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Zu wenig Pfleger, Betten stehen leer: München droht Klinik-Kollaps - „Es ist viertel nach zwölf“

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Von: Sascha Karowski, Andreas Beez

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Ein Rettungswagen steht vor der Rettungsstelle eines Klinikums
Ein Rettungswagen steht vor der Rettungsstelle eines Klinikums. © Jens Kalaene/zb/dpa/Symbolbild

Die Kliniken in München stehen vor dem Kollaps. Grund ist der Mangel an Pflegekräften. Insider warnen: Wenn nicht Sofortmaßnahmen eingeleitet werden, bricht das System zusammen.

Münchens Krankenhäuser steuern auf einen Personalkollaps zu – mit besorgniserregenden Folgen auch für die Patienten: Weil an allen Ecken und Enden Pflegekräfte fehlen, müssen in vielen Kliniken Betten leer bleiben. Das gilt auch für die Intensivstationen. Immer wieder schickt die Rettungsleitstelle Sankas notgedrungen ins Umland, zum Teil Dutzende Kilometer entfernt bis nach Erding oder Fürstenfeldbruck. Nach Informationen unserer Zeitung ist die Lage noch dramatischer als ohnehin schon angenommen.

München: Krankenschwester warnt vor dem System-Zusammenbruch - „Ich bin fassungslos“

Vor dem Hintergrund einer möglichen Verschärfung der Corona-Lage und einer zusätzlich anrollenden Grippewelle fürchten Insider eine Eskalation der Lage. „Man denkt immer, dass es nicht schlimmer werden kann. Aber so schlimm war es noch nie. Wir haben einen riesigen Pflegenotstand“, warnt Ingrid Greif. Die Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats der städtischen Krankenhäuser arbeitet seit 32 Jahren als Krankenschwester in der München Klinik – noch immer auf Station. Sie berichtet von erschöpften, heillos überlasteten Kollegen. „Es ist Viertel nach zwölf. Das System kollabiert. Wenn man nicht Sofortmaßnahmen ergreift, dann werden wir das Versorgungssystem nicht mehr aufrecht erhalten können. Ich bin fassungslos, dass das außerhalb der Klinik niemand wahrzunehmen scheint.“ Von offizieller Seite wurde kürzlich noch Entwarnung gegeben.

Der Notruf aus den Kliniken ist allerdings inzwischen zumindest ins Rathaus durchgedrungen. Stadtrat Stefan Jagel von der Linkspartei bombardiert OB Dieter Reiter, der auch Aufsichtsratsvorsitzender der München Klinik ist, mit An- und Nachfragen zur Krankenhaus-Krise. Er will Klarheit über Gerüchte, die in Ärzte- und Pflegezirkeln kursieren. Danach sollen allein bei den städtischen Häusern hunderte Betten „gesperrt“ sein. Das bedeutet, dass sie wegen Personalmangel nicht belegt werden dürfen. „Insgesamt sind aktuell etwas weniger Betten verfügbar als vor der Pandemie“, bestätigt die München Klinik. „In den jeweiligen Spitzenzeiten der Pandemie waren deutlich mehr Betten gesperrt. Wenn die Last durch eine weiter steigende vierte Welle im Herbst und Winter wieder größer wird, dann wird sie, wie im vergangenen Winter auch, wieder auf mehr Schultern also mehr Krankenhäuser verteilt werden.“

Das Problem trifft nämlich längst nicht nur die München Klinik, sondern die allermeisten Häuser in der Landeshauptstadt. Viele treibt der Pflegenotstand derart in die Enge, dass sie immer öfter Intensivbetten bei der Rettungsleitstelle abmelden. Diese hat zuletzt mitunter bereits um 10 Uhr früh kein freies Intensivbett mehr in der Stadt bekommen und musste Notfallpatienten in die Umlandkrankenhäuser karren lassen.

Zur Erklärung: In München* nutzen die Klinken eine Meldesystem namens Ivena, um ihre Aufnahmebereitschaft zu signalisieren. Doch die war zuletzt oft schnell ausgeschöpft. In der Folge gab es weniger Platz für Patienten mit einem Herzinfarkt, Schlaganfall oder andere Notfälle. „Die Auslastung der Münchner Intensivstationen ist für die Jahreszeit ungewöhnlich hoch“, bestätigt ein hochrangiger Arzt gegenüber unserer Zeitung. „Und das, obwohl die Corona-Lage noch unter Kontrolle ist, die Grippe erfahrungsgemäß erst im Winter voll durchschlägt und heuer keine Wiesn stattfindet.“

Münchner Kliniken vor dem Kollaps? Corona war nur ein Brandbeschleuniger

Zum Hintergrund: Natürlich könnten die leistungsstarken Münchner Kliniken – insgesamt eine sichere Bank bei der Patientenversorgung – rein von der technischen Ausstattung her weitere Intensivbetten zur Verfügung stellen. Aber weil ihre Mitarbeiter bereits auf dem Zahnfleisch gehen, wollen sie erst mal ihr normales Programm abarbeiten. Dazu gehören unter anderem Operationen, die während der Hochphase der Pandemie nicht vorgenommen werden konnten. Ferner treibt sie die Sorge um, sich über Notfallpatienten weitere Corona-Fälle ins Haus zu holen – und damit womöglich organisatorische Folgen.

„Jeder Mitarbeiter, der zusätzlich in Quarantäne muss, reißt ein nicht zu stopfendes Loch“, berichtet ein Krankenhaus-Manager unserer Zeitung. „Unsere Leute drohen inzwischen ganz offen damit, dass sie neue Belastungen nicht mehr mitmachen.“ Das bestätigt auch Betriebsrätin Greif: „Wir warnen seit Jahren vor dem Notstand. Corona hat ihn zusätzlich verschärft, die Kollegen sind ausgepowert, Kündigungen nehmen zu. Inzwischen sagen sogar schon die Azubis, dass sie sich niemals vorstellen können, diesen Job bis zur Rente zu machen.“

Als Ursache der prekären Lage gilt vielen Experten die Kommerzialisierung des Gesundheitssektors in Deutschland. Derweil soll in München ein Acht-Punkte-Plan die Pflege-Berufe attraktiver machen.*tz.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA

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