Immer wieder Unfälle: Wie kann unsere Bahn sicherer werden?

München - Nach dem Sturz eines Blinden am Rotkreuzplatz ist die Diskussion um die Sicherheit in Münchens Bahnen wieder neu entflammt. Doch eine Überwachung würde viel Geld kosten, die Verantwortlichen sträuben sich.
Er dachte, er hätte vor sich die zischenden Türen gehört und mit dem Stock den Einstieg ertastet. Doch als der blinde Münchner (51) einen Schritt nach vorne macht, stürzt er in die Tiefe - und fällt zwischen zwei Waggons ins Gleisbett! Der Unfall geschah am Mittwoch gegen 18 Uhr am U-Bahnhof Rotkreuzplatz. Der 51-jährige Familienvater hatte mit seiner ebenfalls blinden Frau (48) auf die U 1 gewartet und nicht gemerkt, dass er zwischen zwei Waggons statt vor einer Tür stand. Ein fataler Irrtum! Doch der Mann hatte Glück im Unglück: Ein anderer Fahrgast zog den Nothalt, die U-Bahn blieb stehen. Der Mann kam mit Kopfverletzungen und Prellungen in ein Krankenhaus, er und seine Frau erlitten einen Schock.
Der Sturz des Blinden ist kein Einzelfall. „In München sind alleine in diesem Jahr neun Menschen ins Gleis gestürzt“, sagt Andreas Am U-Bahnhof Rotkreuzplatz geschah Mittwochabend der Unfall.Nagel vom Fahrgastverband Pro Bahn. Er fordert Veseit langem eine Überwachung des Gleisbetts: „Bei der Häufigkeit der Unfälle ist das ein Muss, zum Schutz der Fahrgäste und auch der Fahrer. Wie viele Menschen müssen noch sterben, bevor die Verantwortlichen handeln?“ Auch Christian Seuß, Landesvorsitzender des Bayerischen Blinden- und Sehbehinderten-Bundes, ist schockiert. Er ist selbst blind und kennt die tödlichen Gefahren, die an den Bahnhöfen lauern: „Gerade bei den alten U-Bahnen kann man den Abstand zwischen den Waggons leicht mit der Tür verwechseln, weil sie so weit gekoppelt sind“, erklärt der 51-Jährige.

Er kämpft seit langem dafür, dass die Sicherheit auf den U- und S-Bahnhöfen durch technische Mittel erhöht wird, etwa durch automatische Bahnsteigtüren oder elektronische Gleisbettüberwachung. „Die Politik muss endlich aufwachen - nicht nur wegen uns Blinden. Auch alkoholisierte Menschen müssen -geschützt werden, ebenso wie Senioren und Kinder.“
Verantwortliche sehen kein Handlungsbedarf
Die Deutsche Bahn und die Stadtwerke (SWM) sehen allerdings keinen Handlungsbedarf. „Unsere Sicherheitsvorkehrungen haben sich in den letzten fast 40 Jahren im Grundsatz bewährt“, sagt ein Bahnsprecher und appelliert an die Fahrgäste, die geltenden Sicherheitsvorschriften zu beachten. Auch die SWM wiegeln ab: „Alle technischen Möglichkeiten wurden sorgfältig geprüft. Sie kommen aber auf absehbare Zeit aus technischen und finanziellen Gründen nicht in Betracht.“
Für den blinden Christian Seuß ist das ein Schlag ins Gesicht: „Eine Umrüstung ist kostenintensiv. Aber was ist Geld wert im Vergleich zu einem Menschenleben?“
Dramatische Unfälle am Gleis: Es passiert immer wieder - und in vielen Fällen ist Alkohol im Spiel
Immer wieder werden S- und U-Bahnhöfe zu Schauplätzen von Tragödien. Allein in diesem Jahr geschahen mehrere Unfälle:
19. Februar: Ein betrunkener 19-jähriger Schüler stürzt am U-Bahnhof -Candidplatz aufs Gleis. Die U-Bahn trennt ihm einen Fuß ab, er überlebt jedoch schwerverletzt.
3. April: Ein Amerikaner (32) stürzt am S-Bahnhof Rosenheimer Platz mit 2,14 Promille ins Gleis. Ein 18-Jähriger springt hinterher und rettet ihn.
2. August: Ein Mann (36) fällt nach einem Schwächeanfall am S-Bahnhof Leuchtenbergring mit dem Kopf voraus vor eine einfahrende S-Bahn. Er rettet sich in letzter Sekunde in einen Schacht und überlebt.
24. September: Ein Wiesn-Besucher (23) aus Mazedonien fällt im U-Bahnhof Westpark ins Gleis. Die U-Bahn reißt ihn mit, er stirbt im Krankenhaus.
3. Oktober: Am Bahnhof Pasing stolpert eine 72-Jährige beim Aussteigen aus einem Regionalzug kopfüber aufs Gleis. Sie kommt in ein Krankenhaus.
9. Dezember: Am Marienplatz wollen Evren Kutlu (36) und seine Frau mit Baby Derin (drei Monate) aus der S-Bahn steigen. Die Mutter wird geschubst, der Kleine rutscht ihr vom Arm und fällt ins Gleis. Er wird leicht verletzt.
17. Dezember: Nach einer Weihnachtsfeier stürzt der Münchner Azubi Lukas K. (20) am Isartor aufs Gleis. Er wird von der S 8 überrollt und verliert beide Beine Drei Tage später stirbt er.
24. Dezember: Zwei Betrunkene (40 und 26) lassen am U-Bahnhof Quiddestraße die Beine vom Bahnsteig baumeln. Der Fahrer kann nicht mehr bremsen. Der 40-Jährige wird leicht verletzt, der 26-Jährige erleidet einen Wadenbeinbruch.
svs, cs