Der Letzte seiner Art: Gerard Wiener repariert Fotoapparate

München - Gerard Wieners Geschäft wirkt, als wäre es aus der Zeit gefallen. Wiener (76) repariert alte analoge Kameras. Seit Jahrzehnten. Ein Handwerk, das auch im digitalen Zeitalter immer noch gefragt ist. Zu Besuch in einer wunderbar verschrobenen Welt.
Im Schaufenster baumeln noch Christbaumkugeln, im Laden hängt ein Kalender von 2013 an der Wand. Vergesslichkeit? Vielleicht. Möglicherweise aber auch nur konsequentes Liegenlassen, denn Zeit spielt im Laden von Gerard Wiener schon lange keine Rolle mehr.
Keine Digicams, kein Smartphone
Der gelernte Feinmechaniker repariert seit mehr als 40 Jahren Fotoapparate. Die Betonung liegt hier auf Apparat, auf Mechanik. „Ich repariere auch schon mal eine Digitalkamera“, gesteht Wiener, „aber da ist ja nicht viel Mechanisches dran.“ Schaut man sich in seinem Geschäft in der Landwehrstraße 12 um, entdeckt man tatsächlich nicht eine einzige Digicam. Auch kein Handy oder Smartphone. Dafür aber zum Beispiel den „View Master“, ein „Betrachtungsgerät für stereoskopische Bilder“. Die Geräte waren in den 1960er und 1970er Jahren der Hit – eine Art Diabetrachter, bei dem die Dias in wechselbare Pappscheiben integriert sind. Freilich ist das eher eine Nebensächlichkeit, wie auch der VHS-Camcorder, der schon seit Ewigkeiten auf einen nostalgischen Käufer hofft. Sie sind - ebenso wie die bei

Wiener dominierenden - edlen analogen Spiegelreflexkameras, Zeugen einer langsam verblassenden Epoche der Fotografie.
Er ähnelt Jean Gabin
Und doch geben sich die Kunden bei dem gebürtigen Franzosen die Klinke in die Hand. Ein Interessent mit französischem Akzent will einen UV-Filter kaufen. Als er bemerkt, dass Wiener selbst des Französischen mächtig ist, fragt er: „Sprechen Sie auch luxemburgisches Französisch?“ „Noch nicht“, antwortet Wiener. Ohne Brille, mit seinem spitzbübischen Lächeln, ähnelt er in diesem Augenblick Jean Gabin, dem großen Schauspieler und Nationalhelden des französischen Kinos, der in Deutschland in den 50er und 60er Jahren vor allem durch seine Rolle als Kommissar Maigret bekannt wurde. Beide, Maigret und Wiener, lösen ihre „Fälle“ mit der nötigen Finesse. Der eine mit kriminalistisch geschulter Psychologie, der andere mit feinmechanisch perfekt trainierten Händen.
"Une catastrophe"
Ein Stammkunde, ein wenig jünger als Wiener, holt ein Objektiv ab. Wiener: „Ich muss es noch finden, une catastrophe.“ Es dauert nur wenige Sekunden, dann hat er das Gesuchte. Der Kunde frotzelt: „Da ist eh noch Garantie drauf, das Ding hast du vor 20 Jahren schon repariert.“ Auf die Frage, was er von Wiener hält, antwortet er: „Mein Gott, so was wie ihn gibt es nicht mehr. Möge er ewig leben.“

Tatsächlich mangelt es Gerard Wiener nicht an Aufträgen. „Es werden immer mehr“, sagt er. „Die Leute finden auf dem Dachboden die Kamera von Opa und wollen sie dann wieder benutzen.“ Filme gebe es noch, zwar nicht mehr von Kodak oder Agfa, aber zum Glück produziere Fuji noch. Auch viele Fotogeschäfte in München vertrauen ihm die analogen Fotoapparate ihrer Kunden an. Ersatzteile besorgt er sich aus alten Kameras oder fertigt sie selbst.
Seit 1973 repariert er Fotoapparate
Kein Wunder, dass Liebhaber ihre Hasselblads, Leicas, Rolleiflex oder Nikons in die Hände des Wahlmünchners geben. Immerhin ist er seit 1973 vor Ort, jetzt im fünften Laden seit dieser Zeit. „Bei ihm bekomme ich alles“, sagt ein Kunde mit amerikanischem Akzent, „und es ist günstig.“ Er bedauert jetzt schon den Tag, an dem Wiener zusperren wird. Wie lange es noch geht? Wiener weiß es nicht. Aber er hofft, noch lange, denn die Rente reicht nicht. Und wenn er alles verkauft? „Das sagt meine Frau auch immer, aber dann bekomme ich nur ein Euro pro Stück.“ Für eine funktionierende analoge Spiegelreflexkamera mit Objektiv zahlt man aber auch derzeit noch ab 100 Euro. Gerard Wiener lächelt wieder wie Jean Gabin: „Une catastrophe, aber das brauche ich für meine Rente.“
Andrew Weber