Brennpunkt Bahnhofsviertel: So schlimm ist es wirklich

Schandfleck Bahnhofsviertel: Wie schlimm ist es wirklich rund um den Münchner Hauptbahnhof? Die tz hat sich dort umgesehen.
Schandfleck Bahnhofsviertel – so lautete unsere Schlagzeile der Wochenend-Ausgabe. Uns erreichen Dutzende Leserbriefe zum Thema – von Passanten und Geschäftsleuten. Die tz macht sich auf ins Viertel.
„Manchmal fragt ein Gast ganz entsetzt: ,In was für einem Ghetto sind wir hier?!‘“, sagt uns eine Dame am Hotelempfang, keine 200 Meter vom Hauptbahnhof entfernt. Natürlich geben wir ihren Namen und den des Hotels nicht preis. So wie hier ergeht es uns in vielen Restaurants, Hotels, Shops. Den Inhabern oder Mitarbeitern brennt es unter den Nägeln, aber sie möchten anonym bleiben. Man weiß ja nie. Fast einhelliger Tenor: Es ist schlimmer geworden.
Einer, der redet, ist Ahmet H. Erkal, Manager des Hotel Bayer’s. „Bis vor drei, vier Jahren waren wir

stolz auf unsere Lage“, sagt er uns. Die Nähe zum Hauptbahnhof war ein Trumpf. „Jetzt sieht der Gast Besoffene, Fixer und Bettler und fragt mich: ,Sind wir hier sicher?‘“ Erkal zeigt auf die Bewertungsurkunden eines Internet-Buchungsportals an der Wand. 8,7 steht da, 8,8 und 8,9 für die vergangenen drei Jahre. „Aber für die Lage bekommen wir inzwischen nur noch eine 2,5.“
„Keiner weiß sich wirklich zu helfen“
Besonders problematisch sei es mit dem Parkhaus, das einen Block entfernt liegt. Da habe der Hotelmanager selbst schon Fixer und schlafende Obdachlose angetroffen. „In diesem Jahr habe ich weniger Gäste als 2016, das geht ins Geld.“ Hilfe von den Ordnungshütern erwartet er nicht mehr, „die Polizei ist überfordert“. Er hat Kameras installiert und lässt seinen Hausmeister öfter nachschauen. „Aber keiner weiß sich wirklich zu helfen.“
Die Hotels achten inzwischen penibel darauf, dass nur ihre Gäste ins Haus kommen. Die Restaurants an der Bayerstraße können nicht mit Zugangscodes, Chipkarten oder persönlicher Einlasskontrolle arbeiten. Sie sind auf Laufkundschaft angewiesen. „Es sind schlimme Zustände“, sagt Anja Meisel, Sprecherin der Franchisepartner der Filialen von Kentucky Fried Chicken (KFC) in München, „und es hat in den letzten fünf Jahren extrem zugenommen“. Drogen, Prostitution, Bettelei zählt sie auf, dazu Gäste, denen jeglicher Respekt gegenüber den Restaurantmitarbeitern von KFC fehle.
Polizei kann nicht jedes Mal gerufen werden
Sie könne

doch nicht jedes Mal die Polizei rufen, sagt sie. Gründe genug gebe es allerdings: aggressive Bettler, „die den Gästen fast das Hühnchen vom Teller essen“, Zerstörungen in den Toilettenräumen und Spritzen von Drogensüchtigen. Von den Patrouillen, die ab Frühjahr im Viertel Präsenz zeigen sollen, erwartet Anja Meisel einiges. Es sei zumindest mal ein erster Schritt. Für sie als geborene Münchnerin sei dieser Zustand rund um den Hauptbahnhof unerträglich. Aber sie will nicht klein beigeben. Entschlossen sagt sie: „Wir wollen unbedingt hier bleiben!“
Probleme hat auch die Tanzschule am Deutschen Theater. Tanzlehrer Eric Pietras sagt: „Wir haben zwar keine Probleme mit ungebetenen Gästen, aber leider benutzen manche die Mauernische an der Fassade unseres Gebäudes zur Straße als Urinal.“
Gespräch mit Fritz Wickenhäuser: „Die Stadt muss mehr tun“
Wir erreichten Professor Fritz Wickenhäuser am Sonntag am Telefon. Der Vorsitzende des Vereins südliches Bahnhofsviertel sagt: „Ich finde es wichtig und richtig, dass die Politik die zunehmende Verwahrlosung der Bahnhofsgegend endlich ernster nimmt. Mich wundert es allerdings, dass das Problem der verdeckten Prostitution von der Politik bis jetzt noch nicht thematisiert wurde. Bloß, weil das Ganze verdeckt abläuft, heißt es ja nicht, dass es nicht da ist.“
Große Hoffnung in Sachen Arbeiterstrich setzt der

Münchner auf den kommunalen Sicherheitsdienst, der künftig rund um den Hauptbahnhof patrouillieren soll. „Es ist ja nicht so, dass die Stadt nichts tut“, sagt Wickenhäuser, „nur reicht das bei Weitem noch nicht aus.“ Denn auch, wenn die Kriminalitätsrate nach Angaben der Polizei in der Vergangenheit kaum gestiegen ist, hat sich das Erscheinungsbild des südlichen Bahnhofsviertels deutlich verändert. „Ich habe nichts dagegen, wenn ein, zwei Bettler auf dem Gehsteig sitzen“, erklärt Wickenhäuser, „aber wenn da plötzlich 15 Leute sitzen und Schichtdienst arbeiten, dann ist das ein Problem.“ Ebenso wie die Wild-Camper. Das sind Menschen, die in privaten Hauseingängen, Garagen und den Eingangsportalen der Matthäuskirche übernachten und „alles hinterlassen, was man über Nacht hinterlassen kann“. Wickenhäuser sagt deshalb: „Dass die Unzufriedenheit der Bürger dabei wächst, kann ich absolut nachvollziehen.“
sb