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Die Lage in den Kinderkliniken ist katastrophal

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Kinderintensivmediziner Prof. Florian Hoffmann warnt vor Kollaps
Kinderintensivmediziner Prof. Florian Hoffmann warnt vor Kollaps © Mike Auerbach

Schwerkranke Kinder liegen auf den Gängen, die Verantwortlichen wissen nicht, wie es weitergehen soll. „Wir haben in den Kinderkliniken momentan katastrophale Zustände“, sagt Prof. Florian Hoffmann, Oberarzt auf der Kinderintensivstation in der Haunerschen Kinderklinik der Ludwigs Maximilians Universität München und Generalsekretär der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI). 

Denn die Zahl der Atemwegserkrankungen bei Kindern geht steil nach oben. Und wegen des massiven Mangels an Pflegekräften und der deshalb dramatisch reduzierten Bettenkapazitäten der Kinderkliniken und Kinderintensivstationen könnte es sein, dass bald nicht mehr alle Kinder versorgt werden können.

Schon im Sommer zeichnete sich die massive Zunahme von Infektionen mit dem Respiratorischen Synzytial-Virus (RSV) ab. „Jetzt sehen Kliniken sich nicht nur einer hohen Zahl von hilfesuchenden Kindern und Familien gegenüber, sondern auch Kindern mit schwereren Krankheitsbildern“, sagt Prof. Christoph Klein, Direktor des Haunerschen Kinderspitals.

„Viele Kinder benötigen eine Sauerstofftherapie und manchmal eben auch eine weitere invasive Beatmung“, sagt Prof. Hoffmann. Wegen der fehlenden Betten müssen immer häufiger akut lebensbedrohlich erkrankte Kinder in hunderte Kilometer entfernte Krankenhäuser transportiert werden.

Der Mangel an qualifizierten Pflegekräften habe sich auch deshalb so massiv verschärft, weil im Zuge der Reform der Pflegeausbildung die spezialisierte Ausbildung zur Kinderkrankenfachpflege abgeschafft wurde, schlägt Klinikdirektor Prof. Klein Alarm. „Insbesondere in den Ballungszentren wie München können Kinderkliniken oft keine Kinder mehr aufnehmen, obwohl es eigentlich leerstehende Betten gibt, die aber nicht betrieben werden können“, klagt der Kinderklinik-Direktor an.

„So bleibt es nur, Stationen überzubelegen, was dazu führt, dass die Überlastung des Pflegepersonals weiter zunimmt und die Pflegerinnen und Pfleger bis zur Erschöpfung arbeiten müssen“, sagt Prof Hoffmann. Zudem müssten Kinder bis zu zwei Tage auf der Notaufnahme mit Sauerstoff versorgt werden. „Die Eltern sitzen daneben, schlafen nachts auf einer Pritsche, bis irgendwo ein Bett frei ist“, sagt Prof Hoffmann: „Sei es in 150 Kilometern Entfernung, wo wir das schwerkranke Kind mit dem Rettungswagen hintransportieren müssen. Ein Zustand, der nur ganz schwer zu ertragen ist“, sagt Prof. Hoffmann. Er hat Angst vor den kommenden Wochen, wenn die Zahlen weiter so steigen: „Frankreich hat schon den nationalen Notstand ausgerufen. Ich fürchte mich vor dem, was uns erwarten könnte.“

SUSANNE SASSE

Das sind die Alarmzeichen, bei denen Eltern mit ihrem Kind dringend zu einem Arzt sollten:

Fast jedes Kind macht eine Infektion mit dem Respiratorischen Synzytial-Virus (RSV) durch. Alle Altersgruppen können erkranken. Aber besonders bei den Kleinen kann eine RSV-Infektion akut lebensbedrohlich sein, erklärt der Kinder-Intensivmediziner Prof. Florian Hoffmann.

Vor allem bei Säuglingen im 1. Lebensjahr und Kindern mit chronischen Erkrankungen kann die Atemwegserkrankung so schwer verlaufen, dass sie im Krankenhaus behandelt werden muss. Eine RSV-Infektion kann zu einer Bronchiolitis führen, einer Entzündung der kleinen Bronchien. Die Schleimhäute schwellen an, außerdem bildet sich Schleim, der dem Kind das Atmen schwer macht. Sogar eine Lungenentzündung kann entstehen

Bei den folgenden Alarmzeichen sollten Eltern dringend einen Kinderarzt konsultieren oder gegebenenfalls auch eine Notfallambulanz, um einer Sauerstoffunterversorgung vorzubeugen:

. Wenn ein kleines Kind offensichtlich Schwierigkeiten beim Atmen hat und schnell atmet.

. Wenn es insbesondere beim Ausatmen ein pfeifendes, knisterndes oder zischendes Atemgeräusch macht.

. Ebenfalls ernst nehmen sollte die Eltern Fieber und Husten, aber auch, wenn das Kind erschöpfter wirkt, als man es sonst kennt.

. Laut Robert Koch-Institut (RKI) ist es bedenklich, wenn es Probleme beim Füttern gibt, denn RSV-infizierte Kinder verweigern teilweise auch das Essen oder Trinken oder erbrechen sich.

Der Grund, warum die derzeitige RSV-Welle so gefährlich für die Kleinsten ist, liegt laut RKI daran, dass die Kinder wegen der Corona-Schutzmaßnahmen bislang keinen Kontakt mit den Viren hatten und so keinen Immunschutz aufbauen konnten. Normalerweise haben infizieren sich im ersten Lebensjahr 50 bis 70 Prozent, Ende des zweiten Lebensjahres haben normalerweise fast alle Kinder bereits eine RSV-Infektion hinter sich.

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