Wille und ihr Kollege Martin Schmid wollen zeigen, wie man sich in brenzligen Situationen verhält und in Notfällen helfen kann. Wichtig ist ihnen dabei: „Wir haben kein Patentrezept. Jede Situation ist anders, jeder von uns ist anders“, sagt Wille. Aber einige wichtige Grundsätze gibt es doch: Als Erstes empfehlen die beiden Polizeibeamten, einmal tief durchzuatmen und die Situation zu überblicken. „Ist meine Hilfe überhaupt notwendig?“
Wille berichtet, wie sie mittags an einen U-Bahnhof kam und das Gefühl hatte, in eine Massenschlägerei geraten zu sein. Schüler rangelten miteinander, besprangen und traten sich. „Als der Zug eingefahren ist, haben sie sich abgeklatscht, ein paar sind eingestiegen und alles war vorbei.“
Sollte Handlungsbedarf bestehen, müsse jeder für sich klären, ob er direkt selbst einschreiten kann. Wille und Schmid verweisen zwar darauf, dass es den Straftatbestand der unterlassenen Hilfeleistung gebe, aber: „Ich muss mich nicht selbst in Gefahr bringen. Es gibt auch andere Möglichkeiten“, erklärt Schmid. „Entscheidend ist, wie ich die Lage einschätze. Das ist nicht immer einfach, weil es oft um Sekunden geht. Aber nur wer nichts tut, wird bestraft.“
Wer sich für ein Eingreifen entscheidet, sollte sich nur dem Opfer zuwenden. „Ich lasse den Täter links liegen und ziehe das Opfer aus der Gefahrensituation.“ Wichtig sei es zudem, sich vorher einen Plan zu machen. So könnte man anschließend zum Busfahrer oder der nächsten Notruf-Möglichkeit (siehe Kasten) gehen.
Wer sich nicht zutraue, allein in die Situation zu gehen, könnte sich Mithelfer suchen. Dafür müsse man gezielt andere Menschen direkt ansprechen und sagen, welche Unterstützung man von ihnen erwarte. „Sie in der weißen Bluse, rufen Sie bitte die Polizei.“ Eine weitere Möglichkeit sei es, die 110 anzurufen. Niemand müsse Sorge haben, bei einem Fehlalarm die Kosten für den Einsatz tragen zu müssen. „Lieber rufe ich einmal zu viel an als einmal zu wenig“, ermuntert Wille.
An jedem Tunnelbahnhof auf Höhe der Anzeigetafel befinden sich an der Seite Notrufsäulen befinden. „Ich kann dort jederzeit das Knöpfchen drücken und bekomme schnell Hilfe“, erklärt Polizistin Wille. Zudem sei ein Defibrillator integriert. Sie ermuntert dazu, diesen bei medizinischen Notfällen auch zu nutzen. „Den einzigen Fehler, den Sie damit machen können, ist es, ihn nicht zu benutzen.“
Das Schwierigste, aber auch Wichtigste sei, dass jemand den ersten Schritt macht. „Es ist nicht einfach, zu helfen und den Schritt aus der Anonymität zu machen. In Situationen, in denen eigentlich viele Leute da sind, lähmen sich diese häufig gegenseitig. Aber wenn Sie den ersten Schritt machen, kommt meist ein Zweiter, Dritter oder Vierter dazu“, erklärt die Polizistin.
Es gebe aber auch Momente, in denen man nichts unternehmen könne. „Wenn eine Waffe im Spiel ist, brauche ich nicht dazwischenzugehen“, sagt Schmid. Wichtig sei es, eine gute Zeugenbeschreibung abzugeben. Aber: „Wir haben das Beobachten verlernt“, sagt Wille. Sie empfiehlt, auf Details zu achten: Tätowierungen, auffälliger Schmuck. „Üben Sie das bei der nächsten U-Bahn-Fahrt“, empfiehlt die Polizistin.
„Der gewöhnliche Straftäter sucht sich ein schwaches Opfer und keinen Gegner auf Augenhöhe“, erklärt Hauptkommissarin Wille. Daher sei es wichtig, nicht in sein Schema zu fallen. Dafür gehe es einige Tricks: Man sollte Ruhe ausstrahlen, geradeaus und nicht auf den Bode schauen, einem Blickkontakt nicht ausweichen und aufrecht sitzen. „Allein diese nonverbale Gegenwehr schreckt 68,4 Prozent der Täter ab.“
Sollte das nicht nützen: „Unsere erste Waffe ist die Stimme. Schreien Sie ‚Fassen Sie mich nicht an‘. Der Täter wird so auf die große Bühne gestellt. Das mag er nicht, denn er will nicht erwischt werden.“ Diese Lautstärke falle vielen nicht leicht, da man es normalerweise nicht mache. Daher sollte man es zu Hause üben, empfiehlt Schmid.
Es gebe aber auch Trillerpfeifen oder einen Schrillalarm. Zudem sollte man immer Distanz zum Täter schaffen. „Wir sitzen alle allein am Fenster und haben es so schwerer aus der Situation rauszukommen, weil mir der andere einfach den Weg versperren kann“, sagt Schmid. Er empfiehlt den Gangplatz.
Zudem: „Schaffen Sie verbale Distanz durch Siezen. Wenn Sie ihn duzen, wirken Sie auf Mitreisende wie ein Pärchen.“ Wer um Hilfe bittet, sollte zwei oder drei Mitreisende direkt ansprechen und auch sagen, was man von ihnen erwarte.
Sollte das alles erfolglos bleiben, sei massive Gegenwehr notwendig. „Dann ist alles erlaubt.“ Ein Tritt auf den Fuß oder ein Schlag mit dem Handballen auf die Nasenwurzel seien effektiv, weil sie sehr schmerzhaft seien.
Auf dem Nachhauseweg sei es auch sinnvoll, den Hausschlüssel schon in der Hand zu haben, um ihn bei einem Angriff einzusetzen. Ein Tierabwehrspray sei dagegen nicht immer die beste Verteidigung. „Es wirkt nicht bei allen Personen und bei Gegenwind könnte es einen selbst beeinträchtigten.“
Wille verweist stattdessen auf Patronen mit synthetisch hergestellten Stinktier-Serum. Die könne man im Falle eines Angriffs zerdrücken. „Es stinkt so bestialisch, dass kein sexueller Übergriff mehr möglich ist.“
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