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Volkskrankheit Einsamkeit: Was Münchner Experten und Institutionen sagen

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Von: Sabina Kläsener

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Gegen Einsamkeit rät die Expertin: Bemerken Sie die Menschen um sich herum, hören Sie zu und verschenken Sie ein Lächeln.
Gegen Einsamkeit rät die Expertin: Bemerken Sie die Menschen um sich herum, hören Sie zu und verschenken Sie ein Lächeln. © dpa/Paul Zinken

Immer mehr Menschen behaupten einsam zu sein, ob Jung oder Alt. Was eine Münchner Expertin im Fall der Einsamkeit rät, wo man sich helfen lassen kann:

München ‒ „Ich bin einsam.“ Eine Aussage, für die sich viele schämen, wie Adelheid Reik weiß. Die 61-Jährige aus dem Kieferngarten ist Expertin dafür, wie man Freundschaften aufbaut und wie man Einsamkeit verhindern kann. „Einsam zu sein, tut weh und kratzt am Selbstwertgefühl.“ Die Folge: „Man stellt sich in Frage und überlegt: Was ist falsch mit mir?“ Betroffen sind Menschen im hohen Alter, aber auch Junge. Laut Studien sagt jeder zweite der etwa 30-Jährigen, dass er oder sie das Gefühl kennt. 25 Prozent sagen, sie seien einsam.

Adelheid Reik
Adelheid Reik © privat

Volkskrankheit Einsamkeit: Diese drei Gruppen sind gefährdet

Besonders drei Gruppen seien laut Reik gefährdet, einsam zu sein: arme und kranke Menschen sowie Personen mit Migrationshintergrund. Hier sieht Reik auch die Sozialverbände in der Pflicht, gegenzusteuern. Für ältere Menschen sind die Alten- und Servicezentren (ASZ) eine Anlaufstelle: „Wir haben viele Angebote, um die Menschen aus der Einsamkeit zu holen“, erklärt Richard Borst, Leiter des ASZ Au. Diese reichen vom Mittagstisch über Sportkurse bis zum Gesprächskreis. Gecko Wagner vom Kreisjugendring München-Stadt erklärt, dass es keine speziellen Angebote gebe, da alle zu gemeinschaftlichen Aktivitäten führen.

Wer sich ein Netzwerk aufbauen will, könne klein anfangen: „Den Nachbar, die Kassiererin grüßen, mit dem Herrn von gegenüber ein paar Worte wechseln.“ Man könne nach Menschen Ausschau halten, mit denen man gemeinsame Ziele oder Interessen habe.

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Wer nicht aktiv wird, kann laut Reik in eine Spirale gelangen. „Menschen, die lange einsam sind, werden misstrauischer und in der Folge oft auch aggressiver.“ Das schrecke ab und führe zum Gegenteil von dem, was man sich wünscht.

Ihre Lösung: Es geht nur in der Gemeinschaft. „Vielfach suchen Menschen die Ursachen für einen fehlenden Freundeskreis bei sich.“ Doch Reik sieht andere Gründe: „Längst bestimmen äußere Umstände wie Medialisierung, Urbanisierung und das Verschwinden tragfähiger Familienverbände den Alltag und die Möglichkeiten, Freundschaften zu finden und wachsen zu lassen.“

Volkskrankheit Einsamkeit: Social Media als Faktor

Ein weiteres Problem sei die „überdrehte Vorstellung, dass das individuelle Glück das Nonplusultra“ sei. Zum Teil würden Junge ihr Verhalten in den sozialen Medien auf die Realität übertragen. „Die Dialogfähigkeit nimmt ab. Viele sind nicht mehr bereit, sich auf andere Meinungen einzulassen.“ Und trauten sich nicht, offen zu sprechen, aus Angst, wie ein Freundschaftsprofil gelöscht zu werden.

Reiks Fokus liegt auf Frauen in der zweiten Lebenshälfte, in der viele zum Teil wichtige Kontakte verlieren würden. „Paare trennen sich, die Kinder – wenn es welche gibt – sind aus dem Haus.“ Reik hat ein Netzwerk aufgebaut mit Frauen, die über Jahre als Gruppe zusammenwachsen wollen. Denn: „Es braucht Zeit, neue Freundschaften zu schließen. Sie erfordern auch Mühe.“

Distanzierte Haltung zur Demokratie wegen Einsamkeit

„Extrem einsam?“: Diesen Titel hat eine aktuelle Studie zu Einsamkeit unter Jugendlichen. Sie zeigt, dass diese weit verbreitet ist – und nicht ohne Folgen. Die Ergebnisse belegen: Einsame Jugendliche nehmen eine distanzierte Haltung zur Demokratie ein. 55 Prozent der befragten jungen Menschen bemängeln, dass die Politik für ihre Altersgruppe wichtige Themen nicht aufgreift.

Nur rund ein Viertel stimmt der Aussage „Ich kann die Politik beeinflussen“ zu. Das Resümee: Der Zuspruch zur Demokratie hat auch damit zu tun, wie stark sich Individuen mit der Gesellschaft verbunden fühlen. Es gibt einen Zusammenhang zwischen jugendlicher Einsamkeit und autoritären Einstellungen. Die Professorinnen Claudia Neu, Beate Küpper und Maike Luhmann haben die Studie gemeinsam mit dem Verein „Das Progressive Zentrum“ durchgeführt.

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