Köhler hätte gerne noch weitergemacht: „Eigentlich dachte ich, meine Werkstatt und ich seien verheiratet bis zum Tod.“ Doch es kam anders. Im Juli vergangenen Jahres, als er gerade an seiner Nähmaschine saß, spürte er, dass sein linkes Bein taub wird. Ein Schlaganfall. Seitdem braucht Köhler eine Gehhilfe – und mache Reparaturen fallen ihm schwerer.
Als er davon erzählt, betritt ein Kunde den Laden. Er möchte eine Lederjacke reparieren lassen. Köhler kann dieses Mal leider nicht helfen: „Dazu bräuchte ich zwei Hände“, sagt er. Doch nur noch eine Hand will so richtig funktionieren.
Nach September wird Köhler dann in ein Betreutes Wohnen ziehen – das Haus an der Schellingstraße solle dann irgendwann saniert werden, sagt Köhler. Sehr bedauernswert findet das der Kunde: „Es ist extrem wichtig, dass es solche Läden weiterhin gibt, denn man hat einen persönlichen Bezug zu den Menschen, die dort arbeiten.“ Der Schluss der Lederwerkstatt – ein weiterer Verlust für die Maxvorstadt.
Auch die Fraunhoferstraße wird bald um einen Laden ärmer sein: Ingrid Dellners „Wohnpalette“ hört nach 42 Jahren auf – Ende Mai ist Schluss. Auch so einen Laden gibt es nicht mehr allzu oft: Kunterbunte Lampen hängen von der Decke, in den Schränken stehen vergoldete Buddha-Statuen sowie Elefanten und Hasen aus Plüsch. Allerlei Wohndekoration gibt es hier. „Es tut mir schon leid, dass das jetzt aufhören muss“, sagt Dellner. Doch das Haus, in dem der Laden ist, habe den Besitzer gewechselt – und ihr Mietvertrag sei jetzt beendet. Jetzt wartet auf sie der ungewollte Ruhestand.
„Räumungsverkauf“-Banner an den Schaufenstern sind generell immer häufiger im Stadtbild zu sehen. Viele kleine, inhabergeführte Läden verschwinden. Häufig rücken dann Geschäfte von großen Ketten nach. „Das ist eine Tendenz, die spürbar zugenommen hat“, sagt Professor Stephan Kippes vom IVD Institut für Gesellschaft für Immobilienmarktforschung und Berufsbildung. Er findet: „Filialen machen die Innenstädte austauschbar.“
Das Institut ermittelt regelmäßig den Filialisierungsgrad – also das Verhältnis zwischen Filialen und Nichtfilialen. Besonders stark zugelegt hat demnach der Trend zu Ketten an der Residenzstraße oder der Rosenstraße. Hier gab es 2005/2006 noch knapp 60 Prozent Geschäfte, die keine Filialen waren. Vergangenes Jahr waren es nur mehr 18 Prozent an der Residenz-, 29 an der Rosenstraße.
Ein Grund: Der Generationenwechsel. Immer öfter wollen Nachkommen die Geschäfte ihrer Eltern nicht weiterführen. Ein weiteres Problem sei die steigende Konkurrenz aus dem Internet. Aber auch die hohen Mieten: „Ein inhabergeführtes Geschäft kann unter Umständen nicht diese Maximalmieten bezahlen, die ein Filialist bezahlen kann.“ Um inhabergeführte Läden zu erhalten, seien deshalb auch Vermieter gefordert, nicht nur auf maximalen Gewinn zu achten.
Besonders in den Lagen rund um die Altstadt wie an der Sonnenstraße haben die Preise vor Corona stark angezogen. Die Pandemie hat den Markt zwar leicht entspannt, gleichzeitig ging natürlich auch das Geschäft der Händler zurück. Viele Ladeninhaber hätte auch das zum Aufgeben bewogen. Und mit ihnen verschwindet die Vielfalt.