner in Verantwortung zu stehen. Mir macht es viel Spaß, mein ganzes Engagement und meine ganze Kraft dafür einzusetzen, dass München besser wird. Mehr kann ich dazu noch nicht sagen, bis 2026 ist es noch lange hin.
Der Migrationsbeirat wird reformiert. Zu den gewählten Mitgliedern, benennt der Stadtrat nun zehn weitere. Warum ist das nicht undemokratisch, wie kritisiert wurde?
Aus einer Vielzahl von Gründen. Er wird gestärkt durch neue und bessere Unterstützung von Seiten der Stadtverwaltung. Es gibt weiter direkt gewählt Mitglieder und ich erwarte mir Vorschläge vom Stadtrat, die dafür sorgen, dass es zu mehr Diversität im Migrationsbeirat kommt. Es gab große Gruppen, die waren durch viele Mitglieder abgedeckt, aber es gab auch migrantische Gruppen, die waren gar nicht vertreten. Ich erhoffe mir, dass es so der politische Auftrag wird, dass der Migrationsbeirat das bunte migrantische München abbildet. Daran wird sich die Neuaufstellung des Beirats messen lassen müssen.
Braucht’s des, Frau Habenschaden?
Braucht München die Gelbe Tonne?
Ja. Hier können wir zu einer besseren Kreislaufwirtschaft und Müllverwertung kommen. Das ist etwas, das zukünftig noch wichtiger sein wird als jetzt schon.
Braucht München einen Bürgerentscheid zur Hochhaus-Debatte?
Ich würde mir das wünschen. Die 100-Meter-Grenze war schon immer verfehlt. Ob ein Hochhaus gut oder schlecht ist, hängt nicht davon ab, ob es 98 oder 102 Meter hoch ist, sondern wie viel bezahlbarer Wohnraum entsteht und wie es sich in die Nachbarschaft eingliedert. Darüber haben die Bürger schon einmal entschieden. Sie sollten es wieder tun.
Braucht München den Kommunalen Außendienst?
Der macht im Rahmen seiner Aufgaben eine wirklich gute Arbeit.
Hallo hat auch mit Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) und dritter Bürgermeisterin Verena Dietl (SPD) gesprochen. Die Interviews finden Sie hier:
Der OB im Interview (2): Dieter Reiter über die Wiesn in Corona-Zeiten & Debatten über Hochhäuser
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