Die Mittanzenden der 60-Jährigen werden wohl durchschnittlich 30 oder 40 Jahre jünger sein, aber ohne Tammelleo hätten sie keine Chance, ihrem Vergnügen nachzugehen. Bis 2016 war das Tanzen an stillen Feiertagen in Bayern verboten. „Neuneinhalb Jahre lang hat sich der Bund für Geistesfreiheit durch alle Instanzen geklagt, bis wir endlich vor dem Bundesverfassungsgericht Recht bekommen haben“, erinnert sich Tammelleo. Seit dem Urteil gilt: Trotz des Musik- und Tanzverbots am Karfreitag darf gefeiert werden, sofern das Fest „Ausdruck einer weltanschaulichen Abgrenzung gegenüber dem Christentum“ ist.
So hat der Bund für Geistesfreiheit aktuell gleich sieben Tanzveranstaltungen in München für die Ostertage angemeldet. Alle 90 Minuten gibt es eine „weltanschauliche Unterweisung“, die allerdings laut Tammelleo kurz ausfallen dürfte. „Woran soll sich ein gläubiger Christ stören, wenn eine Party in einem geschlossenen Raum stattfindet?“, fragt Tammelleo. Richard Meinl von RaveStreamRadio äußerte in einem Interview gar folgende Kritik: „Derzeit sind in München nur noch 35 Prozent der Bevölkerung Anhänger der beiden großen christlichen Kirchen. Es kann nicht sein, dass aus Rücksicht auf diese Minderheit der Großteil der Bürger nicht feiern darf.“
Fragen und Vorwürfe, mit denen Hallo sowohl den designierten evangelischen Landesbischof Christian Kopp als auch den katholischen Pfarrer Rainer Maria Schießler konfrontiert hat. Letzterer differenziert: „Natürlich stört es mich nicht, wenn jemand am Karfreitag in irgendeinem Partykeller abtanzt.“
Anders sehe er es aber im öffentlichen Bereich. Dieser stehe „gewissermaßen für alle in diesen Tagen unter einem allgemeinen Schutz.“ Selbst wenn die Zahl der praktizierenden Christen geringer werde, sei es eine Frage des stilvollen Umgangs miteinander, es den interessierten Christen zu ermöglichen, in einer „allgemein ruhigeren Atmosphäre ihren Glauben öffentlich feiern zu dürfen“.
Zur Diskussion über das Tanzverbot an stillen Feiertagen hat auch Christian Kopp (58), der gerade gewählte designierte Landesbischof – seine Amtszeit beginnt am 1. November – der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, eine Meinung. Er plädiert vor allem für eine weniger hitzige Diskussion.
Herr Kopp, warum sind aus Ihrer Sicht die stillen Feiertage auch in der heutigen Zeit noch wichtig?
Das Jahr hat 365 Tage. An der überwältigenden Mehrheit dieser Tage kann jede und jeder feiern und tanzen, wie es nur geht. Ich finde die Erregung, mit der über die wenigen stillen Tage im Jahr diskutiert wird, unangemessen. Stille und Ruhe braucht jeder Mensch. Außerdem sind auch in München Hunderttausende Mitglied einer christlichen Gemeinde oder Gemeinschaft, für die Karfreitag und Karsamstag wichtige Tage sind.
Wie reagieren Sie auf den Vorwurf einer Bevorzugung?
Für mich hat das mit Respekt zu tun. Gibt es Respekt vor der religiösen Orientierung von Menschen? Das Münchner Stadtbild ist geprägt von vielen christlichen Kirchen. Ich weiß, dass auch religiös nicht interessierte Menschen diese religiösen Orte schätzen. Sie gehören dazu. Wie eben auch die stillen Tage vor den Ostertagen.
Gäbe es Kompromisse, die Sie für möglich halten?
Kompromisse sind doch das Wichtigste im Leben. Ich finde es gut, wenn wir miteinander über unsere Interessen und Anliegen sprechen und einander zuhören. Zum Glück haben wir da in München und in Bayern eine gute und solide Tradition beim Kompromisse schließen.
Neun sogenannte stille Tage gibt es in Bayern. An diesen sind öffentliche Unterhaltungsveranstaltungen verboten, die nicht dem ernsten Charakter dieser Tage entsprechen. Sportveranstaltungen sind erlaubt, ausgenommen am Karfreitag und am Buß- und Bettag. Stille Tage sind: Aschermittwoch, Gründonnerstag, Karfreitag, Karsamstag, Allerheiligen, Volkstrauertag, Totensonntag, Buß- und Bettag, Heiligabend. Der Schutz der stillen Tage beginnt um 2 Uhr, an Karfreitag und Karsamstag um 0 Uhr, an Heiligabend um 14 Uhr. Der Schutz endet jeweils um 24 Uhr.
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