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Milliardengrab 2. Stammstrecke lässt Fronten verhärten: „Kein zweiter Berliner Flughafen“

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Der Bau der zweiten Stammstrecke entwickelt sich zum Milliardengrab. Zwischen Bahn, Bund, Freistaat und Stadt hängt der Haussegen schief.

München – Volker Wissing (FDP) hatte am Donnerstag, 30. Juni, gleich mehrere Termine in München. Am späten Nachmittag besuchte der Verkehrsminister den Flughafen, abends dinierte er im HVB Forum mit Münchner Persönlichkeiten, ein paar Kilometer von der Staatskanzlei entfernt. Dort wäre mittags eigentlich ein Gespräch mit Ministerpräsident Markus Söder, Verkehrsminister Christian Bernreiter (beide CSU), der Münchner Bürgermeisterin Katrin Habenschaden (Grüne) sowie Bahn-Chef Richard Lutz geplant gewesen. Ein Termin, dem die Bayern lange entgegengefiebert hatten. Schon im März hatte man beim FDP-Politiker um ein Gespräch gebeten. Doch der viel beschäftigte Berliner Minister hatte drei Monate lang keine Zeit. Und dann sagte er am Mittwochabend das Treffen am Donnerstag überraschend ab, offiziell aus Termingründen – für alles andere hatte er Zeit.

2. Stammstrecke: Fronten zwischen Bund und bayerischer Politik verhärtet

Es herrscht Fassungslosigkeit in München. „Gerade, nachdem jetzt wohl eine unglaubliche weitere Verzögerung der Baumaßnahme im Raum steht und damit einhergehend eine weitere Explosion der Kosten, wäre es dringend erforderlich gewesen, vom zuständigen Bundesminister endlich konkrete Informationen aus erster Hand zu erhalten“, grummelt OB Dieter Reiter. Wissenschaftsminister Markus Blume schimpft, Wissing handle „feige und frech. Diese Ampel-Bundesregierung hat für Bayern einmal mehr nichts über.“ Die Liste der Erregten ließe sich fortsetzen.

Im Bundesministerium weist man die Vorwürfe kühl ab. „Der Bund ist kein Projektbeteiligter“, erklärt eine Sprecherin auf Anfrage. Die Zuständigkeit für den öffentlichen Personennahverkehr liege beim Freistaat. Dem Bundesministerium lägen daher keine offiziellen und belastbaren Informationen zu Kostensteigerungen und Zeitverzug vor. „Die Verantwortung für die Sicherstellung der Gesamtfinanzierung des Vorhabens liegt nach einer Erklärung vom 20. Dezember 2016 beim Freistaat Bayern.“

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2. Stammstrecke: Heftige Kritik aus Bayern an Verkehrsminister Wissing

Plötzlich will keiner zuständig sein. Es geht bei diesen Spielchen – natürlich – ums Geld. Die Kostenexplosion ist noch viel wuchtiger als von den größten Pessimisten befürchtet: Mit 7,2 Milliarden Euro rechnet das bayerische Verkehrsministerium – Stand Ende 2021. Das heißt: Die jüngste Inflation durch die Kriegsfolgen ist noch gar nicht eingerechnet. Offenbar fürchtete Wissing, von Ministerpräsident Markus Söder gleich auf eine Zusage festgenagelt zu werden. Stattdessen ließ er das Gespräch lieber ganz platzen.

Pressekonferenz zweite Münchner S-Bahn-Stammstrecke
Verkehrsminister Christian Bernreiter (CSU) muss auf der Pressekonferenz zur 2. Stammstrecke gute Miene zum bösen Spiel machen. © Matthias Balk/dpa

Das Problem mit dem Geld bleibt jedoch. Und von einer Einigung sind die Beteiligten weiter entfernt denn je. Verkehrsminister Christian Bernreiter (CSU), erst wenige Monate im Amt, steht vor einer Herkulesaufgabe. Am Morgen tritt er vor die Presse. Er bemüht sich, seinen massiven Ärger zu kontrollieren. Schließlich braucht er den Berliner Kollegen ja noch, auch für die vielen anderen Projekte. Noch immer wartet er wie andere Länderkollegen auf die sogenannten Regionalisierungsmittel, allein schon, um den Betrieb am Laufen zu halten. „Wenn die Mittel nicht kommen, kann ich schon jetzt prophezeien, dass Herr Wissing als der Verkehrsminister in die Geschichte eingeht, unter dem die meisten Verkehre in Deutschland abbestellt werden mussten“, sagt Bernreiter. Er setzt sich am Mittag eben allein mit der Bahn zusammen, deren Schätzungen nur geringfügig besser sind als jene seines Ministeriums.

OB Reiter macht sich Sorgen, dass die 2. Stammstrecke zu einem zweiten Berliner Flughafen werden könnte

Wirklich überraschend dürfte die Entwicklung für keinen der Beteiligten sein. „Wir warnen seit Jahren davor, dass die zweite Stammstrecke ein Milliardengrab wird“, sagt Grünen-Fraktionschef Ludwig Hartmann. „Die Frage ist, warum der ehemalige CSU-Verkehrsminister Andi Scheuer die aus dem Ruder laufenden Kosten nicht rechtzeitig eingedämmt hat. Er hat die Planungen vorangetrieben, die jetzt die Kosten explodieren lassen.“

Doch Gespräche wurden wieder und wieder verschoben. Dem Vernehmen nach hatte auch die Bahn nie gesteigertes Interesse. Der jüngste Eklat macht es schwer vorstellbar, wie sich die Beteiligten in absehbarer Zeit an einen Tisch setzen – und dann gar zu einer Einigung kommen. OB Dieter Reiter sagt: „Ich hoffe sehr, dass die zuständigen Projektträger – Bund, Freistaat und Deutsche Bahn – alles daran setzen, dass das größte Infrastrukturprojekt Deutschlands kein zweiter Berliner Flughafen wird.“ Einen Trumpf hat der OB in der Hinterhand. Der Draht zu Kanzler Olaf Scholz ist kurz – schließlich waren beide mal Bürgermeister-Kollegen.

Wissings FDP-Parteifreunde im Münchner Stadtrat haben übrigens schon die Lösung für das größte Bauprojekt der Region gefunden. Sie fordern einen Baustopp.

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