Ist es nur der Frost-Atem aus Sibirien, der die Münchner zittern lässt? Oder breitet sich auch soziale Kälte in der Stadt aus? Fragen wie diese kann man sich stellen, wenn man an der Unterführung an der Kapuzinerstraße vorbeikommt.
München - Rund 20 Wohnungslose haben hier ihr Nachtquartier aufgeschlagen. Sie haben Matratzen gestapelt, hüllen sich nachts in dicke Schlafsäcke. Weil es in der Unterführung zieht wie Hechtsuppe, und um ein letztes bisserl Privatsphäre zurückzugewinnen, haben sich manche sogar regelrechte Verschläge gebaut. Damit ist am morgigen Dienstag Schluss: Die Obdachlosen müssen sich ein anderes Plätzchen suchen, die Stadt räumt das Lager!
Bereits 2015 hatte das Sozialreferat die „AG Wildes Campieren“ gegründet. Seitdem greift die Verwaltung durch: Allein im vergangenen Jahr löste die Stadt 13 Camps auf – etwa bei der spektakulären Räumung des Lagers unter der Reichenbachbrücke.
Kaltes Herz oder echte Menschlichkeit? Edith Petry, Sprecherin des Sozialreferats, sagt, so wolle die Stadt nicht nur für Ordnung sorgen, sondern die Obdachlosen auch über ihre Rechte aufklären und ihnen zeigen, wie sie trotz ihrer Armut an Wohnraum gelangen könnten. Zum Beispiel gebe es den Kälteschutz. „In der Bayernkaserne haben wir 850 Schlafplätze“, sagt Petry, „da ist für jeden Obdachlosen Platz.“ Der Stadt gehe es darum, eine deutliche Botschaft zu vermitteln: In München muss niemand auf der Straße schlafen. Und das Thema ist drängend. Fast 10.000 Menschen in München haben keine Wohnung, schätzungsweise 500 leben wirklich auf der Straße.
Warum wollen die nicht in die Bayernkaserne, sondern lieber im Freien bleiben – bei Wind und Wetter? Ein bei der Wohnungslosen-Hilfe engagierter Münchner, der anonym bleiben will, erklärt es: Zum einen gebe es jene, die nicht in die Bayernkaserne dürften – etwa wegen Hausverbots. Andere lebten als Pärchen auf der Straße – in der Bayernkaserne müssten sie in getrennten Zimmern schlafen. Und dann lehnen viele es schlicht ab, gemeinsam mit bis zu sieben Fremden in einem Zimmer zu schlafen, vorher durchsucht zu werden und frühmorgens die Einrichtung verlassen zu müssen. Immer wieder gibt es auch Berichte über Diebstähle in der Einrichtung.
Stellt sich die Frage, was höher wiegt: die Freiheit des Einzelnen, der draußen leben will – oder die städtische Idee von Schutz und Ordnung? Fakt ist: Die Stadt ist entschlossen, das Lager aufzulösen. Morgen.
Severin Heidrich
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