Mehr Straftaten gegen queere Menschen in Bayern ‒ Experten aus München fordern Maßnahmen der Polizei

In Bayern haben sich die Straftaten gegen queere Menschen innerhalb von 11 Jahren versiebenfacht. Die Dunkelziffer könnte noch höher sein. Was Münchner Experten fordern.
München ‒ Wehende Regenbogenfahnen am Rathaus, aber in Bayern nehmen Straftaten gegen queere Menschen deutlich zu ‒sind wir nur scheinbar tolerant? Auf eine Anfrage der Grünen im Bayerischen Landtag folgt ein ernüchterndes Fazit für den Freistaat: Von 2010 bis 2021 haben sich die Fälle von Hasskriminalität vervierfacht – die Straftaten gegen queere Menschen haben sich versiebenfacht.
Mitarbeiter der LGBTIQ-Koordinierungsstelle in München geht von hoher Dunkelziffer bei Straftaten in Bezug auf die sexuelle Orientierung aus
Aktuelle Zahlen für München gibt es erst Ende März. In der Polizeistatistik von 2021 sind bei Straftaten in Bezug auf die sexuelle Orientierung 45 Fälle angegeben ‒ 25 mehr als im Jahr zuvor. Erst seit 2021 werden auch Straftaten in Bezug auf das Geschlecht und sexuelle Identität gesondert erfasst: 15 Fälle werden ausgewiesen.
„Wir haben eine extrem hohe Dunkelziffer“, erklärt Andreas Unterforsthuber von der städtischen Koordinierungsstelle Gleichstellung von LGBTIQ*. Vieles werde nicht angezeigt.
+++Gewalt an LGBTIQ+ nimmt in Bayern und München zu: So viele Fälle waren es im vergangenen Jahr+++
Mehr queerfeindliche Straftaten in Bayern ‒ Grüne fordern Ansprechpartner bei der Polizei
Die Landtags-Grünen fordern spezielle Ansprechpersonen in den Polizeipräsidien. „Institutionalisierte Ansprechpartner der Polizei sind bei uns eigentlich vorhanden“, erklärt ein Polizeisprecher. Das Kommissariat 105 für Prävention und Opferschutz habe seit 2000 intensive Kontakte zu den Verbänden der Szene. Im Mai starten Koordinierungsstelle und Polizei eine gemeinsame Kampagne.
„Eine polizeiliche Anzeige zu erstatten kostet viel Überwindung“, erklärt Psychologin Bettina Glöggler vom Schwulen Kommunikations- und Kulturzentrum (Sub). Komme es zu einer queerfeindlichen Straftat, müsse „die betroffene Person in einer Dienststelle ‒ nicht gerade ein Ort mit viel Privatsphäre ‒ Auskunft über die eigene sexuelle Orientierung oder Identität“ geben.

Scham sei ein großes Thema, genährt durch Äußerungen wie: „Du bist selber schuld, wenn du so rumläufst.“ Diese Täter-Opfer-Umkehr werde nicht von der Polizei betrieben, sondern komme aus der Gesellschaft.
Hemmung Straftaten zur Anzeige zu bringen ‒ Experten fordern Verankerung des Themas in der Ausbildung der Polizisten
Aber auch die Polizei müsse bemüht sein, Hemmschwellen zu senken, erklärt Glöggler. „Hier sehen wir noch großen Nachholbedarf, auch weil das Verhältnis zwischen Community und Polizei historisch belastet ist.“ Der Polizei attestiert Glöggler großes Interesse, queerfeindliche Straftaten zu verfolgen.
„Trotzdem haben Betroffene oft Sorge, auf Unverständnis zu stoßen oder unangenehme Nachfragen beantworten zu müssen.“ Ein wichtiger Schritt wäre eine Verankerung des Themas in der Ausbildung der Polizisten und einen speziellen Zuständigkeitsbereich bei der Staatsanwaltschaft.
Mehr queerfeindliche Straftaten in Bayern ‒ Internationale Wochen gegen Rassismus starten im März
Hemmnisse seien laut Glöggler auch Informationsdefizite, dass eine gruppenbezogene Straftat – eine Beleidigung weil jemand homosexuell oder trans ist – schwerer gewichtet werde, als eine Beleidigung auf persönlicher Ebene.
Um die Fortbildung von Polizisten und darum, wie zum Beispiel in der Jugendarbeit Diskriminierung erkannt und dieser entgegengewirkt werden kann, geht es auch bei den Internationalen Wochen gegen Rassismus
Das Programm der Internationalen Wochen gegen Rassismus
„Antirassismus – Wie kann das gehen?“ heißt die Auftaktveranstaltung der Internationalen Wochen gegen Rassismus, die von Montag, 20. März, bis Sonntag, 2. April, stattfinden. Ab 19 Uhr diskutieren darüber im Großen Sitzungsaal des Neuen Rathauses Autorin Tupoka Ogette, die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Ferda Ataman, und Professor Jannis Panagiotidis von der Uni Wien. Anmeldung per E-Mail an fachstelle@muenchen.de.
Die zentrale Veranstaltung ist die Demonstration „Misch dich ein!“ am Dienstag, 21. März, ab 17.30 Uhr auf dem Marienplatz. Diese wird von antirassistischen Initiativen vorbereitet, Redner aus München und Namibia zeigen Handlungsbedarf und -möglichkeiten auf.
Das NS-Dokuzentrum lädt am Mittwoch, 22. März, zum Seminar „Queer sein damals und heute – zwischen Ausgrenzung, Verfolgung, Selbstbewusstsein und Empowerment“. Sonderpädagogin Kristin Peter vom Kreisjungendring München-Land leitet das Seminar gemeinsam mit Sozialarbeiter und Jungenpädagoge Michael Ponert und Historikerin und Germanistin Nathalie Jacobsen.
Der Fokus liegt darauf, wie in der Jugendarbeit Diskriminierung und Ausgrenzung erkannt und vermieden werden kann und wie sichere Räume für Jugendliche mit unterschiedlichen sexuellen Identitäten geschaffen werden. Anmeldung über www.nsdoku.de.
Für Führungskräfte der Polizeiinspektionen des Präsidiums München gibt es am Donnerstag, 23. März, einen Antirassismustag mit Vorträgen der Fachstelle für Demokratie, einer Antirassismus-Trainerin und der Europäischen Janusz Korczak Akademie, deren Fokus auf jüdischer Jugend- und Erwachsenenbildung und auf interreligiösem Dialog liegt.
Das Programm der meist kostenfreien Veranstaltungen gibt es unter stiftung-gegen-rassismus.de.
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