#ausgehetzt: Zehntausende demonstrieren und fordern politischen Anstand

Zehntausende gingen am Sonntag unter dem Motto „#ausgehetzt“ gegen die Verrohung der Sprache in der Asylpolitik auf die Straße. An der Spitze des Protests stand OB Dieter Reiter (SPD). Auf der Bühne am Königsplatz sprachen viele Künstler. Die CSU kritisierte die Demonstration.
Nein, es war kein Champions-League-Spiel des FC Bayern – und es war auch nicht der vorzeitige Auftakt zur Wiesn. Aber wer am Sonntagnachmittag am Königsplatz die U-Bahnstation verließ, konnte diesen Eindruck gewinnen. Ein nicht endender Menschenstrom drängte sich nach oben. Zuvor schlängelte sich ein kilometerlanger Demonstrationszug durch die Innenstadt bis zur Schlusskundgebung am Königsplatz. Die Demo „#ausgehetzt – Gemeinsam gegen die Politik der Angst“ mobilisierte trotz Dauerregens so viele Menschen, wie sich wohl selbst die Veranstalter von Bellevue di Monaco nicht erhofft hätten. Sie sprachen von 50.000, die Polizei von 25.000.
Im Kreuzfeuer der Kritik stand vor allem die Asylpolitik der CSU und die Verrohung der Sprache in diesem Zusammenhang. Dem breiten Bündnis von 130 Organisationen aus allen Bereichen der Zivilgesellschaft ging es darum, ein Zeichen „gegen die Politik der Spaltung“ zu setzen, wie viele Redner übereinstimmend betonten. Die vier Einzelkundgebungen am Goetheplatz, am Bavariaring, vor dem DGB-Gewerkschaftshaus an der Schwanthalerstraße und an der Luisenstraße vereinten sich am Königsplatz zur Schlusskundgebung. Zum Auftakt gab es eine interreligiöse Andacht in der Kirche St. Anton. Die Intention des Protests an allen Orten: „Gemeinsam für ein buntes und friedliches Bayern.“ Die Polizei zeigte sich am Abend „sehr zufrieden“ mit dem „friedlichen Verlauf der Versammlungen“.
CSU wehrt sich mit Kampagne in den sozialen Netzwerken
Die CSU hatte unterdessen in der Nacht zum Sonntag gekontert: In München waren Plakate zu sehen, die im Namen der CSU für „politischen Anstand“ werben. Auch auf Facebook wurde die Kampagne verbreitet: „JA zum politischen Anstand, NEIN zu #ausgehetzt. Bayern lässt sich nicht verhetzen“ stand auf den Plakaten. OB Reiter sagte dazu am Sonntag: „Es ist besser, im täglichen Umgang den Anstand zu wahren, als nur dafür zu plakatieren.“
Dass man Plakate gegen eine legitime Demo klebe, sei eine ganz neue Dimension. Die CSU offenbare ein seltsames Demokratieverständnis. Reiter, der am Königsplatz unter großem Beifall als erster prominenter Redner auf die Bühne trat, meinte, er teile das Motto der Demo „ausgehetzt“ uneingeschränkt. Was an politischer Kultur zu Bruch gegangen sei, könne man sich als mündiger Bürger nicht bieten lassen. Die Münchner CSU übe sich stattdessen in „Scheingefechten“ mit Theaterintendanten.
Bekanntlich hatten Christian Stückl vom Volkstheater und Matthias Lilienthal von den Kammerspielen auch zu der Demo aufgerufen. Am Sonntag traten weitere Prominente wie die Kabarettisten Luise Kinseher, Hannes Ringlstetter, Georg Schramm, Claus von Wagner und Urban Priol oder der Schauspieler Sepp Bierbichler auf. Ferner sprach Claus-Peter Reisch, der in Malta angeklagte Kapitän des Seenotrettungsschiffes „Lifeline“. Peter Probst vom Verein Lichterkette, der vor 25 Jahren 400.000 Menschen auf die Straße brachte, sagte: „Wir haben damals Nein zum Rassismus gesagt und ein überwältigendes Zeichen für ein friedliches Zusammenleben gesetzt. Die Anständigen waren damals in der Mehrheit. Und sie sind es heute.“

Am Gewerkschaftshaus erklärte die stellvertretende Landesleiterin von Verdi Bayern, Linda Schneider, auch die Gewerkschaften müssten sich gegen Ausgrenzung positionieren. Die soziale Lage bezeichnete Schneider als „nicht so gut wie von der CSU beschrieben“. Es gebe eine Vielzahl von Problemen jenseits der Migrationsbewegungen wie Wohnungsnot und prekäre Arbeitsverhältnisse. Schneider: „Die teuersten Flüchtlinge sind Steuerflüchtlinge.“
Der stellvertretende CSU-Vorsitzende Manfred Weber sagte am Sonntag, die Äußerungen der Demonstranten seien „maßlos und in der Sache falsch“. Wer der CSU Extremismus vorwerfe, schade der politischen Kultur. „In Wahrheit haben manche Kritiker in der Sache keine Antworten.“
Klaus Vick