Früher Stigma, heute Mainstream? Mit Tätowierer Markus Schwaiger durch 30 Jahre Tattoo-Geschichte Münchens

Vom FC-Bayern-Logo bis zum Unendlichkeitssymbol: So veränderte sich Münchens Tattoo-Szene in 30 Jahren. Tätowierer Markus Schwaiger blickt zurück.
„Es war neu und verrucht. Und damit an die Öffentlichkeit zu gehen, war ungewöhnlich“, sagt Tätowierer Markus Schwaiger. Er spricht vom Jahr 1992, als „Tattoo Sohne“ (siehe Infokasten) gemeinsam mit „Cutglass Piercing“ Münchens erste Tattoo Convention im Mathäser Festsaal veranstaltetet hat.
„Das Interesse unter Tätowierten war groß“, erklärt der 52-Jährige. Möglichkeiten, sich zu informieren oder Motive zu sehen, habe es damals kaum gegeben. Und die, die schon Tattoos hatten, haben sich gefreut, ihre eigenen auf der Convention herzuzeigen – „unter Leuten, die das nicht doof finden oder fragen, ob man im Knast war“.
Da es solche Veranstaltungen zur damaligen Zeit bloß in Frankfurt und Berlin gab, sei das Einzugsgebiet im Süden groß gewesen. „Manche sind 300 Kilometer hergefahren. Von Stuttgart, Salzburg und Linz aus.“
Rocker, Biker und Sadomaso: wilde Mischung auf der ersten Tattoo-Messe Münchens vor 30 Jahren
Einfach sei das Ausrichten der Veranstaltung damals nicht gewesen – mit viel weniger Tätowierern als heute, Rivalität in der Szene und ohne das Internet. Gekommen seien zunächst vor allem Rocker und Biker, aber auch Personen aus der Sadomaso-Szene. „Das war eine lustige Mischung“, erinnert sich Schwaiger. „Außer, dass sie tätowiert waren, gab es keine Berührungspunkte.“
Rund 20 Mark pro Tag, 45 für alle drei, glaubt er sich zu erinnern, haben die Besucher damals zahlen müssen. Vor Ort sei dann alles von Hand gezeichnet worden, Vorlagen seien nicht herausgegeben worden. Nach den ersten Jahren wurde der Kunstpark zum Veranstaltungsort. Ein paar Jahre später stellten die Veranstalter die Messe ein – die Konkurrenz war inzwischen größer geworden.
Heute mehr als 60 Prozent tätowiert
Heute, 30 Jahre nach der ersten Münchner Convention, hat sich die Branche stark verändert. Es gibt viel mehr Studios, dadurch auch mehr Transparenz. „Wo es damals vier oder fünf in München gab, gibt es heute 70 bis 100.“ Tattoos seien inzwischen im Mainstream angekommen. „Man sieht, dass mehr als 60 Prozent der über 18-Jährigen tätowiert sind.“ Was er bedauert: Viele gehen heute über den Preis, lassen sich das Motiv dort stechen, wo es am günstigsten ist.
„Was aktuell beliebt ist, ist die Vorstufe zu beliebig“, findet Schwaiger zudem. An Trends wie eine liegende Acht – das Unendlichkeitssymbol – oder Unterbrust-Mandalas muss er da denken. „Die Kunst entwickelt sich in Richtung Copy & Paste.“ Früher habe es das nicht gegeben.
- Das sind beliebte München-Motive:
- Die Silhouette von München, der Alte Peter, die Frauenkirche, der Olympiaturm, das Sechzger-Logo oder doch der „Mia san Mia“-Schriftzug: Markus Schwaiger hat schon allerhand München-Tattoos auf die Haut gebracht. „Es gibt nichts, was mit München assoziiert wird, das ich noch nicht gestochen habe“, sagt er. Beliebt sei vor allem das Münchner Kindl. Was hingegen schwieriger zu stechen sei: das Bayern-Logo.
„Heute halten einem die Leute das Handy unter die Nase und zeigen, was sie auf Pinterest gefunden haben.“ Viele hätten kein Interesse mehr an einem Unikat. Ganz entziehen kann er sich der Entwicklung leider nicht. „Unterm Stich bin ich ein Dienstleister und muss Geld verdienen“, sagt er. Sein persönliches Credo: „Wenn ich kann, mache ich es; wenn nicht, empfehle ich jemanden.“
Ältestes Studio
Anfang der 1990er Jahre, in seinen 20ern, lernte Markus Schwaiger das Studio „Tattoo Sohne“ kennen, das sich heute an der Ligsalzstraße 44 befindet. Zunächst war er Kunde, später half er in der Administration, irgendwann hat er selbst zur Tattoo-Nadel gegriffen. Gegründet hat das Studio der Tätowierer Theodor Meier bereits im Jahr 1981, damals noch an der Schleißheimer Straße. Heute sei es Münchens ältestes Tattoostudio, sagt Schwaiger, der den Laden vor sechs Jahren übernommen hat.