Der Engel der Alten macht Schluss: Pflegekritiker Claus Fussek aus München räumt nach 40 Jahren sein Büro

Nach 40 Jahren geht der Pflegekritiker Claus Fussek in den Ruhestand. Vier Jahrzehnte kämpfte er für die Würde von Senioren. Der Sozialkämpfer im tz-Interview.
München: Vorsichtig hebt Claus Fussek* (68) ein altes Plakat von der Wand. „Das nehme ich auch mit“, sagt der Münchner leise und legt das Schild in einen der Umzugskartons. Ja, der Engel der Alten– er räumt das Feld. Deutschlands berühmtester Pflegekritiker geht in Rente. Nach gut 40 Jahren Kampf für die Würde der Senioren. Sein Büro in der Klenzestraße wird bald leer stehen. „Da können sich jetzt ein paar Heimbetreiber freuen“, sagt er mit seinem frechen Grinsen.
Klar, Fussek war und ist gefürchtet in der Szene – bei den schwarzen Schafen, die nur schnell viel Geld mit der Altenpflege machen wollen. Auf der anderen Seite wird er von vielen Menschen verehrt: Für seinen Mut, die Probleme anzusprechen. Laut, unnachgiebig. Unser Redakteur Armin Geier führte zum Abschied ein Interview mit dem Sozialkämpfer – und sprach mit ihm über seine schönsten und schlimmsten Momente, über die Erfolge und über das Scheitern – und über die Angst vor dem Ruhestand.
Claus Fussek: Pflegekritiker nimmt Abschied
Herr Fussek, Sie packen schon ein. Ein trauriger Moment? Oder spüren Sie auch Erleichterung?
Claus Fussek: Ehrlich gesagt, das fällt mir sehr schwer. Das hier war meine Lebensaufgabe, das Büro fast mein Zuhause. Aber am 31. Januar ist mein letzter Tag. Das alles wird mir fehlen.
Gleich vorweg: Nach Ihrem jahrelangen Einsatz gegen die Missstände in der Pflege – hat sich die Situation im Land irgendwie verbessert?
Nicht wirklich! Es ist nachts noch immer oft eine Pflegekraft für 50 Bewohner verantwortlich, Dokumentationen werden häufig gefälscht, es werden noch immer Menschen in Bayern in ihrem Bett fixiert. Und die Pandemie hat die Lage für die guten, engagierten Pflegekräfte natürlich noch schwieriger gemacht.
Sind Sie mit Ihrer Arbeit gescheitert?
Manchmal schon. Ich hätte gern mehr Verbesserungen erreicht. Oft war ich ja nur der Überbringer der schlechten Nachrichten.
Fusseks schönster Moment in all den Jahren
Naja, immerhin haben Sie es mit der damaligen Gesundheitsministerin Christa Stewens Mitte der 2000 geschafft, dass die Heimkontrollen endlich unangemeldet durchgeführt werden müssen.
Das stimmt. Vorher hat mancher Landrat den befreundeten Pflegeheimbesitzer noch angerufen und gesagt: ‚Du, nächsten Mittwoch schauen wir vorbei. Räum mal auf‘.
Heute undenkbar…
Hoffentlich. Ich bin mir da nicht ganz sicher.
Was war Ihr schönster Moment in all den Jahren?
Als 2007 mein Freund Dieter Hildebrandt beim Pflegestammtisch aufgetreten ist, der ganze Löwenbräukeller rappelvoll war. Da haben wir die Missstände in der Pflege echt nach draußen getragen.
Das ist doch auch ein Verdienst…
Hmm, dank meiner Mitstreiter und mir kann zumindest in und um München keiner sagen, dass er noch nie von dem Thema gehört hat.
Pflegekritiker Claus Fussek: Rund 50 000 Fälle in 40 Jahren
Und was war der schlimmste Moment?
Davon gab es viele – aber dennoch immer den gleichen: Wenn ich wieder gemerkt habe, dass ich ein Kämpfer bin – bei einem Thema, wo es eigentlich keine Gegner geben sollte. Jeder ist doch für gute Pflege, oder?
Außer die geldgierigen, schwarzen Schafe.
Genau. Da liegt das Problem. Und das immer wieder zu realisieren, das tut weh.
Was machen Sie eigentlich mit all diesen Aktenordnern hier im Büro?
Das sind alles Fälle von Angehörigen und Pflegebedürftigen, die sich hilfesuchend an mich gewandt haben. Ich hab sie mal gezählt. Rund 50 000 Schicksale. Immerhin: Vielen konnten wir helfen.
Pflegekritiker Fussek verabschiedet sich in den Ruhestand
Die nehmen Sie aber nicht mit in den Ruhestand, oder?
Nicht mit nach Hause. Das wäre zu emotional, ein Problem. Ich werde sie aber sicher nicht wegwerfen. Ich finde einen Platz, das sind ja Zeugnisse der Zeit.
Klingt, als ob Sie die Probleme in der Pflege weiter im Auge behalten werden…
Das werde ich sicher. Aber aus einer Distanz.
Und im Ruhestand. Was sind da die Pläne?
Ich werde viel garteln. Ich liebe meinen Garten. Auch werde ich endlich mehr Zeit mit der Familie verbringen. Und als Löwenfan habe ich vor, einmal pro Woche ins Löwenstüberl zu gehen.
Klingt gut.
Ein bisserl Angst hab ich da: Noch kann ich mir das gar nicht richtig vorstellen.
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