Dieter Reiter: „Eine Wiesn light wird’s nicht geben!“ - Impfungen für viele Münchner erst im Herbst

Wie geht es im Jahr 2021 weiter? Im großen Interview blickt OB Dieter Reiter (62, SPD) voraus und erklärt, warum eine Wiesn nur ganz oder gar nicht stattfinden wird.
- Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) schließt eine „Wiesn light“ aus - ganz oder gar nicht.
- Eine Deadline für eine Entscheidung gibt es erst im Juni.
- Im Interview verrät er auch, dass manche Münchner bis zum Herbst auf eine Impfung warten müssen.
Herr Reiter, wie feiert München im Jahr 2021 Weihnachten – mit Christkindlmärkten, vollen Kirchen und Festschmaus in den Wirtshäusern? Oder wird das Leben im Lockdown zur Normalität?
Dieter Reiter: Das will ich mir auf gar keinen Fall vorstellen. Vielmehr hoffe ich auf eine Rückkehr zur Normalität ab dem zweiten Halbjahr. Was natürlich mit einem Impfstoff in ausreichender Zahl und hoher Wirksamkeit zusammenhängt. München kann nur zur Normalität zurückfinden, wenn die Infektionsrate drastisch sinkt.
Dieter Reiter: Viele Münchner werden erst im Herbst geimpft werden
Ist Impfen das Allheilmittel? Wie ist die Stadt hier mit Helfern aufgestellt?
Reiter: Wir haben keine andere große Hoffnung als den Impfstoff, nachdem in den vergangenen zehn Monaten vieles ausprobiert wurde: scharfer Lockdown, Lockdown light, Lockerungen und wieder Verschärfungen. Um Kontaktbeschränkungen und Ausgangssperren dauerhaft zu verhindern, kann nur ein Impfstoff helfen. Die Herausforderung ist jetzt, dass man Impfstoff in ausreichender Menge zur Verfügung hat. Die Stadt München ist jedenfalls vorbereitet. Wir haben binnen weniger Wochen Contact-Tracing-Teams mit 500 geschulten Ermittlern und ein Impfzentrum in der Messe aus dem Boden gestampft.
Mit welcher Kapazität?
Reiter: Insgesamt fallen allein in München geschätzte 120 000 Menschen in die höchste der fünf Prioritätsstufen, die nach der Empfehlung der Ständigen Impfkommission vorrangig geimpft werden sollen. Die höchste Prioritätsstufe haben Bewohner sowie das Personal von Alten- und Pflegeeinrichtungen. Dann gibt es vier weitere priorisierte Gruppen, dazu gehören auch alle Menschen, die in der kritischen Infrastruktur beschäftigt sind. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass diejenigen Münchner, die keiner dieser Gruppen zuzuordnen sind, wohl nicht vor Herbst geimpft werden können. Daher muss ich um Geduld bitten.
Wie lange wird es in etwa dauern, bis diese erste Gruppe von 120 000 Menschen geimpft sind?
Reiter: Nach Einschätzung der Fachleute bis zum Ende des ersten Quartals 2021. Was aber insbesondere von der Impfstoffmenge abhängig ist, die wir zur Verfügung gestellt bekommen und natürlich auch von der hoffentlich hohen Bereitschaft des medizinischen Personals, hier mitzuhelfen. Jede Impfung mehr hilft uns, das Virus zu bekämpfen. Weil die Rate derjenigen sinkt, die sich anstecken können.
Dieter Reiter: Gastronomie? Da muss ich mit Markus Söder sprechen
Wann wird die Gastronomie wieder aufgesperrt?
Reiter: Schwer zu sagen. Darüber werde ich zu gegebener Zeit mit Ministerpräsident Markus Söder sprechen. Derzeit macht es keinen Sinn, singulär Gastronomie zu öffnen.
Es ist zu befürchten, dass viele Lokale die Pandemie nicht überleben werden. Wird sich auch das Gesicht der Innenstadt verändern?
Reiter: So ehrlich muss man sein: Trotz umfangreicher Wirtschaftshilfen wird man wohl den ein oder anderen Pächter nicht mehr sehen. Das bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass dann auch die jeweilige Gaststätte dauerhaft verschwindet, einige werden sicherlich mit einem anderen Betreiber wieder eröffnen. Die Gastronomie prägt das Bild unserer Innenstadt. Dieses Flair müssen wir erhalten. Und als Stadt auf der Genehmigungsseite alles Mögliche dafür tun – wie etwa bei den Schanigärten. Aber das sind Dinge, die wir wohl erst im späten Frühjahr wieder schrittweise angehen können.
Wiesn 2021: Deadline für Entscheidung erst im Juni
Sind Großveranstaltungen im Sommer 2021 wieder denkbar? Etwa volle Fußballstadien oder Konzerte im Olympiastadion?
Reiter: Ich diskutiere natürlich oft mit Kulturveranstaltern und Fußballvereinen. Leere Zuschauerränge dürfen keine Normalität werden beim Sport. Über stufenweise Lockerungen sollte man hier nachdenken, sobald es die Situation erlaubt. Erst recht kann ich mir dies bei Theatern, Konzertsälen oder Kinos vorstellen, wo die Abstände am besten einzuhalten sind. Meine Vorstellung ist, dass wir daran anknüpfen können, wo wir im Sommer 2020 bereits waren. Und Großveranstaltungen wie die Internationale Automobilausstellung im September und danach die Wiesn müssen wir in einem engen Zusammenhang bewerten. Wir können nicht die eine Veranstaltung absagen und die andere stattfinden lassen.
Gerade beim Oktoberfest muss die Entscheidung ja spätestens im Mai klar sein…
Reiter: Ich habe schon mit den Wirten und den Brauereien gesprochen. Sie gehen von einer Deadline im Juni für den Entscheidungszeitpunkt aus. Das halte ich für sinnvoll.
Wäre denn eine Wiesn in abgespeckter Form überhaupt denkbar? Zum Beispiel mit einer Kontingentierung der Besucherzahl und nur halb so vielen Tischen in den Zelten?
Reiter: Ganz klar Nein. Ich kann mir keine Wiesn light vorstellen oder eine Wiesn, bei der ich Abstände einhalten soll. Da kann ich gleich eine Wiesn mit Alkoholverbot machen. Denn erfahrungsgemäß halten sich Menschen nach drei Mass Bier nicht mehr an Abstände. Eine Wiesn light wird’s nicht geben. Das würde das Image und die Einmaligkeit des Oktoberfestes beschädigen, das würde die ganze Wiesn zerstören. Da bin ich mir mit Wirten, Brauereien und Schaustellern einig.
Dieter Reiter „Die Verschuldung wird sich drastisch erhöhen“
Welche Projekte der Stadtentwicklung sind im neuen Jahr am wichtigsten? Für was ist Geld da, was fällt durch den Rost?
Reiter: Der Haushalt für 2021 ist so defizitär wie noch nie. Trotzdem werden wir investieren. Das heißt: Die Verschuldung wird sich drastisch auf eine Summe zwischen fünf und sieben Milliarden Euro erhöhen – bis 2026. Wir müssen aber als öffentliche Hand investieren. Das ist klassisches antizyklisches Handeln. Alles andere wäre für die Wirtschaftsleistung kontraproduktiv. Und die Bürger und Steuerzahler erwarten zu Recht, dass das System am Laufen bleibt, auch wenn das für die Stadt einen finanzpolitischen Kraftakt bedeutet.
Und was konkrete Projekte betrifft?
Reiter: Wir werden weiterhin den Wohnungsbau fördern. Das kostet dreistellige Millionenbeträge pro Jahr. Auch der Sozialhaushalt bleibt mindestens beim bestehenden Volumen in Höhe von 1,5 Milliarden Euro. Der Schulausbau wird zwar zeitlich gestreckt. Trotzdem fließen hier weiterhin dreistellige Millionenbeträge pro Jahr. All diese Dinge sind nicht diskutabel. Auch den Kulturbereich werden wir nicht so sehr beschneiden. Die Künstler leiden schwer unter der Corona-Krise. Und das Volkstheater wird natürlich zu Ende gebaut und heuer eröffnet. Weitere Möglichkeiten für irgendwelche teuren Projekte im Jahr 2021 sehe ich derzeit nicht. Schließlich müssen wir unsere Hausaufgaben beim Ausbau des ÖPNV und der Verkehrswende machen. Stichwort U-Bahnbau und neue Radwege. Die kosten viel genug, wenn auch nicht so viel, wie immer kolportiert wird.
Wenn Sie sich für 2021 etwas wünschen dürften: Was wäre das – privat und als OB?
Reiter: Dass meine Mutter wieder gesund wird (sie hatte sich mit dem Coronavirus infiziert, Anm. d. Red.) und meine Familie gesund bleibt. Das ist das oberste Gut und durch nichts zu ersetzen. Als OB wünsche ich mir, dass die Corona-Sterbequote möglichst gering ist und die Gesundheitssysteme weiterhin so gut funktionieren. Und für das zweite Halbjahr hoffe ich, dass wir wieder ein Stück weit München sein dürfen, dass wir das Münchner Lebensgefühl im Sommer wieder spüren dürfen. - Interview: Klaus Vick, Sascha Karowski
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