Bergsteigerin: „Was eine Frau erreichen kann, wird einige beflügeln“ – der Everest reicht ihr nicht

Als Bergsteigerin will die in München lebende Anna Ott Historisches erreichen. Ihre Triple-Crown-Mission muss sie zunächst vertagen.
München – „Ich bin stur und kann unglaublich beißen“, sagt Anna Ott. Im April 2023 schickt die 36-Jährige sich an, den Mount Everest zu besteigen. Noch während der Studienzeit in München brachte sie nur wenig Begeisterung für Wanderungen in Bayerns Voralpen auf. „Das war mir eigentlich zu langweilig“, blickt sie heute zurück. Im Gespräch mit unserer Redaktion erklärt die gebürtige Sauerländerin, warum sie mit ihrem ambitionierten Unterfangen auch ein Zeichen setzen will.
Erster Aha-Moment auf dem Kilimandscharo: Ott leckt Blut
Das Erlebnis, das Otts Motivation nachhaltig in Gang setzt, lässt sich auf das Jahr 2019 zurückdatieren. Eine Freundin bittet die heute 36-Jährige, sie bei ihrer Tour auf den Kilimandscharo zu begleiten. „Ich hatte keine großen Pläne und bin ohne große Vorbereitungen mitgegangen.“ Sie hat kaum Probleme, sich an die Höhe anzupassen. Ihr Aha-Moment folgt am Gipfeltag. „Meine Gruppe war mir zu langsam“, erinnert sie sich. Gemeinsam mit einem Träger ergreift Ott die Flucht nach vorne und erklimmt den Gipfel zwei Stunden vor dem Rest der Reisegruppe. Noch heute sagt sie: „Das Gefühl, den Gipfel mit seinen eigenen Beinen zu erreichen, war unbeschreiblich.“
Zurück im Tal ist klar: Ott hat Blut geleckt. Weitere Gipfel locken die 36-Jährige, die als Personal Trainer und Freie Journalistin arbeitet: „Ich bin dann relativ schnell auf die Seven Summits gekommen.“ Die Seven Summits, die jeweils höchsten Berge der sieben Kontinente, gelten in Bergsteigerkreisen als gleichsam prestigeträchtiges und ambitioniertes Ziel.
In München lebende Bergsteigerin will auf den Mount Everest
Nach einem lediglich durch einen kurzzeitigen Gepäckverlust gestörten Auftakt am russischen Elbrus, muss Ott Anfang des Jahres 2020 bei der Besteigung des Aconcagua in Argentinien – stolze 6961 Meter hoch – erstmals an ihre Grenzen gehen: „Mir ging es am Gipfeltag gar nicht gut. Man kommt oben an, kann den Moment aber kaum genießen.“ Die Bergsteigerwelt ist nicht rosarot. Das erfährt die Sauerländerin in Argentinien auch im zwischenmenschlichen Bereich. Sie sagt: „Ich bin eher der ruhige Typ, dränge mich nicht so in den Vordergrund. Teilweise ist es schon sehr anstrengend, mit den Leuten wochenlang unterwegs zu sein.“
Was auch Ott als „Bergsteigerloch“ bezeichnet, unterbricht die große Euphorie zunächst. Die Corona-Pandemie macht Reisepläne zunichte. Die 36-Jährige wechselt ihren Wohnort, kehrt nach München zurück. „In Hamburg für hohe Berge zu trainieren, funktioniert einfach nicht“, resümiert sie. „Und ohne die (finanzielle) Unterstützung meiner Familie hätte ich wohl nicht weitermachen können.“ Das Jahr 2021 neigt sich bereits dem Ende zu, als Ott infolge eines „schier endlosen Testmarathons“ den Mount Vinson in der Antarktis erklimmt. Nach einem „spektakulären Naturerlebnis“ nimmt sie das erste Mal das mystische „E-Wort“ in den Mund.
Anna Ott nimmt sich die Triple Crown vor: „Etwas, das zuvor noch keine Frau geschafft hat“
„Es war für mich eigentlich völlig undenkbar, jemals über eine Everest-Expedition nachzudenken. Aber dort (am Mount Winston, d. Red.) habe ich mehrere Leute getroffen, die gesagt haben: alles halb so schlimm.“ Ott beginnt zu recherchieren und stellt fest: Der Everest reicht ihr nicht. Die ‚Triple Crown‘ soll es sein, „etwas, das zuvor noch keine Frau geschafft hat“. Das würde bedeuten, Everest (8848 m), Lhotse (8516 m) und Nuptse (7861 m) nacheinander zu erklimmen.
Video: Der Mount Everest ist jetzt offiziell 86 Zentimeter höher
Bei aller Gipfelvision bleibt Ott realistisch: „Was ich da am Berg mache, ist natürlich gefährlich. Ich nehme alle Vorsichtsmaßnahmen mit, suche das Risiko nicht bewusst, schrecke aber auch nicht davor zurück.“ Was auf dem Weg zum Gipfel geschehe, sei zu mindestens 50 Prozent Kopfsache. Ihr Umfeld tut sich nicht immer leicht, das risikoträchtige Hobby zu akzeptieren. „Meine Mutter hat nie wirklich geglaubt, dass es der Everest werden soll, hat sich aber damit abgefunden. Einige Freundinnen können es bis heute nicht fassen.“ Von männlichen Bekannten habe sie viel Zuspruch erhalten.
Alleine mit zehn Männern auf Gipfel-Mission: „Frauen mental mindestens genauso stark“
Den Trip auf den Denali (Alaska) unternimmt sie im Mai 2022 mit zehn männlichen Begleitern. „Ich kenne das ganz gut“, sagt Ott im Gespräch mit unserer Redaktion lachend, „ich habe auch als Kind schon viel mit Jungs gespielt“. Blöde Sprüche habe es keine gegeben. „Der Tenor ist eher: Wenn die mit dabei ist, ist die auch gut. Ich bin überzeugt, dass Frauen mental mindestens genauso stark sind wie Männer.“

Wer für sich reklamieren darf, die ‚Triple Crown‘ in sein Portfolio einzutragen, ist in Bergsteigerkreisen umstritten. Beweisfotos und Einschätzungen anderer Expeditionsteilnehmer spielen eine Rolle. Ott räumt ein, dass der Geist der Alpinisten mitunter Schaden nimmt. „Auf der Jagd nach Rekorden geht ein wenig der Respekt und die Ehrfurcht vor den Gipfeln verloren. Reinhold Messner hat 16 Jahre für seine 14 Achttausender gebraucht. Der hat den Berg noch ganz anders wahrgenommen.“ Nichtsdestotrotz hält sie an ihrem ambitionierten Himalaya-Plan fest: „Als erste Frau kann ich ein Zeichen setzen.“
Himalaya-Projekt mit einem Gipfel weniger: 36-Jährige will Spenden für Hilfsorganisation sammeln
Kurz vor der geplanten Abreise folgt der große Rückschlag. „Leider habe ich die Nachricht bekommen, dass der Nuptse nicht stattfinden kann. Meine Organisation hat alles versucht. Aber wenn man als Frau etwas erreichen will, ist man dabei auf die Unterstützung von Männern angewiesen“, berichtet sie in einer E-Mail an unsere Redaktion. Man könne den Aufstieg für eine einzelne Athletin nicht sichern, heißt es zur Begründung. Ott hatte bis zuletzt nach Mitstreitern gesucht – vergeblich. Im nächsten Satz klingt die 36-Jährige schon wieder kämpferisch: „Nun werde ich also den höchsten und vierthöchsten Gipfel der Welt erklimmen und mich voll darauf konzentrieren.“
Im Februar hat Ott sich zu Vorbereitungszwecken den chilenischen Vulkan Ojos del Salado (6893 m) „vorgenommen“, ihre Einheiten in den Wochen vor der Abreise nochmals intensiviert – ohne einem expliziten Trainingsplan zu folgen. „Ich höre da sehr auf meinen Körper. Sinnloses Gewichtestemmen war noch nie mein Ding. Ich gehe joggen, trainiere im Fitnessstudio und mache Pilates.“ Während ihrer Expedition, die im April ihren Anfang nehmen soll, will Ott Spenden für die Hilfsorganisation Maiti Nepal sammeln, die sich dem Kampf gegen Zwangsheirat und -prostitution verschrieben hat. Ihre Hoffnung: „Wenn die Menschen dort sehen, was eine Frau erreichen kann, wird das einige womöglich beflügeln.“