Die Weichen für die späte Anerkennung des großen Leids, das der Anschlag über Verletzte und Hinterbliebene der Todesopfer gebracht hatte, wurden ebenfalls 2020 gestellt: Zum 40. Jahrestag des Anschlags verkündeten der Bund, der Freistaat und die Landeshauptstadt München*, gemeinsam einen 1,2 Millionen Euro umfassenden Hilfsfonds einzurichten. Geschädigte konnten bis 31. März 2021 eine „Solidarleistung“ beantragen. Zwar hatte der Freistaat Hilfsgelder zur Verfügung gestellt, und auch die Stadt München hatte 2018 einen Unterstützungsfonds von 100.000 Euro eingerichtet, doch ein Großteil der Opfer war leer ausgegangen.
So wie Gabriele Six. Sie stellte Ende 2020 einen Antrag auf „Solidarleistung“. Die schrecklichen Bilder kamen wieder in ihr hoch: Wie sie am Haupteingang der Wiesn von einem ohrenbetäubenden Knall zu Boden gerissen wurde. Wie plötzlich alles schwarz wurde. Wie sie im Krankenhaus wieder zu sich kam. Orientierungslos. Unter Schock. „Ein Jahr musste ich in der Klinik bleiben.“
Seit sie den Antrag abgeschickt hat, wartet die Rentnerin gebannt auf Antwort. „Warme Worte“ reichen ihr nicht, sie vermisse „ein echtes Zeichen der Anerkennung“.
Das soll es jetzt geben: Eine Sprecherin des Sozialreferats teilt auf Anfrage mit, dass die Bearbeitung der Anträge abgeschlossen sei. „Die Bescheide sind alle am 30. Juni verschickt worden und müssten demnächst bei den Antragstellern im Briefkasten sein.“ Angaben zur Höhe der Summen macht sie nicht. Eine gemeinsame Presseerklärung von Stadt, Freistaat und Bund sei in Vorbereitung.
Einer, der das Prozedere genau kennt, ist Werner Dietrich. Der Münchner Anwalt hat eine Wiederaufnahme des Verfahrens zum Oktoberfest-Attentat erreicht und vertritt 15 Verletzte, drei seiner Mandanten sind inzwischen verstorben. Knapp 100 Personen hätten Anträge auf eine „gesellschaftliche Solidarleistung“ gestellt. Zwar hält er die Summe von 1,2 Millionen Euro für zu gering. Dennoch ist er zufrieden: „Die Stadt macht das gründlich und hält sich an die vorher kommunizierten Fristen.“ - Daniela Pohl - *tz.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA.