Schock nach Kahlschlag: „Weinende Anwohner am Telefon“ fassungslos über Rodungsaktion der Stadt

Das große Abholzen für die Verlängerung der U5 nach Pasing hat begonnen: An der Gotthardstraße in Laim ist der Aufschrei über hunderte gefällte Bäume groß.
Und während Politiker aller Couleur die Rodung für „unvermeidbar“ halten, erklären Naturschützer weiter, es habe eine Alternative gegeben.
„Einfach gruselig“ sieht es aus an der Gotthardstraße in Laim, sagt Martin Hänsel. Der Vize-Chef der Kreisgruppe München des Bund Naturschutz (BN) ist am Freitag vorbeigeradelt. Kurz zuvor waren mehrere hundert Bäume sind zwischen der Fischer-von-Erlach- und der Willibaldstraße abgeholzt worden. Hänsel berichtet von „weinenden Anwohnern am Telefon“, die nicht fassen können, was vor ihrer Haustür passiert ist.
München: Schock nach Kahlschlag an der Gotthardtstraße
Bis kurz vor ihrem Tod hatten die Bäume an der Gotthardstraße in Laim „gesprochen“: Naturschützer von der Bürgerinitiative Landschaftspark-West und vom BN hatten dazu aufgefordert, die Stämme mit Botschaften zu versehen. „Erst stirbt der Baum, dann der Mensch“, stand da etwa. Jetzt sind sie gefallen. Der Kahlschlag umfasst mindestens 384 Bäume mit einem Stammumfang von mehr als 80 Zentimetern. Andere sprechen gar von 530 Bäumen.

Die Fällungen werden in den kommenden Tagen im Osten der Gotthardstraße auf insgesamt 1,2 Kilometern Länge bis zur Von-der-Pfordten-Straße weitergehen. Und sie zeigen ein Dilemma auf, das in München immer öfter zu beobachten ist: Für die Verkehrswende, also eine klimaverträglichere Mobilität für den Menschen, werden aberhunderte Bäume gefällt. Hier in Laim wird bald die Baustelle für die Verlängerung der U5 vom Laimer Platz Richtung Pasing eingerichtet. Der Ausbau der Strecke wird von Politikern aller Couleur als unverzichtbarer Baustein der Verkehrswende betrachtet. Der Stadtrat hat im November 2021 988 Millionen Euro für das U-Bahn-Projekt genehmigt. Und eben das Abholzen der meist mehr als 40 Jahre alten Bäume.
München: Auch Grünen-Stadtrat nennt Kahlschlag „unvermeidbar“
Selbst Grünen-Stadtrat Paul Bickelbacher hatte den Kahlschlag zwar bedauert, aber als „unvermeidbar“ bezeichnet. Denn: Die Baustelle kann nach Aussagen des Baureferats nicht unterirdisch als Tunnelbaustelle eingerichtet werden. Der Grund: Die Haltestelle am Laimer Platz liegt nur fünf bis sechs Meter unter der Erde – zu wenig Platz für eine bergmännische Arbeitsweise. Deshalb muss offen gearbeitet werden, das heißt, die Straße muss aufgegraben werden – und der Autoverkehr fließt dann jeweils einspurig. Zudem wird zwischen dem Laimer Platz und der nächsten Haltestelle an der Willibaldstraße eine U-Bahn-Abstellanlage entstehen. Erst westlich der Willibaldstraße, unter der dortigen Kleingartenanlage, soll unterirdisch und damit baumschonend weitergearbeitet werden.

München: Verkehrswende versus Baum- und Klimaschutz
Martin Hänsel glaubt, dass die meisten Bäume dennoch gerettet werden hätten können. „Ein bergmännischer Vortrieb wäre in unseren Augen größtenteils möglich gewesen, wenn man die U-Bahn-Abstellanlage unter die Sportanlage des SV Laim verlegt hätte“, sagt er. Die Verwaltung sei dem Wunsch des BN, das zu prüfen, aber nicht nachgekommen. „Die Planung wird den Erfordernissen des Klimawandels nicht gerecht“, sagt Hänsel. Verkehrswende versus Baum- und Klimaschutz: „Es passiert oft, dass hier ein wichtiges Argument gegen das andere ausgespielt wird“. Dabei könne man „mit ein bisschen Mehraufwand“ oft beides unter einen Hut bringen.
An der Gotthardstraße ist es dafür nun zu spät. Mitte 2026 soll der Abschnitt wieder überdeckelt sein. Dann sollen fast alle gefällten Bäume nachgepflanzt werden. Für Hänsel kein Trost: Bis die neuen Bäume die Funktionen ausgewachsener Straßenbäume einnehmen – als Schattenspender, als CO2-Speicher, als grüne Lungen – dauere es „ein halbes Menschenleben lang“. CAROLINE WÖRMANN *tz.de ist ein Angebot von IPPEN MEDIA
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