„Städte dürfen nicht in die Landschaft wuchern“: Star-Architekt entwirft hohe Türme an der Paketposthalle

Star-Architekt Pierre de Meuron plant ein neues Prestige-Objekt in München. Bald ragen zwei hohe Türme neben dem Backstage und der Paketposthalle auf. Unsere Redaktion hat den Schweizer interviewt.
München - Wie ein überdimensioniertes Gürteltier liegt sie da, die denkmalgeschützte Paketposthalle. Hier plant die Büschl Unternehmensgruppe ein komplett neues Areal, mit zwei Hochhäusern, die mit ihren 155 Metern Höhe weithin sichtbar sein werden. Pierre de Meurons Blick schweift über das Gelände, er macht begeistert ein Foto mit dem Handy. Besonders angetan hat es ihm aber das Backstage, das sich hier, zwischen modernen Büro- und Wohnhäusern und der riesigen Paketposthalle, als subkulturelle Insel behauptet hat.
„Das macht eine Stadt aus, solche informellen Orte“, schwärmt de Meuron und man merkt schnell, dass er das Gespräch auch gerne im Backstage-Biergarten geführt hätte. Eben an einem Ort, dessen Nutzung sich immer wieder ändern kann, der sich den strikten Regeln der Stadtplanung und Flächennutzungsplänen in modernen Städten entzieht.

Derweil bewegt die Entwicklung des Paketpostareals direkt neben die Stadt wie kein zweites Projekt. Kein Wunder, werden hier doch ganz grundsätzliche Fragen zur Zukunft Münchens aufgeworfen. Welches Selbstverständnis haben die Bürger eigentlich von ihrer Stadt und wie soll diese sich entwickeln? Eine Frage, die auch de Meuron umtreibt. Seine Antwort: „Ich betrachte die Stadt als etwas Lebendiges, als etwas Dynamisches und nicht Statisches.“
Schweizer Star-Architekt Pierre de Meuron: „Städte dürfen nicht weiter in die Landschaft wuchern“
An der Höhe der Türme machen sich große Teile der Diskussion fest, eigentlich geht es aber um mehr. „Dieses Projekt thematisiert exemplarisch die Fragen, die wir uns als Gesellschaft stellen“, spannt de Meuron den ganz großen Bogen zu Themen wie Nachhaltigkeit, Begrünung und Mobilität. Dass es dazu verschiedene Auffassungen geben könnte, liege in der Natur der Sache. Für ihn ist aber klar: „Städte müssen sich nach innen entwickeln und dürfen nicht weiter in die Landschaft wuchern.“ Schließlich sei die Landschaft unsere einzige natürliche Ressource.
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Apropos Ressourcen. Diese gelte es dringend zu schonen. Sein Motto bei der Planung lautet deshalb: Baue auf dem Gebauten. „Wir wollen so viel erhalten wie möglich.“ Nicht nur die spektakuläre Paketposthalle, die ja unter Denkmalschutz steht, sondern auch das eher unscheinbare Verwaltungsgebäude der Post nebenan. „Das haben wir im Laufe der Überarbeitung entdeckt und haben sofort gewusst, dass man den Bau nicht abreißen kann. Der Stahlbeton ist in gutem Zustand und das Gebäude gibt dem Ort eine willkommene Kontinuität“, sagt de Meuron.
Paketposthalle: Projekt soll nachhaltig werden und Landschaft im Umland schonen
Das Argument der Nachhaltigkeit führen aber auch die Gegner des Projekts ins Felde. Der CSU-Landtagsabgeordnete Robert Brannekämper etwa, der mit seinem Verein „Hochhausstopp“ Unterschriften gegen das Projekt sammelt und es mit einem Bürgerentscheid aufhalten will. Er meldete sich rechtzeitig zur Sitzung der Stadtgestaltungskommission mit markigen Worten: „Leidet die Stadtspitze unter planungspolitischem Alzheimer? Dieselben Kräfte, die vor Kurzem den Klimanotstand ausgerufen haben, befördern unverdrossen den unökologischen und brutalen Eingriff der Investoren Büschl/Bauwens in die Münchner Stadtgestalt!“

Die städtische Identität Münchens stellt auch de Meuron in den Vordergrund. „Die Frauenkirche und die Kernstadt sind wortwörtlich heilig, keine Frage“, sagt er. Aber: Städte leben und verändern sich. Diese Entwicklung brauche innerhalb der vorgegebenen Strukturen Freiraum, der unterschiedliche Arten der Nutzung über die Zeit zulässt. Ein Vorbild dafür seien die Städte der Gründerzeit mit ihren heute noch lebendigen Stadtquartieren. „Da war einmal eine gebaute Struktur für ganz andere Lebensbedürfnisse, das Leben, das jetzt stattfindet, ist aber ein ganz anderes als Ende des 19. Jahrhunderts. Wir wollen diese Hochhäuser als vertikale Stadt entwickeln, ähnlich wie ein Gründerzeitviertel.“
De Meuron stellt klar, dass Hochhäuser sorgfältig platziert und begründet werden müssen. „Wenn sie aber präzise gesetzt werden, sind sie für die Schönheit Münchens nicht schlecht“, ist sich der Architekt sicher. Die Stadt sei als Hauptstadt Bayerns groß genug, um Orte mit unterschiedlichem Charakter zu vertragen.
Hochhäuser nehmen Bezug auf die Form und Struktur der Paketposthalle
Zumal hier keine Standardhochhäuser entstehen sollen. „Wir nehmen Bezug auf die Krümmung und die Rippen der einzigartigen Hallenkonstruktion“, erklärt de Meuron und zeichnet mit wenigen Strichen in einen Block, wieso diese Türme nur hier und an keinem anderen Ort in der Stadt stehen können. Die Form funktioniert nur im Dialog mit der Paketposthalle – „es ist wie ihr Abdruck“, so de Meuron.

Im Endeffekt hauchen die Bürger einer Stadt Leben ein. „Wir Architekten können da nichts aufzwingen. Es sind die Menschen, die die Stadt machen, gerade auch dieses Projekt“, sagt de Meuron. Deshalb lobt der Architekt auch die Bürgerbeteiligung, die ihn davon überzeugt hat, dass es vor der Paketposthalle einen kleinen Park fürs Viertel brauche. Leben entstehe letztlich nur dort, wo Menschen sich wohlfühlen.
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