Ernährungswende durch die Corona-Krise? „Müssen regionaler, saisonaler und ökologischer werden“ - Gemüse-Engpass droht
Im Herbst könnte uns ein Gemüse-Engpass drohen. Daher hofft der Ernährunsgrat München auf eine Ernährungswende - und damit auf ein Umdenken bei den Verbrauchern.
- Die Corona-Krise* wird weitreichende Folgen haben
- Im Herbst könnten Gemüse und Salat knapp werden
- Die Verbraucher müssen sich umstellen, fordert der der Münchner Ernährungsrat
München - Der Ernährungsrat München fordert den Aufbau eines regionalen Ernährungssystems. Die Corona-Pandemie zeige, wie abhängig der Markt vom Import sei. Vorige Woche erst hat Vietnam den Export von Reis gestoppt, um zunächst die Versorgung der eigenen Bevölkerung zu sichern. Auch die Händler in der Münchner Großmarkthalle spüren erste Anzeichen für Veränderungen. Die Geschäftsleute sind besorgt, dass im Herbst Salat und Gemüse rar und teuer werden könnten.
Einer, der sich auskennt, ist Günther Warchola. Jeden Tag steht der Händler in der Großmarkthalle. „Wir dürfen ja noch arbeiten, Gott sei dank.“ Doch einfach sei es nicht, sagt der Präsident des Verbandes des Bayerischen Frucht-Import- und Großhandels. Bereits jetzt werden Zucchini oder französischer Knoblauch knapp. „Die Bauern kommen nicht zu den Exporteuren. Und der Lebensmittelhandel hat nicht genügend Ware und muss zukaufen.“
Corona-Krise: Droht im Herbst ein Gemüse-Engpass? - Ernährungsrat München mahnt
Warchola warnt davor, dass die Misere noch gravierender werden könnte. „Wenn die Situation mit den Erntehelfern nicht aufgelöst wird, werden wir im Herbst ein riesiges Problem haben.“ Wenn die Erzeuger keine Sicherheit hätten, dass genügend Erntehelfer zur Verfügung stehen, würden die Bauern die Saat gar nicht erst ausbringen. „Das heißt, dass wir im Herbst zu wenig Salat und Gemüse haben werden. Auch zu wenig Industriegemüse für die Konservenfabriken.“
Zwar hat das Bundeslandwirtschaftsministerium zugesagt, dass 40 000 Saisonarbeiter aus Osteuropa jeweils im April und Mai nach Deutschland einreisen dürfen, Warchola hält die Zahl aber für zu gering. Außerdem sei die Einreise mit Kosten verbunden. „Da müssen Flugzeuge gechartert werden, es muss medizinisches Personal zur Verfügung stehen. Die Unterbringung wird teurer, weil es dreimal so viel Platz braucht.“
Die Abhängigkeit vom Import der Lebensmittel kritisiert derweil der Münchner Ernährungsrat. Nur zehn Prozent der Angebote im Einzelhandel kämen aus der Region. Jürgen Müller vom Münchner Ernährungsrat fordert daher ein Umdenken. „Wir müssen regionaler, saisonaler und ökologischer werden.“
Eine Münchnerin berichtet von Corona-Anfeindungen, nur weil sie asiatische Wurzeln hat. Claudia Enk fühlt sich dadurch in ihrer Freiheit beraubt.
Corona-Krise: Folgt nun die Ernährungswende? Experten mit eindringlichem Rat
Ein Ernährungssystem, das die Produktion von Lebensmitteln vor Ort sicherstellt: ohne Pestizide und konzentriert auf den saisonal möglichen Anbau. „Ich kann auch im Februar regional Erdbeeren züchten. Aber nur im Gewächshaus, das kostet sehr viel Energie.“ Die Menschen müssten sich klar werden, dass volle Supermarktregale nicht gottgegeben seien. Das bedeutet: Verzicht. „Es spricht nichts dagegen, wenn man ab uns zu mal eine Mango isst, aber wir übertreiben es.“
Die Pandemie sei nun die Chance für eine Ernährungswende. Denn irgendwann könnte es zu spät sein. „Wir haben viele Szenarien, die den Ernährungsmarkt bedrohen. Klimakrise, Artensterben – die letzten Sommer haben uns gezeigt, was auf uns zukommen kann.“ Corona sei da vergleichsweise harmlos. „Da öffnen wir die Grenzen, um Erntehelfer zu holen. Das werden wir in der Klimakrise nicht hinbekommen, beim Artensterben noch weniger.“ Die Pandemie sei zudem greifbarer, die Klimakrise vielleicht manchen zu abstrakt. „Wir haben jetzt die Chance umzusteuern, bevor die Einschläge richtig kommen.“
Sascha Karowski