„Mein Bruder rettete mir das Leben“: Überlebender verlor bei Wiesn-Attentat vier Geschwister

Robert Höckmayr wird den Moment des Wiesn-Attentats 1980 nicht vergessen. Er verlor durch die Explosion und deren Folgen vier Geschwister. Jetzt spricht er über sein Familien-Drama.
München - Fast 38 Jahre nach der Bombenexplosion auf dem Oktoberfest entsteht in München ein neuer Ort des Gedenkens. Das Attentat forderte am 26. September 1980 13 Tote und 211 Verletzte. Am Neuen Rathaus wird an diesem Dienstag eine Steintafel eingeweiht, die auch Überlebenden wie Robert Höckmayr (50) einen passenden Ort der Andacht bieten soll. Er verlor bei dem Attentat zwei Geschwister: Ignaz (6) und Ilona Platzer (7). Zwei weitere nahmen sich Jahre später das Leben. Die Bombe des Attentäters Gundolf Köhler hat in Höckmayrs Fall die ganze Familie zerstört.
Etwa 28 Bombensplitter stecken bis heute in seinem Körper, einer davon in seiner Brust. Ein makabres Erinnerungsstück, mittig zwischen den Rippen. „Es ist der Splitter, der Ignaz durch den Kopf schoss und tötete. Ich glaube, mein Bruder rettete mir so das Leben“, sagt Höckmayr, der 1990 den Namen seiner Frau annahm. Seine überlebenden Geschwister Elisabeth und Wilhelm brachten sich später um. „Willi sprang 2008 an seinem Geburtstag vor die U-Bahn. Das war kein Zufall“, meint Höckmayr. Elisabeth sagte zu ihm einen Tag vor ihrer Überdosis: „Morgen bin ich nicht mehr.“
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„An Denkmal wird uriniert und gekotzt“
Um an den blutigsten Anschlag der Nachkriegsgeschichte zu erinnern, hatte die Stadt bereits vor einigen Jahren ein Denkmal am Tatort aufgestellt. Höckmayrs Kritik: „Ich kenne kein anderes Denkmal, an das regelmäßig uriniert und gekotzt wird.“ München weiht am Dienstag auch deshalb mit Oberbürgermeister Dieter Reiter die neue Steintafel ein. Höckmayr durfte über den Inhalt mitentscheiden, wird dabei sein.
Er erinnert sich noch an jede Minute des Attentats. „Mein Bruder Willi und ich hatten gespart, um endlich einmal auf die Wiesn gehen zu können“, beginnt Höckmayr. Ignaz, Willi (14) sowie die Schwestern Sissi (10) und Ilona waren Kettenkarussell, Geisterbahn und Kinder-Autoscooter gefahren. Schon war das Ersparte aufgebraucht.

Höckmayr wundert sich über Attentäter
Auf dem Weg nach Hause kauften sie sich gebrannte Mandeln und Erdnüsse. Nun wollten sie die leeren Tüten genau in den Abfalleimer werfen, wo die Bombe explodierte. Ignaz und Ilona liefen voran. Höckmayr hörte einen Knall und sah eine Stichflamme. „Kurz vorher dachte ich noch: Warum greift der Mann dort mit beiden Armen in die Mülltonne.“ Höckmayr glaubt, Köhler gesehen zu haben.
Die Druckwelle schleuderte die Geschwister durch die Luft. Robert wurde Richtung Wiesn katapultiert. „Ich sah schwarz-weiß, hörte dumpf.“ Seine Brüche und Brandwunden spürte er noch nicht. Er stand auf, der Boden voller Blut, ging an Menschen vorbei, denen Gliedmaßen fehlten, die um Hilfe schrien. Höckmayr sah Ilona. Ihre letzten Worte: „Es tut so weh.“
Höckmayr meidet seither das Areal rund um die Wiesn. Um das Geschehene zu ertragen, hat er sich ein Bild zurechtgelegt: „Schrank auf, alles rein, Türe zu. Hilft nicht immer, aber hält mich am Leben.“
Die unaufgeklärte Tragödie
Das Oktoberfest-Attentat gilt als blutigster Terrorakt der deutschen Nachkriegsgeschichte. 13 Menschen starben am 26. September 1980, 211 wurden zum Teil schwer verletzt. Einer der Toten war der Attentäter Gundolf Köhler selbst. Die Rohrbombe, die in einem Papierkorb nahe des Haupteingangs südlich der Brausebadinsel explodierte, verletzte viele Besucher auf Becken- und Beinhöhe. Einigen Opfern mussten beide Beine amputiert werden. Die Hintergründe der Tat wurden nie vollständig aufgeklärt. Schnell stießen Ermittler auf Neonazis der sogenannten Wehrsportgruppe Hoffmann. Köhler war Anhänger der verbotenen Gruppierung. Vor einem Jahr wurde gerichtlich entschieden, dass der Bundesverfassungschutz die Akten offenlegen muss.
Hüseyin Ince