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Aufregung in Münchner Notaufnahme: Wartende bestellen Pizza, während Ärzte „um Leben und Tod“ kämpfen

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Von: Andreas Beez

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Die Rettungskräfte in München arbeiten am Limit - und werden dafür noch beschimpft. Ärzte berichten von beschämenden Szenen in einer Münchner Notaufnahme.

München - Ärzte und Pflegekräfte in den Notaufnahmen der Kliniken brauchen starke Nerven - auch im Umgang mit ungeduldigen Patienten und ihren Angehörigen. Aber dieser Fall aus einer Klinik im Großraum München lässt selbst erfahrenen Mitarbeitern die Zornesader anschwellen: Eine Gruppe von Besuchern der Notaufnahme beschwerte sich lautstark über die aus ihrer Sicht zu lange Wartezeit. Weil es diesen Leuten nicht schnell genug ging, bestellten sie demonstrativ Pizza per Kurier und funktionierten so den Wartebereich vor den Behandlungszimmern zum Schnellrestaurant um. Gleich nebenan im Schockraum versuchten Notfallmediziner währenddessen, einen Patienten zu reanimieren. „Es ging um Leben und Tod“, bestätigt ein beteiligter Arzt gegenüber unserer Redaktion. „Wenn du alles gibst, um ein Menschenleben zu retten, bist du fassungslos über eine solche Provokation - insbesondere dann, wenn du den Angehörigen eines Schwerverletzten vielleicht sagen musst, dass er es leider nicht geschafft hat.“

In den Notaufnahmen herrscht Ausnahmezustand
Blaulicht-Krise in den Notaufnahmen: Viele sind überlastet - und die Patienten ungeduldig. © Robert Haas

Aus Frust über lange Wartezeiten: Ärzte und Pflegekräfte werden wüst beschimpft

Der Pizza-Skandal ist ein vorläufiger Höhepunkt einer besorgniserregenden Entwicklung in den Notaufnahmen. Dort herrscht seit Monaten praktisch durchgängig Ausnahmezustand. Viel zu wenige Mitarbeiter müssen sich um zu viele Patienten kümmern - eine Folge des dramatischen Fachkräftemangels, der sich durch die kräftezehrende Corona-Krise noch mal verschärft hat. Ärzte und vor allem Pflegekräfte fehlen an allen Ecken und Enden. Das hat weitreichende Folgen: Denn zum einen steht in den Notaufnahmen selbst zu wenig Personal zur Verfügung, und zum anderen fehlen die Klinikbetten, um die Patienten weiter auf Station verlegen zu können. Deshalb melden immer mehr Krankenhäuser ihre Notaufnahme vorübergehend bei der Rettungsleitstelle ab. Das führt zu massiven Problemen bei der Verteilung der Patienten. Gleichzeitig verlieren immer mehr Patienten und ihre Begleiter die Geduld, wenn sie in den Notaufnahmen lange warten müssen. Ärzte und Pflegekräfte werden mitunter sogar wüst beschimpft.

Patienten verlassen Notaufnahme wieder und rufen Sanka, um auf Überholspur schneller dranzukommen

Professorin Viktoria Bogner-Flatz, Ärztliche Leiterin des Rettungsdienstes der Landeshauptstadt München
Erfahrene Notfallmedizinerin: Professorin Viktoria Bogner-Flatz, Ärztliche Leiterin des Rettungsdienstes der Landeshauptstadt München, © Münchner Merkur/tz

Um Wartezeiten zu vermeiden, werden manche Patienten sogar regelrecht erfinderisch: „Es ist schon öfter vorgekommen, dass Patienten einfach wieder aus der Notaufnahme verschwunden sind und von draußen den Sanka gerufen haben, um eingeliefert zu werden und praktisch auf der Überholspur schneller dranzukommen. Solche Versuche sind allerdings aussichtslos, weil alle Patienten nach der Schwere Ihrer Erkrankung bzw. Verletzung priorisiert werden“, berichten die Ärztlichen Leiter des Münchner Rettungsdiensts, Professor Viktoria Bogner-Flatz und Dr. Dominik Hinzmann auf Anfrage von Münchner Merkur und tz. „Viele Patienten wollen einfach nicht verstehen, dass sie in der Notaufnahme nicht nach der Reihenfolge ihres Erscheinens, sondern nach Dringlichkeit behandelt werden.“ Und zur Wahrheit gehört auch: Immer mehr Menschen gehen in die Notaufnahme oder rufen den Sanka, um nicht so lange auf einen Facharzttermin warten zu müssen. Für gesetzlich Versicherte beträgt die Wartezeit in München nicht selten mehrere Monate. In der Notaufnahme, so die Hoffnung, werde das gesundheitliche Problem noch am selben Tag abgeklärt und falls nötig behandelt.

Rettungsdienst-Chefs: „Fachkräfte- und Bettenmangel ein ernstes Problem - selbst in München“

Durch diese Gemengelage gerät die Notfallmedizin zusätzlich unter Druck. Jedes Jahr werden im Großraum München etwa eine halbe Million Menschen als Notfälle in den Kliniken behandelt, etwa ein knappes Drittel wird per Sanka eingeliefert. Dazu sind zwölf Notarzt-Teams im Einsatz, die von 43 Rettungswagen (RTW) und 34 Krankentransportwagen unterstützt werden. Die Retter können ihre Patienten in 19 Akutkrankenhäusern abliefern. Soweit die Theorie. Doch in der Praxis haben die Rettungsmanager immer wieder höchste Not, alle Patienten schnell in einer Klinik unterzubringen. Insider sprechen von einer dramatischen Systemkrise.

„Wenn ich höre, dass wir in Deutschland und speziell in München angeblich zu viele Krankenhausbetten haben, dann wäre ich dankbar, wenn sie mir jemand zeigt“, sagt die Notfallmedizinerin Bogner-Flatz, Ärztliche Leiterin des Münchner Rettungsdiensts in einem Gespräch mit unserer Redaktion. Und Rettungs-Co-Chef Hinzmann fügt hinzu. „Wir stehen immer wieder vor massiven Versorgungsengpässen vor allem im Bereich der Intensivmedizin und bei Kindern - auch wenn sich die Situation in den Kliniken im Vergleich zur Hochphase der Corona-Pandemie etwas entschärft hat. Das ist selbst an einem Hochleistungs-Medizinstandort wie München ein ernstes Problem.“ Für die Mitarbeiter, vor allem aber für die Notfallpatienten, sei die aktuelle Lage besorgniserregend. „Wenn Patienten mitunter erst über weite Strecke in aufnahmebereite Kliniken transportiert werden müssen, wird das unserem Anspruch einer bestmöglichen Versorgung nicht gerecht“, warnen die beiden Ärztlichen Krisenmanager.

Kein freies Bett in München: Schwerstkranker Patient in Umland-Klinik ausgeflogen

Wie dramatisch der Versorgungsengpass bereits ist, zeigt ein Fall aus dieser Woche. So mussten sechs Ärzte fast eineinhalb Stunden lang telefonieren, um ein freies Klinikbetten für einen Patienten mit einer schweren Gefäßerkrankung zu organisieren. Letztlich wurde der Patient nicht in München behandelt. Er musste mit dem Rettungshubschrauber in eine oberbayerische Klinik geflogen werden.

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